Geschichten zum Thema Alltag

aus.bluten

Beitragvon apnoe » Do 27 Aug, 2009 00:19


als dieser sommer die augen zu schließen begann, verdorrten die blätter der sonnenblumen gemeinsam mit ihrem lächeln. ihre stacheligen stängel, die schief, aber gehalten, im beet gestanden hatten, barsten nun in der trockenheit und die weißen fasern, das seidige innere, kehrten sich nach außen und vergrauten.
die nacktschnecken, denen sie blaukorn hingeworfen hatte, starben grausam. sie wanden sich und schleimten, schäumten silberne fäden, bis sie sie mit einer schaufel entzwei stach. nach manchen bückte sie sich, um sie aufzuspießen und in den himmel zu schleudern, der erst weit weg von ihr begann. sie suchte nach der brut, nach den kleinen, weißen, glänzenden kugeln, unter morschen brettern, steinen, in erdritzen, und zerrieb sie zwischen zwei steinen.
seit tagen blutete sie, als ob es das letzte mal gewesen wäre, dass ihr körper sich bereit zu machen gedacht hatte. sie erinnerte sich, dass sie sich im geheimen noch ein kind gewünscht hatte. das gestockte blut klumpte in einer roten spur über ihre nackten beine. es kümmerte sie nicht. es war niemand da. keiner, für den sie sich auch nur den schleim von der nase wischen mochte, ihre haare waschen oder sich kämmen würde. sie aß nicht. sie war jetzt niemand. der sommer hatte das gebracht. im nächsten winter würden sich ihre lachfältchen endgültig in krähenfüße verwandeln und die furchen um den mund tiefer einkerben. was das neue jahr ihr bescheren konnte, würde nicht besser sein, als all das, was ihr das letzte genommen hatte. warum sollte sie also. sie wollte nichts mehr.
die tomaten, die sie vor den schnecken, der hitze und dem regen beschützen wollte, hatten ihr pralles wangenrot verloren. schimmel fraß sich ins innere. mit einem streich über die staude ließ sie abermillionen staubige zeugen des zerfalls frei. sie hustete, als diese ihre lungen entdeckten und zu tausenden besiedelten.
dann riss sie mit müder geste die rosmarinbüsche aus. sie würde keinen kranz mehr für sich winden, sie hatte ihre zeit gehabt. und der rosmarin auch.
es gibt augenblicke, in denen eine rose wichtiger ist als ein stück brot. (rilke)
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Re: herbstfrau

Beitragvon Pio » Do 27 Aug, 2009 06:27


Morgen apnoe,

- obwohl ich wenig mit Lyrik am Hut habe, hat mich die wunderschöne Sprache begeistert.

- obwohl ich nicht auf überquellende Metaphern stehe, haben sie mich in deinem Text beeindruckt.

- obwohl ich Texte, die sich auf etwas Aktuelles beziehen, bevorzuge, hat mir der deinige sehr gefallen.

dann riss sie mit müder geste die rosmarinbüsche aus. sie würde keinen kranz mehr für sich winden, sie hatte ihre zeit gehabt. und der rosmarin auch.


Das halte ich für einen beeindruckenden Schluss!

Chapeau!


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Re: herbstfrau

Beitragvon apnoe » Fr 28 Aug, 2009 16:13


danke schön, was soll man zu soviel aber unds sonst noch sagen. lächelt*
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Re: herbstfrau

Beitragvon OlafmitdemTraktor » Fr 04 Sep, 2009 10:33


hallo apnoe,

einen text hast du hier eingestellt, der mich hin-und hergerissen sieht.
so habe ich vor einigen tagen gestöhnt, oh das ist aber kitschig, konnte mich aber später wiederum vom sprachfluss und deinen schönen formulierungen gefangen nehmen lassen.
so stellt sich mir die frage, weshalb kann ich mich nicht eindeutig entscheiden?
zunächst der titel. für mich eher ungünstig, weil ich sofort an rosamunde pilcher denken muss. davon abgesehen zentriert sich zwar die geschichte im titel, nimmt aber zu viel vorweg. die vorwegnahme ist an den ersten, einleitenden aber m. e. völlig unnötigen, weil viel zu erklärenden , satz gebunden.
den ersten satz würde ich ersatzlos streichen. umso schöner wäre dann der unvermittelte einstieg in das gartenszenario, wobei der leser noch keine ahnung empfände, was im weiteren verlauf auf ihn zukäme. außerdem kommt gerade der erste satz sehr klischeehaft daher, typische geschichte: alte frau, aufgeopfert für familie, kinder, mann, später allein und einsam.
das schreckt ab und ist so unnötig, weil du im verlauf der geschichte das älterwerden und kranksein auf poetische weise beschreibst und dem leser assoziationsfreiraum gewährst.
also bitte, schieß den ersten satz auf den mond.

