Beschreibung von Natur und Umwelt

Nachtbruch

Beitragvon Friederich » So 01 Feb, 2009 19:24


Später blickt schweigend
ein Dunkel auf Stunden,
ergreift schwere Lider,
durchtränkt sie mit Nacht.

Was gestern Fragment noch im hin
und her, was Standbild, ein eilig
geritzter Entwurf, das gewinnt
im Verblassen an Form
und sinkt sachte
ins Nichts dahin.
L'avenir, on ne l'attend pas comme on attend le train. L'avenir, on le fait. (Georges Bernano)

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Re: Nachtbruch

Beitragvon Antibegone » Mi 04 Feb, 2009 11:19


Huhu Friederich :-)


Ich kann zwar kein Urteil abgeben, aber würde dir dennoch gerne ein paar Zeilen zu deinen Zeilen schreiben.

Nachtbruch

Hmm, schwierig. Vielleicht bricht die Nacht an? Oder bricht etwas in der Nacht? Oder wird mit etwas gebrochen?
Auf jeden Fall kommen mir zu dem Titel sofort Assoziationen, macht mich neugierig. Die Fragen nehme ich mal mit in die weitere Betrachtung.

Schließlich blickt schweigend
ein Dunkel auf Stunden,
ergreift schwere Lider,
durchtränkt sie mit Nacht.


Diese Strophe bereitet mir irgendwie Unbehagen. Ich versuche mal zu erklären, wieso.
Erst einmal gefällt mir der Rhythmus relativ gut, er ist gleichmäßig und passt zu dem, was ich inhaltlich erschließe (aber dazu später)
Sprachlich ist mir was aufgefallen. Die benutzt kurz hintereinander zwei Wörter die mit „schw-“ anfangen. Als ich die erste Strophe gelesen hatte, hatte ich darum das Gefühl, da wäre eine Wiederholung drin, weil die Anfänge so gleich sind. Mir ist klar, dass das etwas sehr pingelig ist, es hat einfach nur meinen Lesefluss gestört, was ja gerade bei einer Strophe, die eher „sanft“ und „regelmäßig“ sein sollte/ ist, schade ist.
Außerdem, finde ich, klingen die Worte in dieser Strophe sehr „hart“; es tauchen viele Dentallaute auf.
V1: „Schließlich blickt schweigend“ Hier zum Beispiel ist das „blickt“ ein Wort, was ich zumindest eher kurz, abgehackt aussprechen würde. Oder in V4 „durchtränkt“ spricht sich auch nicht gerade weich aus.
Hm, zum Inhalt: Es scheint mir hier um den Prozess des Einschlafens zu gehen. Es ist spät geworden (die Dunkelheit schaut bereits auf die Stunden), die „schweren Lider“ fallen zu, weil sie „durchtränkt mit Nacht“ sind.
Viel mehr kann ich aus dieser Strophe nicht so recht ablesen und frage mich, ob mir ihr Inhalt nicht verschlossen bleibt? Wenn es wirklich nur um das Einschlafen geht, stellt sich mir die Frage, welchen Zweck die Strophe überhaupt hat? Es ist nicht notwendig für das Verständnis (zumindest nicht für mein Verständnis *g*) der zweiten Strophe, die ohne die erste sogar viel mehr Offenheit und Interpretationsspielraum hätte.

Was gestern Fragment noch im hin
und her, was Standbild, was eilig
geritzter Entwurf, das gewinnt
im Verblassen an Form
und sinkt sachte
ins Nichts dahin.


Nachdem ich etwas „Probleme“ mit dem ersten Teil hatte, hat mir dieser recht gut gefallen. Es besitzt eine wunderschöne Gegensätzlichkeit. Die tatsächlichen Erinnerungen (an den vorherigen Tag) sind zum Teil Fragmente, unbewegte fest gebrannte Bilder, aber auch Skizzen, die in Schnelligkeit gemalt wurden. Allein diese Aufzählung gefällt mir, weil sie die Verschiedenheit der „Zutaten der Träume“ zeigt.
Sie allen „verblassen“, aber nehmen gerade dadurch „Form an“. Dieses Bild hat mich fasziniert und hat vielfältige Assoziationen in meinen Kopf gezaubert. Es ist wie ein kurzes Aufleuchten der (unbewussten) Erfahrungen, als würde man die „eiligen Entwürfe“ für einen Moment in ihrer „Vollkommenheit“, ihrer „Endgestalt“ sehen. Gleichzeitig „verglühen“ diese Bilder aber auch schnell, denn vielleicht gerade dadurch, dass sie greifbar werden, „sinken sie kurz darauf ins Nichts“.
In V 5/6 könnte sowohl das vorher Beschriebene als auch das gar nicht erwähnte lyr. Ich Subjekt sein. Der Gedanke gefällt mir eigentlich ganz gut. Als würden seine Erinnerungen zusammen mit ihm ruhen.
Sprachlich gefällt mir die Strophe auch wesentlich besser; sie ist „weicher“ im Klang, die Gegensätzlichkeit der Worte bereichert die Sprache, fordert Assoziationen.
Das einzige, was mir nicht gefällt: Die Wiederholung von „was“. Das taucht gleich drei Mal auf. Frage ich mich, ob das nötig ist – klar, es ist ja eine Aufzählung, aber vielleicht käme man auch nur mit zwei „was“ aus?

Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich mit meinem Urteil sehr unentschlossen bin. Ich glaube, ich „lege meine Assoziationsfragmente“ erst mal hin und warte „bis sie im Verblassen Form annehmen“ :-) vielleicht weiß ich dann, wie ich das Gedicht finde.

