Alle Gedichte, die in keine andere Kategorie passen

backgammon

Beitragvon Alcedo » Mo 16 Feb, 2009 10:28


backgammon

backgammon
spiel ich mit dir
splitternackt am see
auf einer insel aus
umgedrehtem schachbrett
schneidersitz und decke
beflankt von
ungemähtem wiesengras
jungen disteln und stauden
und
meine würfel
springen dir
zwischen die beine.
Alcedo
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Re: backgammon

Beitragvon Drehrassel » Mo 16 Feb, 2009 12:09


hallo alcedo,

das liest sich wie ein willkürlich in verszeilen geschnippelter prosasatz, den man - ohne dass ihm dabei etwas verloren ginge - als fließtext hätte gestalten können. zwar entwirfst du hier eine idyllische szene, auf welche man sich gerne mal für einen moment einlassen mag... aber leider ist der "zauber" dieser beiden sich am strand eines badesees tummelnden auch wieder recht bald verflogen. warum? weil sich die sinnlichen data nicht haben "einverwandeln" lassen in eine ihnen gemäße - poetisch - gestaltete sprache. es fehlt an mehrdeutigkeit, symbolkraft der vielen genannten substantive. vielleicht hättest du nur ein kleines bisschen mehr an der syntaktischen struktur deines textes arbeiten, dir ein paar schöne, mehrere lesarten eröffnende zeilenumbrüche einfallen lassen müssen, um begriffen wie "spiel", "flanken", wiese", "würfel", "distel", "staude" etc. eine engere bezugsebene zu schaffen, bildfelder, metaphern... oder sie durch geschickte fügung innerhalb einer "offeneren" syntax, durch ineinander- und parallelführung der syntagmen, bei gleichzeitiger justierung ihrer semantischen funktionen durch spielerischen umgang mit ihren "sinnbezirken", ihren lexikalischen (bedeutungs-)feldern, chiffren werden lassen: denn dein wortschatz wirkt durchaus sehr bewusst gewählt, sehr abgewogen. ohne dass ich das jetzt genau prüfe: ja, eine sehr nuancierte verteilung von substantiven, verben, attributen, personalpronomina... da merkt man schon, dass du erfahrung hast, einen satz zu bilden, ohne den leser zu tode zu langweilen. auch das vokabular als solches hätte mehr hergegeben, wie schon gesagt. für eine moment frug ich mich tatsächlich, ob ich es hier mit der sogenannten "absoluten metapher" zu tun hätte, also einem ganzen "metaphernschwarm", welcher nur noch aus bildspendern ohne bildempfängern besteht und die tendenz hat zur rein innersprachlichen referenz. oder ob hier vielleicht eine raffinierte - implikative (d.h. nur mit textinternen indizien auf ihre bedeutung ausgestattete) allegorie anzunehmen sei... denn dieses potential wohnt deinem kleinen gedicht durchaus inne. dass dir, alcedo, etwas in dieser richtung wohl auch vorschwebte, lässt sich erkennen an der einzigen stelle des textes, wo so etwas wie eine angestrengte, ja schon fast zu bemühte "metaphorisierung" des sprachmaterials geschieht, nämlich hier:"... insel aus / umgedrehten schachbrett / schneidersitz und decke".
/ aber insgesamt ist dieser versuch, dem text ambiguität zu verleihen, leider viel zu harmlos ausgefallen. zwar muss man schmunzeln. aber es bleibt nichts hängen davon als ein paar blasse kurze erinnerungen eigener mehr oder weniger schöner stunden, die man mit einem lieben menschen sommers an einem badesee verbracht hätte. (an dieser stelle doch ein kleines kompliment von mir: ich musste ziemlich lange überlegen, ob ich je in einer solchen situation ein backgammon-spiel spielte... tatsächlich, es ist, als müsste es so sein... als wäre ein solcher moment ohne backgammon einfach nicht vorstellbar :D )

ich weiß, ich wiederhole mich, aber ich würde mir wünschen, du könntest aus dem gedicht noch etwas mehr heraus arbeiten, was ihm an potential sicherlich innewohnt, indem du vor allen dingen eine spannendere beziehung zwischen den hauptstrukturelementen der verskunst (hier: der lyrik) schaffst. dies dürfte gelingen durch einsetzen durchdachterer enjambements, durch eine re-kombination einzelner satzglieder und wortgruppen, also dadurch dass du deine zeilenumbrüche öfter dorthin verlegst, wo nicht eine interpunktion allein die syntaktische struktur eines einzelnen haupt- oder nebensatzes festlegte, auf welche du ja - wohl nicht ohne grund - verzichtetest. desweiteren ermangelt es also auch den bildfeldern deines textes an intensität und letzten endes auch an lyrizität, sodass es nicht zu einer eigentlich metaphorik kommen kann. /

ich hoffe, meine überlegungen und vorschläge helfen dir ein bisschen weiter.