im dritten abschnitt stören mich die "himmelblauen" körner.
ja, das blau korrespondiert zwar sehr gut mit dem darauffolgenden "himmel", in dessen richtung die schnecken geschleudert werden, aber himmelblau klingt für mich hier sehr bemüht und etwas dick aufgetragen, zumindest wirkt es so auf mich. ( ich weiß, einmal blau muss sein ;) )


so verging alles, weil es vergehen sollte.


hier würde ich auf meine argumentation zum eingangssatz hinweisen. unnötig, weil einerseits in bezug auf die schnecken fragwürdig und andererseits zu lehrhaft, zu wissend daherkommend.

meisen hängten sich ihr ins nach unten gewandte gesicht und bald gähnte sie zahnlos und schwarz. kein korn war auf guten boden gefallen, die tiere hatten alles für sich genommen.

und auch diesen satz würde ich ersatzlos streichen, weil durch die streichung ein plötzlicher schwenk vom schneckenszenario zur eigenen malaise erfolgte, der leser wäre aufgeschreckt, weil dies so nicht zu erwarten war und ein direkter vergleich tierwelt menschenwelt bezüglich leben nehmen und leben genommen bekommen hergestellt wird. assoziationsfelder sprängen direkt ins auge.

die tomaten, die sie vor den schnecken, der hitze und dem regen beschützt hatte, hatten ihr pralles wangenrot verloren.

hier vielleicht die aneinanderfolge von zweimal "hatte" überdenken. muss man aber nicht zwingend.

dann riss sie mit müder geste die rosmarinbüsche aus. sie würde keinen kranz mehr für sich winden, sie hatte ihre zeit gehabt. und der rosmarin auch.


der letzte satz ist großes kino. gefällt mir sehr. hier kann der leser auch entdecken, dass es sich um eine alte frau handeln muss (unabgesehen von der vorher beschriebenen erkrankung), da sie zu einer generation gehören dürfte, welcher das kranzflechten durchaus geläufig war.

alles in allem ein starker text, wenn nicht.... siehe oben.

liebe grüße von OlafmitdemTraktor

Hildegard sagt: "Der doofe Olaf hat schon wieder recht." :D
Der Schlüssel zum Glück ist auf jeden Fall ersteinmal ein Schlüssel. (Gregor Libkowsky)
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Re: herbstfrau

Beitragvon apnoe » Fr 04 Sep, 2009 22:33


hey olafski traktorski. cool ein echter kommentar, mit dem ich was anfangen kann. danke.
titel ändern. hm. ich hab angst vor rosamunde pinscher. hast du eine idee?
ich hab mich aber mal gleich entschlossen, den ersten satz zu kürzen.
ähm die himmelblauen körner sind eine art schleichwerbung..für den bösen schneckenoverkill. da schleimen die dreimal so grausig wie bei eisen-mol (g*) weißt?
aber naja, ihr sammelt aus dem beet oder salzt die hildegard?
okay, mal sehen. einmal blau muss sein.
stimmt. überlesch ich mir wat.okey.
und nun hüpf ich hurtig ins tomatenbeet, reiß ein zwei sätze raus und schon ist feierabend.
danke sehr herzlich fürs mitdenken.
liebundgruß , a

und rosmarin war früher auch bekannt als abtreibungsmittel. bräute bekamen ein kränzchen aus selbigem. das ist auch noch so eine zusatzinfo.
frag hildegard ihre omma.die weiß das sicher noch.
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Re: herbstfrau

Beitragvon OlafmitdemTraktor » So 06 Sep, 2009 10:50


hallo apnoe,
der einstieg in den text wirkt nun weitaus gelungener. gefällt mir sehr gut.
aber im folgenden holpert für meine begriffe ein wenig der sprachfluss.

ihre stacheligen stängel, die schief, aber gehalten, im beet gestanden hatten, barsten nun in der trockenheit und die weißen fasern, das seidige innere, kehrten sich nach außen und vergrauten. die lust auf das werden, das wachsen, verdarben beide.


mein vorschlag: ihre stacheligen stängel, die schief, aber gehalten, im beet gestanden hatten, barsten nun in der trockenheit. das seidige innere kehrte sich in weißen fasern nach außen, um bald darauf zu vergrauen.

