Geschichten zum Thema Alltag

Minimale Geschwindigkeit

Beitragvon struktur-los » Mo 28 Nov, 2011 22:38


Auf festgetretenem Boden steht man sicher und eine Antwort aus den Gedanken der körperlich Überlegenen ist sein Sprungbrett für die kommenden Tage. Er will davon nichts wissen, ohne es zu wissen. Nimmt dankend das Stück Schokolade und beißt in die Zitrone. Wenn er schreiben soll, verschwimmen die Buchstaben und seine Worte sind nur Suppe, die mit dem, was im Buch steht nichts gemein hat.

Seine Freunde sind Spukgesichter, mit großen Augen und Mündern, in denen Lücken nicht auf Schulzähne warten. Bei ihm ist das anders. Wahrscheinlich ist er noch nicht reif für die schwierigen Aufgaben, die zu wenig Zeit bieten, um sie betrachtend in der großen Torte wiederzufinden.

Er vergisst oft etwas. Dieses Was hält sich gern versteckt in fremden Gewächshäusern – da, wo seine Blumen nicht gedeihen dürfen. Sie fühlen sich verloren zwischen Rosen und Tulpen. Selbst die Narzisse neigt ihren Kopf, wenn überhaupt, zur Sonne.

Seine Füße tragen ihn durch die Straßen zu dem Ort, wo der Druck steigt. Er geht trotzdem immer wieder hin. Dort kann er spielen – die Aufsicht ist dann nicht mehr die seine, weil er sich zuvor schon verabschiedet hat.

Zuhause ist da, wo er wohnt und dennoch immer ein Stück Draußen von Allem. Dort holt sie ihn gerne ab, das spürt er. Für ihn trägt sie die Unendlichkeit im Herzen - der Weg dorthin ist ein Wiederkommen. Manchmal träumt er von seltsamen Dingen. Wenn er ihr davon erzählt, schaut sie immer traurig aus und ihre Augen gleichen einem Meer, in dem zuvor schon all die Bilder zwischen Fischen, Tang und Muscheln verschwammen.

Er liebt die Klänge, die aus Musikinstrumenten schwingen. Gelegentlich stellt er sich vor, sie würden seine Emotionen aufs Dach tragen, von dort mit dem Wind in die ganze Welt, damit ein jeder seine Stimme hört.

Heute Abend muss er weinen. Sie nimmt ihn in den Arm. Er weiß, dass sie bei ihm ist, wirklich bei ihm ist - und doch hat er unendlich Angst, sie könnte eines Tages nicht mehr so mit ihm zusammensitzen und die Welt mit ruhigen Augen und Worten entschleunigen.

Da fasst er einen Entschluss - Er wird der Zeit ein Schnippchen schlagen. Von nun an wird er alles noch langsamer machen oder erst gar nicht damit beginnen, zu beginnen…
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