Alle Gedichte, die in keine andere Kategorie passen

linien

Beitragvon Smilodon » Fr 24 Okt, 2008 14:16


|: linien

alles ist geschichte und abend
um abend klopft
minervas eule leise ans fenster

gott ist vernunft ist wirklich
ist vernunft ist gott ist

tot

geschichte ist alles und wir
spucken den auf-
gekochten kohl auf den grund :|
Menneskets hjertes tanke er ond fra barndommen av.
Benutzeravatar
Smilodon
Stammuser
Stammuser
 
Beiträge: 723
{ IMAGES }: 0
Registriert: Mo 01 Sep, 2008 18:32
Eigene Werke
 

Re: linien

Beitragvon i.z. » Fr 24 Okt, 2008 18:05


Tacho.

Ich rätsle noch, was die Linien sind. Ist es ein Zwischen den Zeilen? Das würde aufgrund der vertikalen Anordnung Selbiger mir eine Idee vom fernöstlichen Raum suggerieren, wo ein Zwischen den Zeilen folglich in unserem Verständnis eher ein Zwischen den Spalten wäre. Dennoch verbindet es sich gut mit der Thematik der Geschichte, sind doch eben jene Völker der Fremde besonders stolz auf die Ihre, im Gegensatz (wahrscheinlich einzig) zu uns Deutschen.

So, gucken wir mal weiter. Aha! Nietzsche. "Gott ist tot" als Notwendigkeit der Vernunft einer Künstlerreligion, in Anlehnung damals noch an Wagner. Im gleichen Atemzug natürlich auch Wolfgang Zanders "Mal angenommen", was ja unmittelbar darauf aufbaut und es - ich möchte meinen - in ähnlicher Weise verarbeitet, wie du es hier tust.

Ich bin geneigt zu interpretieren, Nietzsche sei der Anfang vom Ende zu unterstellen. Er war nicht der erste, aber der lauteste. Und wenn alles Geschichte ist, jede Handlung im Augenblick ihrer Gegenwart schon wieder vergangen, also Historie, dann ist es um so schändlicher, wie wir Deutschen mit unserer Geschichte umgehen, wenn sie uns überhaupt interessiert. Aber auch Japan - um noch einmal auf diese These zurückzukommen - ist im Umbruch begriffen. Sannai Maruyama Kiseki warf große und wichtige Fragen auf und das Land schlitterte hinein in eine Revolution der Historiographie. Was soll man den Kindern in der Schule beibringen? Die Wahrheit? Können sie damit umgehen? Wie sollen sie dann ein Land lieben, das in der Vergangenheit so oft so grausam zu seinen Nachbarn gewesen ist?

Einzig Minervas Eule scheint sich verflogen zu haben. Die passt hier nicht in den Kontext. Von Metaphers Wegen her vielleicht, nicht aber vom Sprachgebrauch. Denn mit ihrer Anwesenheit wirft sie die Frage auf: Gott IST tot - folglich singular. Doch wer ist Minerva, wenn nicht eine Göttin unter vielen? Ein Paradoxon. Dass die Asiaten ebenfalls nicht monotheistisch sind, lasse ich jetzt jedoch mal außen vor. Schließlich erscheint mir die Parabel zu den Fernöstlichen selbst weit hergeholt, einer Erklärung des Titels und der Linien wegen, derer ich mir zu unsicher bin.

Deshalb war's das erstmal: ein paar wenig geordnete Gedanken - aber ich schätze, du kannst die Essenz extrahieren.

Grüße,
i.z.
"Bunt ist das Leben und granatenstark. Volle Kanne, Hoschis!"
Abraham Lincoln
i.z.
Etabliert
Etabliert
 
Beiträge: 112
Registriert: Mo 15 Sep, 2008 21:22
Eigene Werke
 

Re: linien

Beitragvon Smilodon » Fr 24 Okt, 2008 19:43


Hallo i.z.,

ich finde deine Ausführungen sehr spannend zu lesen, aber es ist furchtbar schwer darauf zu antworten, weil ich nicht sagen möchte und auch nicht kann "Das ist richtig" / "Das ist falsch".