"die lust auf das werden..." diesen satz unbedingt weglassen. hier kommt deine lust durch, allgemeingültiges, etwas zusammenfassendes zum text einfließen zu lassen. aber siehe obiger kommentar, das ist nicht nötig. der leser erfährt selbst innerhalb des textes, die dramatik vom werden und vergehen.

mit der veränderung des einstieges in deinen text und der streichung des "meisensatzes" hat dein text enorm gewonnen.

ja, titelvorschläge? warum nicht die beiden tragenden teile des textes in worte binden?
"schnecken und blut" klingt reißerischer aber auch geheimnisvoller.
weitere varianten: "schneckenzeit", "ein sommer endet", "herbstblut", "auszeit", "ausgeblutet" und mein favorit: "aus.blutung".
wie auch immer, jedenfalls nicht herbstfrau. ;)

die gesetzten beziehungen innerhalb des textes von blut, fruchtbarkeit, vergehen und eigenen hoffnungen und wünschen (rosmarinkranz/ die bedeutung war mir nicht geläufig, umso passender hier eingebunden) und das älterwerden sind fein gesponnen und regen zum nachdenken an.

aber bitte diesen satz: "die lust auf das werden, das wachsen, verdarben beide" streichen.

findet OmdT

liebe grüße auch von hildegard
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Re: aus.bluten

Beitragvon apnoe » Fr 18 Sep, 2009 18:05


okayokay, ich verlasse mich jetzt einfach auf hildegards fachliches urteil.
danke euch beiden.
:D
lieben gruß p
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Re: aus.bluten

Beitragvon Struppigel » Mi 30 Sep, 2009 15:00


Hallo apnoe,

das ist auf jeden Fall ein Text, den man langsam lesen muss. Es fällt sehr leicht, ihn zu lesen, ohne irgendetwas ins Bewusstsein dringen zu lassen. Es erfordert einiges an Konzentration, die Bilder im Kopf entstehen zu lassen und erst dann kann man auch die Schönheit und mit ihr die Melancholie des Textes erkennen.
Die Stärke liegt eindeutig in den Bildern, sie sind für mein Empfinden in sich stimmig. Die Schwäche auch, denn kitschig ist es schon, dass alles im Bereich Blumen und Garten angesiedelt ist - es passt aber sehr gut zum Tätigkeitsbereich der alten(? zumindest scheint sie in die Menopause zu kommen, wenn man das letzte Blut so deuten will) Frau, die beschrieben wird.
Die Kleinschreibung will mir nicht einleuchten und auch nicht gefallen. Das erschwert das verstehende Lesen nur unnötig.
Nach dem Lesen wirkt mir zu wenig vom Text nach. Er ist eine Momentbeschreibung ohne Zukunft und ohne Vergangenheit. Da fehlt mir noch etwas mehr Inhalt, um wirklich begeistern zu können.

Liebe Grüße
Struppi

PS: Der Titel gefällt mir!
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Re: aus.bluten

Beitragvon apnoe » So 04 Okt, 2009 23:34


hey danke, liebes igi... über die groß und kleinschreibung bei prosa hab ich mich mit mir nun ausführlich unterhalten, ich denke du hast recht, sage ich. also werde ich das wohl demnächst ändern- die lesbarkeit ist dadurch erschwert. stimmt,.
der titel ist eine variation von hildegards vorschlag....- also irgendwie nicht von mir. leider.
ja, und der inhalt... hm..ich bin auch in der prosa ein momentenkrämer. ich glaub mehr hab ich da nicht zu bieten. ja. - sie hat ja nämlich weder vergangenheit noch zukunft.
irgendwie gings mir um diese perspektivenlosigkeit.
auch wenn dich der text deswegen nicht begeistert.
ich verstehe die erwartungshaltung zu einer geschichte... aber ich find auch gut, dass genau dieses gefühl so ankam bei dir.
ich freu mich, dass du dir die mühe gemacht hast, mir eine kritik zu schreiben. wenns nicht schon so spät wäre, dann würde ich mich auch gleich an die mühe des großschreibens machen, aber so...gähn* und zuerst schläft*
lieben gruß for best of igis ;)
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