liebe grüße,
drehrassel
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Re: backgammon

Beitragvon Alcedo » Mi 18 Feb, 2009 12:07


hallo drehrassel

danke für die Rückmeldung.
du meinst bei folgender Form ginge nichts verloren?:

backgammon spiel ich mit dir splitternackt am see auf einer insel aus umgedrehtem schachbrett schneidersitz und decke beflankt von ungemähtem wiesengras jungen disteln und stauden und meine würfel springen dir zwischen die beine.

da gehen mir erstens die Zeilenumbruchszäsuren flöten, zweitens braucht es so Interpunktion und drittens sieht es dann ja nicht mehr aus wie Backgammonspielsteine im Haus und ist optisch überhaupt nicht ansprechend. da spricht also einiges dagegen.

es war hier nicht beabsichtigt Chiffren zu verwenden. ich glaube ich habe den Text auch bewusst nur an einer Stelle offen gehalten: im Schritt. den Vorwurf zu wenig Lesarten eröffnet zu haben, weise ich somit als unbegründet zurück: nackt bleibt nackt, wiesengras bleibt wiesengras und jung will jung sein und viel weiter nichts. die simple Lesart kanalisiert mir gelungen genug und ohne Umschweife das Würfelglück.
die lexikalischen Bedeutungsfelder der Wörtern bleiben ja eh immer frei auslegbar und harren den pflückenden Augen (-> Staude, Flanke, Spiel).

deine Anmerkungen wie den Wunsch nach mehr Struktur bei offeneren Syntax finde ich trotzdem interessant, aber bei diesem Text vielleicht nicht anwendbar.

puh, Metaphernschwärme? wer schöpft nicht gern aus dem Vollen, drehrassel? ich werde es sicher nicht verneinen dass ich sowas könnte. auch eine allegorischer Ruf nach der Göttin der Begierde will ich den Versen natürlich zugestehen: Aphrodite, die Würfel sind gefallen!

tatsächlich, es ist, als müsste es so sein... als wäre ein solcher moment ohne backgammon einfach nicht vorstellbar

für das hier ein Extra-Dankeschön - das ist der schönste Lohn des Lyrikers! merci beaucoup!
und das lange überlegen nehme ich dir natürlich nicht ab (es schmeichelt mir aber, weil der Text auf dieser maskulinen Ebene offensichtlich perfekt funktioniert). das weiß man(n) doch sofort: hatte ich schon, oder hatte ich nicht (aber würde es, Aphrodite sei dank, hoffentlich gerne haben).

deine finalen Überlegungen und Vorschläge habe ich mehrfach gelesen. ich danke abermals und wir werden sehen ob sie mir weiterhelfen.

Gruß
Alcedo
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Re: backgammon

Beitragvon Drehrassel » Mi 18 Feb, 2009 20:05


hallo alcedo,
danke für deine rückmeldung. hier noch einige anmerkungen meinerseits:

[quote="Alcedo":1446dvw7]
du meinst bei folgender Form ginge nichts verloren?:

backgammon spiel ich mit dir splitternackt am see auf einer insel aus umgedrehtem schachbrett schneidersitz und decke beflankt von ungemähtem wiesengras jungen disteln und stauden und meine würfel springen dir zwischen die beine.

da gehen mir erstens die Zeilenumbruchszäsuren flöten, zweitens braucht es so Interpunktion und drittens sieht es dann ja nicht mehr aus wie Backgammonspielsteine im Haus und ist optisch überhaupt nicht ansprechend. da spricht also einiges dagegen.

[/quote]

also...

1. zeilenumbruchzäsuren gehen flöten:

stimmt alcedo. ich möchte nicht herablassend oder zynisch klingen, aber darauf kann ich leider nur erwidern: ach, was?! ja, so gingen deine zeilenumbruchzäsuren flöten, alcedo. oO

2. so braucht es interpunktion:

ähm... ja, genau! so bräuchte es interpunktion. - das heißt, wenn es sich nicht orientieren und beziehen wollte auf diverse versuche aus der avantgarde, ganze romane ohne kommasetzung und majuskeln/großbuchstaben zu zu verfassen wie nanni balestrinis "i furiosi" etwa.

3. sieht dann nicht mehr aus wie backgammonsteine im haus und ist optisch nicht mehr ansprechend:

gut, das stimmt wieder. nun, wenn es dir so sehr darauf ankam, dieses optisch-grafische schmankerl mit einzubeziehen in die konzeption deines... halt! - war das vielleicht die hauptmotivation für die form dieses gedichts?

