Die Gewinnertexte des Wettbewerbes "Prosa des Monats" werden hierher verschoben

Hinter dem Vordergrund

Beitragvon Ruelfig » Do 25 Mär, 2010 21:14


Wir sind seit Tagen unterwegs in das Krisengebiet. Die Nachrichten sind widersprüchlich, Ereignisse sollen stattgefunden haben oder nicht. Die Spannung im Fahrzeug wächst stündlich. An Kontrollstellen versuchen wir, ruhig und professionell zu wirken, wir haben von den Unfällen gelesen.
Es wird zunehmend schwieriger, keine Seite zu ergreifen, jede der beteiligten Parteien bemüht sich, uns einzuspannen, unser Fahrer warnt uns davor, Geschichten zu glauben, die erzählt werden. Wir brauchen Beweise, Hintergrundwissen, müssen abtauchen, nach Quellen suchen, Teil des Bildes werden, ohne uns aufzulösen.
Die Farben sind gemischt, die Landschaft liegt vor uns als Leinwand, nun müssen wir den Pinsel führen.
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Re: Hinter dem Vordergrund

Beitragvon Struppigel » Di 30 Mär, 2010 19:13


Hallo Ruelfig,

sehe ich diesen Text vor dem Hintergrund, dass es ein 30-Minuten-Wettbewerbs-Produkt ist, halte ich ihn für eine sehr gute Leistung (auch, wenn er nicht gewonnen hat, aber Maex ist harte Konkurrenz ;) ).
Du schaffst etwas, was mir in 30 Minuten selten gelingt - der Text weiß zu überraschen. Man denkt unweigerlich an Irak u.ä. bei den Beschreibungen. Man fragt sich natürlich, was diese Wir-Erzähler dort vorhaben - vielleicht Journalisten. Maler sind jedoch das letzte, an das man da denkt. Bei "Teil des Bildes werden" interpretiert man das Bild noch als Gesamtsituation, bis man feststellt, dass es sich hier auch tatsächlich um ein gemaltes Bild handeln könnte (das die Situation treffenderweise auch darstellen kann).
Unweigerlich fragt man sich: Warum begeben sich mehrere Künstler in Gefahr, um Bilder zu malen? Inspiration sicherlich, das wird ja auch erwähnt. Sie wollen sich ein Bild machen und sie malen sogar schon dort, anstatt erst einmal nur Eindrücke zu sammeln und zu skizzieren, damit sie daheim in Sicherheit loslegen können. Schließlich ist das Malen eine langwierige Angelegenheit und man braucht Utensilien, die bei tagelangen Reisen eher umständlich mitzuschleppen sind.
Es sind Landschaftsmaler, das klingt wenig spektakulär und eher konventionell. Es klingt auch so, als würden sie keinen richtigen Beitrag für das Krisengebiet leisten und das bewirkt neben der Ent-Täuschung wegen der gebrochenen Erwartungen an die Rolle der Erzähler eben auch eine Enttäuschung über die vermeintliche Wichtigkeit der beschriebenen Mission. Sehr gut.

Nicht zuletzt bleibt aber auch die Lesart bestehen, den letzten Satz ebenfalls als Metapher zu sehen. Man hätte demnach keine Maler vor sich, sondern vielleicht tatsächlich Journalisten, die das mit der Leinwand auch nur so meinen, dass sie sich im sprichwörtlichen Sinne ein Bild machen.

Sähe ich die Geschichte ohne den Hintergrund des Wettbewerbs, würde ich sagen: Das ist ein guter Ansatz, reicht aber nicht. Für sich allein stehend hat es nicht genug Substanz, braucht so zu sagen mehr Fleisch auf den Knochen.

Viele Grüße
Struppi
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Re: Hinter dem Vordergrund

Beitragvon Garfield » Mi 31 Mär, 2010 14:47


Moin Ruelfig

Deine Geschichte gefällt mir. Im Gegensatz zu Struppi sehe ich die Protagonisten aber nicht als Maler, für mich hast du hier eine schöne Metapher für die Arbeit der Jounalisten gefunden.
Teil des Bildes werden, ohne uns aufzulösen.

Dieser Teilsatz gefällt mir gut. Wenn sie vermeintlich objektiv berichten wollen müssen sie sich mit der Situation beschäftigen, sie stecken ja auch schon mittendrin und dürfen sich trotzdem nicht einspannen lassen für eine Seite. Eine weitere Deutung wäre, dass sie aufpassen müssen nicht selbst Kriegsopfer zu werden.

Ansonsten finde ich vor allem den letzten Satz sehr gelungen. Sie haben die Pinsel in der Hand, dass heißt sie malen die Landschaft. Dadurch werden sie die Darstellung erheblich beeinflussen. In ihrer Hand liegt also sehr viel macht über die Darstellung des Konfliktes, denn nur über ihre Berichterstattungen wird man außerhalb was davon erfahren.

Alles in allem ist der Text ein nettes Fragment, vielleicht ein bisschen wenig für eine ganze Geschichte, es ist ja alles sehr allgemein und knapp gehalten, aber doch eine nette Einführung in die Thematik.

Gruß Garf
Kurz, er bewies eine Geduld, vor der die hölzern-gleichmütige Geduld des Deutschen, die ja auf dessen langsamer, träger Blutzirkulation beruht, einfach gar nichts ist.
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Re: Hinter dem Vordergrund

Beitragvon Ruelfig » Mo 05 Apr, 2010 19:42


Liebe Struppi,
vielen Dank für deine Anmerkungen. Du triffst es auf den Punkt, aus dem Zusammenhang "Wettbewerb" genommen ist es zu flüchtig, ich wollte gerne wissen, ob es sich lohnt, weiter daran zu arbeiten. Sieht ja so aus :) .
Hallo Garfield,
in der Ethnologie gibt es den Begriff "teilnehmende Beobachtung", beim Militär entsprechend "embedded journalists". Der Beobachter wird Teil des Geschehens, ohne aktiv einzugreifen und soll so ein Höchstmaß an Objektivität gewährleisten. Dass dieses kaum gelingen kann, hast du in deiner Kritik anschaulich dargestellt. Vielleicht mache ich wirklich mehr daraus, aber ich sehe für mich die Gefahr, dann selber wertend einzugreifen. Die Vorgabe im Wettbewerb auf hundert Worte fand ich sehr hilfreich. Danke auch dir und liebe Grüße an euch,
Ruelfig
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Re: Hinter dem Vordergrund

Beitragvon Struppigel » Do 02 Sep, 2010 13:21


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