Allerdings will ich auch kein großes Rätselraten beginnen nach dem Motto "Ich bin der tolle Autor, der was geschrieben hat, und ihr müsst raten, was ich meine", und dich auf glühenden Kohlen sitzen lassen und sagen "Deine Ansicht ist spannend und geht teilweise auch in die von mir gedachte Richtung, aber im Grundton trifft sie meinen Gedanken nicht ganz".

Vllt. lese ich einfach mal meinen Text in Zusammenhang mit deinen Ausführungen, ich glaube, das bringt uns beide am meisten und vllt. lerne ich meinen Text so nochmal ganz anders kennen.

Ich rätsle noch, was die Linien sind. Ist es ein Zwischen den Zeilen? Das würde aufgrund der vertikalen Anordnung Selbiger mir eine Idee vom fernöstlichen Raum suggerieren, wo ein Zwischen den Zeilen folglich in unserem Verständnis eher ein Zwischen den Spalten wäre. Dennoch verbindet es sich gut mit der Thematik der Geschichte, sind doch eben jene Völker der Fremde besonders stolz auf die Ihre, im Gegensatz (wahrscheinlich einzig) zu uns Deutschen.

Das finde ich zum Beispiel ungemein spannend zu lesen, diese Assoziation mit Fernost, die deine gesamte Interpretationsschiene durchzieht. Sofern ich aber nicht ganz auf meine "Intention" (wenn man dieses böse Wort als Autor heute überhaupt noch verwenden darf) verleugnen möchte, muss ich sagen, dass ich beim Schreiben des Textes daran in keinster Weise gedacht habe... dass es für dich dennoch aufgeht und spannend ist, das alles zu verfolgen, freut mich natürlich umso mehr.

So, gucken wir mal weiter. Aha! Nietzsche. "Gott ist tot" als Notwendigkeit der Vernunft einer Künstlerreligion, in Anlehnung damals noch an Wagner. Im gleichen Atemzug natürlich auch Wolfgang Zanders "Mal angenommen", was ja unmittelbar darauf aufbaut und es - ich möchte meinen - in ähnlicher Weise verarbeitet, wie du es hier tust.

Der Bezug zu Nietzsche ist eindeutig, ja, allerdings - und hier muss ich ein wenig korrigierend eingreifen, nicht nur zu Nietzsche, sondern vor allem zu Hegel ("Was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernünftig."), was ich hier nicht als "altkluger Autor" einwerfe, da die Zeilen offensichtlich auch ohne auf Hegel zu kommen, eine sinnvolle Deutung ermöglichen. Zumal es - obwohl Hegel natürlich vor Nietzsche war - bei Hegel ja wirklich um sowas wie das von dir aufgegriffene "Mal angenommen" geht... Mal angenommen, dass Gott (und damit die Vernunft) tot ist. Und dann tritt genau das ein, was du beschrieben hast.

Deine Deutung zu Minervas Eule fand ich auch sehr interessant, v.a. weil du erst meintest, dass sie sich verflogen hatte. Auch hier möchte ich nicht die ultimative Erklärung zu meinem Text bieten, sondern kurz kommentarlos (ohne Deutung) das Hegel-Zitat einstreuen: "die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug", das für mich in diesem Text eine ziemliche Rolle spielt, da es wieder auf die Geschichtlichkeit der Welt hinweist, die du selbst - auch ohne Hegel gefunden zu haben - anhand der Linien herausgelesen hast.