Herzliche Grüße,
Deine Traumwächterin
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Re: Nachtbruch

Beitragvon Friederich » Mi 04 Feb, 2009 11:47


Hi Traumi,

danke für deine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Text. Was die erste Strophe betrifft kann ich mit vielen Punkten deiner Kritik etwas anfangen. Dein Lob für den Rhythmus freut mich, denn daran habe ich lange gearbeitet. Dass es hart klingt, finde ich mittlerweile auch, allerdings ist dies für mich kein Widerspruch zum Gehalt, denn die Dunkelheit bemächtigt sich der Szenerie ja durchaus kräftig ("greift"). Eher wirklich ein Problem ist der von dir angesprochene Eindruck der Widerholung durch die Wortanfänge. Ich werde versuchen, da etwas zu ändern, denn dies stört mich tatsächlich auch. Inhaltlich bleibt es natürlich Interpretationssache. Für mich ist das Gedicht aber vor allem der erste Teile des Gegensatzes "Tag und Nacht", das Gegenstück zu "Tagbruch".

Die zweite Strophe hast du recht nahe an meiner Intention gelesen, was mich freut. Die Wiederholung von "was" fällt dir zu recht auf; mal schauen, was sich da ändern lässt.

Dank Dir die Beschäftigung und LG,

Friederich
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Re: Nachtbruch

Beitragvon Friederich » Mi 04 Feb, 2009 12:12


hi esb,

du hast recht, was das "schließlich" betrifft. auf der einen seite ist das schließlich auf den abend-kontext bezogen, überzieht somit den gesamttext; auf der anderen seite stimmt es absolut, dass dies der dynamik abträglich ist. danke für den hinweis. was die abgeschlossenheit beider strophen betrifft gebe ich dir recht, auch wenn die "stimmungsmache" für mich hier nicht redundant ist, viel eher ein hauch beschreibungslyrik vor einigen ausführungen zu den träumen.

das "nichts" graphisch zu realisieren ist eine interessante idee, die mir einzig bei diesem recht festen gedicht nicht so ganz passend scheint.

gruß, friederich
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Re: Nachtbruch

Beitragvon Antibegone » Mi 04 Feb, 2009 12:27


Huhu Friederich :-)

Dass es hart klingt, finde ich mittlerweile auch, allerdings ist dies für mich kein Widerspruch zum Gehalt, denn die Dunkelheit bemächtigt sich der Szenerie ja durchaus kräftig ("greift").


Hmm, ja, das leuchtet mir ein. Ich habe da vermutlich ein anderes Bild vom „Einschlafen“; eher ein Sanfteres *g*

Auf der anderen Seite: Passt dann der regelmäßige, weiche Rhythmus dazu?
Ich weiß es nicht, ich habe einfach das Gefühl, dass in dieser Strophe etwas nicht „stimmig“ ist und das bereitet mir dieses „Unbehagen.“

Inhaltlich bleibt es natürlich Interpretationssache. Für mich ist das Gedicht aber vor allem der erste Teile des Gegensatzes "Tag und Nacht", das Gegenstück zu "Tagbruch".


Das ist ein interessanter Gedanke, der sich mir beim Lesen nicht erschlossen hat. Insofern macht die erste Strophe sicherlich Sinn – hmm, schade nur, dass sie das Gedicht „inhaltlich eingrenzt“.
Für sich wäre die zweite Strophe viel wirkungsvoller, viel allgemeingültiger.
Aber ist am Ende wohl Geschmackssache.

Die Überarbeitung mit der Reduzierung des „was“ gefällt mir übrigens.

Liebe Grüße,
Deine Traumi
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Re: Nachtbruch

Beitragvon Friederich » Mi 04 Feb, 2009 12:43


Hi Traumi,

glücklicherweise ist es keine allgemeine Aussage über das Einschlafen, viel eher die einer Naturgewalt; weil dies ein natürliches "Uhrwerk" ist, habe ich den Rhythmus gewählt. Ich kann mir vorstellen, dass dein Unbehagen genau durch diese Verbindung mit dem Motiv "Einschlafen" kommt. Aber sicher, es ist nicht wirklich ganz rund...

Freut mich, dass dir die Überarbeitung gefällt.

LG und auf bald,

Friederich
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Re: Nachtbruch

Beitragvon Perry » Mi 04 Feb, 2009 14:53


Hallo Friederich,
ein Text, der lohnt genauer betrachtet zu werden. Sehr gut gelungen ist für mich der zweite Vers, weil er deutlich lockerer zu lesen ist. Der erste Vers erscheint mir dagegen zu gewollt. Im einzelnen:
Später -> fragt nach einem Vorher, das nicht existiert. Warum also nicht nur "spät."
"... blickt schweigend / ein Dunkel auf Stunden -> ein Blick ist meist schweigend und welche Stunden sind gemeint, doch wohl die zurückliegenden.
"ergreift schwere Lider / durchtränkt sie mit Nacht" -> hier ware für mich "legt sich auf Lider" und "beschwert sie mit Nacht" naheliegender.
Zusammengefasst könnte die erste Strophe also auch so aussehen:

Spät blickt ein Dunkel
zurück auf Stunden,
legt sich auf die Lider,
beschwert sie mit Nacht.

Ich hoffe, du kannst die eine oder andere Anregung daraus entnehmen. Mir hat es jedenfalls Spaß gemacht, mich mit deinem Text auseinanderzusetzen .
LG
Perry
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Re: Nachtbruch

Beitragvon Friederich » Mi 04 Feb, 2009 17:27


Hi Perry,

danke für die Beschäftigung mit dem Text. Deine Anregungen finde ich interessant, kann mich aber im Moment nicht dazu durchringen, das feste Metrum der ersten Strophe zu ändern. Ansonsten freut mich dein Gefallen an der zweiten Strophe.

Gruß, Friederich
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