[quote="Alcedo":1446dvw7]es war hier nicht beabsichtigt Chiffren zu verwenden. ich glaube ich habe den Text auch bewusst nur an einer Stelle offen gehalten: im Schritt. den Vorwurf zu wenig Lesarten eröffnet zu haben, weise ich somit als unbegründet zurück: nackt bleibt nackt, wiesengras bleibt wiesengras und jung will jung sein und viel weiter nichts. die simple Lesart kanalisiert mir gelungen genug und ohne Umschweife das Würfelglück.
die lexikalischen Bedeutungsfelder der Wörtern bleiben ja eh immer frei auslegbar und harren den pflückenden Augen (-> Staude, Flanke, Spiel).

deine Anmerkungen wie den Wunsch nach mehr Struktur bei offeneren Syntax finde ich trotzdem interessant, aber bei diesem Text vielleicht nicht anwendbar.

[/quote]

na, gut. also, einverstanden. ein sprachkunstwerk muss nicht immer seine ganze qualität generieren aus einer möglichst angestrengten mehr- und vieldeutigkeit. auch ist es nicht leicht, einem wort durch sein vorkommen in einem aus dem gesamtwerk herausgelösten text die bedeutung einer chiffre zukommen zu lassen. wenn zudem der autor dieses gar nicht erst anstrebt. sollte man darüber nicht länger diskutieren wollen. /
dass dir meine anmerkungen aber dennoch interessant erschienen, freut mich. :)


[quote="Alcedo":1446dvw7]

puh, Metaphernschwärme? wer schöpft nicht gern aus dem Vollen, drehrassel? ich werde es sicher nicht verneinen dass ich sowas könnte. auch eine allegorischer Ruf nach der Göttin der Begierde will ich den Versen natürlich zugestehen: Aphrodite, die Würfel sind gefallen!

[/quote]

:D
tja, alcedo... drehrassel wäre wohl nicht drehrassel, wartete er nicht manchmal mit solcherlei begrifflichkeiten auf und versuchte jeden text zu lesen, als müsse darin jedem noch so harmlos daherkommenden wörtchen eine bedeutsamkeit zukommen, die.. die... also ehrlich jetzt! - ihresgleichen suchte, oder so. nein, im ernst alcedo, zugegeben, vielleicht war ich an dieser stelle etwas übermotiviert. ;)

[quote="Alcedo":1446dvw7]
tatsächlich, es ist, als müsste es so sein... als wäre ein solcher moment ohne backgammon einfach nicht vorstellbar

für das hier ein Extra-Dankeschön - das ist der schönste Lohn des Lyrikers! merci beaucoup!
und das lange überlegen nehme ich dir natürlich nicht ab (es schmeichelt mir aber, weil der Text auf dieser maskulinen Ebene offensichtlich perfekt funktioniert). das weiß man(n) doch sofort: hatte ich schon, oder hatte ich nicht (aber würde es, Aphrodite sei dank, hoffentlich gerne haben).
[/quote]

nein, du hast recht. ich habe nicht lange überlegt. ich wollte dir hauptsächlich ein schön formuliertes kompliment machen. aber ein bisschen überlegt habe ich schon... glaub mir ruhig...

[quote="Alcedo":1446dvw7]
deine finalen Überlegungen und Vorschläge habe ich mehrfach gelesen. ich danke abermals und wir werden sehen ob sie mir weiterhelfen.

Gruß
Alcedo[/quote]

ja, vielleicht ergibt sich ja mal wieder die gelegenheit, dass wir uns gemeinsam gedanken machen über diesen oder jenen text. ich finde, auch wenn man die vorschläge seiner kritiker und kommentatoren nicht umsetzt, hilft einem immer und in jedem fall weiter, gemeinsame textarbeit zu leisten. beide seiten haben was davon. ja, ich finde, das ist eine klassische win-win-konstellation. :D

liebe grüße,
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Re: backgammon

Beitragvon Alcedo » Di 03 Mär, 2009 11:38


ich kann es nicht mehr sagen, ob die Hauptmotivation für die Form in den Spielsteinen begründet ist. das Gedicht ist schon älter. die Kleinschreibung habe ich jedenfalls bewusst deshalb verwendet, wegen der Optik 8das weiß ich noch). der Rest bei der Formgebung lief wohl unbewusst ab.
ich hab auch bei den aufgelisteten Begründungen nicht viel nachgedacht, sondern spontan aufgeschrieben was mir in den Sinn kam. sorry, wegen den Banalitäten.

[quote="Drehrassel":2pmd6d25] ich finde, das ist eine klassische win-win-konstellation. [/quote]
ja, ich auch. und deshalb gefällt es mir hier im Forum.

Gruß
Alcedo
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