Ich danke dir für deine spannende Deutung und die interessante Assoziation mit Fernost, liebe Grüße,
Smilodon
Menneskets hjertes tanke er ond fra barndommen av.
Benutzeravatar
Smilodon
Stammuser
Stammuser
 
Beiträge: 723
{ IMAGES }: 0
Registriert: Mo 01 Sep, 2008 18:32
Eigene Werke
 

Re: linien

Beitragvon i.z. » Fr 24 Okt, 2008 21:12


Stimmt, an Hegel habe ich nicht gedacht. Und womöglich habe ich die Minerva zu engstirnig gedeutet. Denn Nietzsche hat sich ja ebenso des Dyonisos und des Apollon als Metaphern für den Rausch und die Kunst, welche sich gegenseitig bedingen und über einander definieren, bedient. So gesehen hat auch Nietzsche im gleichen Atemzug die verschiedensten Religionen auf einen Haufen geschmissen - alles natürlich im Sinne der Veranschaulichung. Obwohl natürlich zu sagen ist, dass er mitnichten den christlichen Gott, als vielmehr das Göttliche - oder besser: Religion im Sinne des "relegio", des "was uns verbindet" - meinte. Diesen Deutungshorizont unterstelle ich deinem Gedicht jetzt einfach mal.

Ich denke, meine fernöstliche Interpretationshypothese rührt daher, dass ich nun seit gut drei Wochen Student der Japanologie bin. Man fängt an, überall irgendwelche Zeichen und Verbindungen zu sehen ;)

Darüber hinaus, muss ich gestehen, ist das eher nicht so die Art Gedicht, der ich mich zu nähern pflege. Deshalb sei mir bitte nicht böse, wenn ich deine Werke nicht allzu häufig kommentiere. Dafür fehlt mir das Vertrauen in meine einschlägigen Kenntnisse in quasi sämtlichen Bereichen.

Grüße,
i.z.
"Bunt ist das Leben und granatenstark. Volle Kanne, Hoschis!"
Abraham Lincoln
i.z.
Etabliert
Etabliert
 
Beiträge: 112
Registriert: Mo 15 Sep, 2008 21:22
Eigene Werke
 

Re: linien

Beitragvon Smilodon » Sa 25 Okt, 2008 13:26


Hallo nochmal,

Hegel setzt Gott mit der Vernunft gleich, atheistisch bedeutet für ihn unvernünftig und der Vernunftglaube kann letztlich nur zum Gottesglauben führen. Dafür ist er auch heftigst kritisiert worden - man schlage dazu nur Schopenhauer an einer beliebigen Stelle auf. Dass der Weg von Schopenhauer zu Nietzsche kein weiter ist, ist ja bekannt - Hegel würde wahrscheinlich sagen, dass Nietzsche geschichtlich notwendig geworden ist und damit nur die radikale Fortsetzung Schopenhauers, die letztlich im Übermenschen mündet. Schopenhauers Wille wird bei Nietzsche zum Willen zur Macht und ist in einer gott-, d.h. vernunftlosen Welt nur konsequent fortgedacht. Wenn es keine Vernunft mehr gibt, siegt das Individuum - ohne die philosophische, d.h. vernünftige, d.h. göttliche Begründung des Staates und der Moral (Hegel würde stattdessen Sitte sagen) herrscht Chaos, denn es gibt keinen obersten Wert mehr, auf den sich irgendwer berufen kann.

Inwieweit Hegels Gott dann noch irgendwas mit dem christlichen Gottesbegriff zu tun hat, ist natürlich eine ganz andere Frage - Hegel selbst war überzeugter Protestant, aber ich denke trotzdem nicht, dass Gott hier zwingend mit dem christlichen Gott gleichzusetzen ist.

Ansonsten erscheint mir dieses System in sich ziemlich schlüssig, wenngleich es nach außen reichlich Angriffsfläche bietet. Soweit ich mich bisher damit beschäftigt habe, habe ich den Ansatz allerdings als spannend genug gefunden, um ihn in einem Gedicht zu verarbeiten. Und - damit ich nach diesem Exkurs wieder zum Text zurückkomme - natürlich ist das alles lediglich ein wenig Hintergrundwissen bzw. -meinung, mit der ich versucht habe zu spielen. Ob das jetzt die absolute Lesart meiner Zeilen ist, kannst du selbst entscheiden. Wie ich dir heute auch schon in meiner Antwort zu "Tag 8" geschrieben habe, hätte ich das eh schon komplizierte Gedankenwirrwarr nicht auch noch in ein Gedicht gepackt, wenn ich damit eine Botschaft oder ähnliches verbinden würde. Es ist ja nichtmal zwingend notwendig, die eindeutigsten Anspielungen zu erkennen, um für sich eine spannende Lesart rauszufiltern - den Fernostvergleich z.B. habe ich ja schon als ungemein spannend dargestellt und jetzt habe ich schonmal jemanden, auf den ich zurückgreifen kann, wenn ich ein wenig Nachhilfe in fernöstlicher Denktradition brauche :D

