Für alle Gedichte, die zwischenmenschliche Beziehungen behandeln - mit Ausnahme der Liebeslyrik

rüter

Beitragvon Anna Lyse » Do 28 Jan, 2010 03:42


kommt etwas abend nicht
grober schatten streuen atemklein,
schlägt er wenig an
zahnfühlern lahm im duft/
scheue sucht wie das reh
auf der landstraße springt
hoch und fällt errötet im werferlicht,
dunkel leckt.
.
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Anna Lyse
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Re: rüter

Beitragvon Friederich » Fr 29 Jan, 2010 22:32


Liebe Isa,

schon der Einstieg nimmt mir den Atem. Das Wortspiel muss gar nicht innovativ sein, um an dieser Stelle unglaublich wirkungsstark zu sein, zumal beim zweiten Lesen, wo die äußere Verortung (Wald, Landstraße) bereits bekannt ist und der Schattenkegel des Abendnichts auf etwas fällt, das durch die Ellipse der Fantasie des Lesers überlassen bleibt. Eine andere Lesart wäre, dass der Abend überhaupt nicht kommen will und damit eine Leere verbleibt. Beide Lesarten würden so verschmelzen.

Dem Rest kann ich mich nur intuitiv nähern. Worte und Wortarten verschmelzen hier und bauen eine innere Stimmung, die durch die Vermischung von Wortfeldern (atemklein streuen) etwas inneres gewinnt. Der Duft umgibt alles, bildet ein träges, ein handlungsloses, intensives Umfeld. Die „Scheue“ und der Vergleich („wie“) sagen mir, dass ab hier das Metaphorische an Bedeutung gewinnt. Das ungenannte lyrische Ich ist scheu und sucht nach etwas, wobei es sich, unschuldig, verspielt, arglos, wie das Reh in große Gefahr begibt. Das Erröten im Werferlicht (ich finde das unvollständige Wort hier stark, weil das „Werfen“ des Lichts, das Brutale des plötzlichen Beleuchtens hier so hervorgehoben wird) wird hier zum Bild dafür, dass die Gefahr keine Flucht zur Folge hat, sondern peinliche Berührung, die aber nichts weiter bewirkt, als dass das Licht, so plötzlich es auch gekommen ist, wieder im Dunkel verschwunden ist. Das Dunkel leckt, es nimmt sich die Umgebung wieder und das implizite lyrische Ich in Form des scheuen Rehs wird am Ende nicht einmal mehr erwähnt.

Vor allem das drückende Ende und der Anfang haben mich gefangen genommen. Dass kein Lesefluss aufkommen will, sondern eher ein Leid mit dem impliziten lyrischen Ich und unter dem Fragmentarischen, (das aber genau dadurch seine Wirkung so gut erzielt), ist nicht schlimm. Im Gegenteil: Eine Stimmung wie diese war nur auf diese Weise und ganz genau so auszudrücken.

Viele Grüße,

Friederich
L'avenir, on ne l'attend pas comme on attend le train. L'avenir, on le fait. (Georges Bernano)

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Re: rüter

Beitragvon Anna Lyse » Sa 30 Jan, 2010 01:28


hallo friederich,

vielen dank für diesen wiedermal ausführlichen kommentar von dir! hat mich gefreut zu lesen. nun, bei vielem weiss ich nicht was ich sagen soll und muss mich etwas am kopf kratzen, weil mich der text nicht so beflügelt wie dich. du hast den anfang und auch das ende so hervorgehoben...genau die stellen, vor allem das ende womit ich so meine probleme habe. dem ende habe ich vorgestern noch das "und" genommen, weil ich unzufrieden war. nachdem ich eine woche über dem text saß, hatte ich mich doch in einer leicht zweifelhaften situation mitten in der nacht entschlossen diesen text doch! hier reinzustellen. etwas unbedacht, zumindest für mich. was solls :D
find es ja wirklich fast berauschend was du darin alles siehst, und zum teil wiedererkennst.

Eine andere Lesart wäre, dass der Abend überhaupt nicht kommen will und damit eine Leere verbleibt. Beide Lesarten würden so verschmelzen.


das war meine erste schreibart. der abend soll nie kommen. tag soll immer sein. tag = abend, sowas in der art. verdrängung der nacht, könnte man das hier bezeichnen.

die sache mit dem reh, ja sie ist eine metapher, da ich hier sicherlich nicht ein tatsächliches reh beschreibe das in einer nacht vors auto rennt und stirbt. das reh als eine art sinnbild für den abend hier: das dunkle, welches wir das lyr. ich und du? mit dem auto überfahren. umbringen. um den tag nicht loszulassen. denn der abend so bekannt mit seiner schwermut etc. ist an der stelle einfach nicht erwünscht.

Das Erröten im Werferlicht (ich finde das unvollständige Wort hier stark, weil das „Werfen“ des Lichts, das Brutale des plötzlichen Beleuchtens hier so hervorgehoben wird)


freut mich wenns gefallen hat :) das wort wurde deshalb unvollständig geschrieben weil ich das wort "licht" nicht verwenden wollte. licht hier und licht da, es ist einfach genug. und mir an der stelle zu plakativ, auch wenn es um den tag in der nachtgestalt geht.

Das Dunkel leckt, es nimmt sich die Umgebung wieder und das implizite lyrische Ich in Form des scheuen Rehs wird am Ende nicht einmal mehr erwähnt.


nun ja, schwierig diese ende und es wundert mich etwas das hier nichts auszusetzten ist. denn das reh sollte ja das dunkle sein und plötzlich leckt es auch noch...doch was? die straße, das rot ? ja was hmmm? unvollständig find ich das ein wenig aber gut, will ich mal nicht so kritisch sein. danke dir!

Dass kein Lesefluss aufkommen will, sondern eher ein Leid mit dem impliziten lyrischen Ich und unter dem Fragmentarischen, (das aber genau dadurch seine Wirkung so gut erzielt), ist nicht schlimm.


nicht schlimm? nun sagen wir mal so...das kein lesefluss existiert ist in meinen augen nicht so ganz richtig. denn er existiert. du sollst ihn dir machen! also mach gefälligst!! irgendeinen.
das ist eigentlich wirklich ein gedanke gewesen beim schreiben, so leseflusslos, unrythmisch. der leser soll sich gefälligst einen machen, denn es ist möglich. sicherlich erschwert und natürlich ganz und gar nicht aber das ist eine frage des lesens. ok aber das kann ich glaub nicht erwarten obwohl ich hier mal ausnahmsweise eine erwartungshaltung an den reader hatte.
freut mich aber das es so leseflusslos gefallen hat friederich :)

gruß,
isa

noch was :D das ganze ding sollte eigentlich in lichtblicke gepostet werden, doch hatte mich dann kurzfristig anders entschieden. über das "leid" wundere ich mich und muss wohl sagen dass ich was falsch gemacht habe wenn es so bei dir ankam denn es sollte fröhlich wirken...abwegig, das gebe ich zu.
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