Nein, ernsthaft, deine Schiene hat wirklich was und du solltest auf keinen Fall aufhören, "Zeichen und Verbindungen zu sehen" - ob der Autor die auch wirklich hat setzen wollen oder ob er anderes im Sinn hatte, das ist absolut unerheblich. Wichtig ist, dass der literarische Text für dich einen Zusammenhang und somit einen Sinn erhält.

Ansonsten hat es mich gefreut, dass du dich mit meinem Text auseinandergesetzt hast, v.a. wenn solche Texte sonst "eher nicht so d[e]i[n]e Art" sind. Allerdings solltest du für dich persönlich immer auf deine Kenntnisse und Fähigkeiten vertrauen - du kennst dich doch offensichtlich gut aus in solchen Gebieten und fernöstliche Denkweisen stellen für viele hierzulande sicher eine enorme Bereicherung dar, da man in der durchschnittlichen deutschen Schule davon nur das Allernötigste bis gar nichts mitbekommt. Und wenn du "zeichen und Verbindungen" siehst und konsquent anwendest, wirst du auch immer sicherer in deinen Kenntnissen und dann ist es auch dir irgendwann vollkommen egal, was der Autor dir mit seinem Quatsch sagen will.

Und das war jetzt meine Kritik der Kritik. ;)

Liebe Grüße,
Smilodon
Menneskets hjertes tanke er ond fra barndommen av.
Benutzeravatar
Smilodon
Stammuser
Stammuser
 
Beiträge: 723
{ IMAGES }: 0
Registriert: Mo 01 Sep, 2008 18:32
Eigene Werke
 

Re: linien

Beitragvon Antibegone » Sa 25 Okt, 2008 14:21


Lieber Smilodon :-)

Ich tue mich mit Gedichten und ihren Interpretationen immer schrecklich schwer. Aber ich möchte dir dennoch gerne etwas hier zu schreiben. Zumal ich auch schon davon geträumt habe :-)
Man muss dazu sagen, deine |: haben mich von Anfang an erinnert an die musikalischen Wiederholungszeichen und ich habe geträumt, dass du kleine Notenlinien unter den Text gesetzt hättest (das sah echt cool aus in meinem Traum). Keine Ahnung, was mein Unterbewusstsein da für einen Exkurs unternommen hat, aber ich fand allein die Idee meines Traums so spannend, dass ich dachte, dein Gedicht müsse es auch sein.

Ahm, ja, aus der Traumi(i)welt jetzt also zurück auf den Boden der Interpretation.
Oki, erst einmal zum Titel

|: linien

Hier habe ich, wie angedeutet, erst einmal an Notenlinien gedacht. Aber meine „sorgfältigen Recherchen“ haben ergeben, dass es auch auf „Die Grundlinien der Philosophie des Rechts“ zurückgehen könnte. Damit hätten wir ja schon einmal ein Thema; Die Auseinandersetzung mit philosophischen, letztlich vl. sogar aufklärerischen Gedanken.
Ich finde es übrigens schön, wie der Titel durch die Wiederholzeichen in den Gedichtkörper mit einfließt. Es passt auch gut zur ersten Strophe.

alles ist geschichte und abend
um abend klopft
minervas eule leise ans fenster

„abend um abend“ unterstreicht die Wiederholbarkeit, es geht um ein kontinuierliches Geschehen, nicht um einen bestimmten Punkt in der Zeit. Hmm, das mit Minervas Eule … die hat mich persönlich schon mal (wortwörtlich) am Kopf getroffen.
Laut Hegel drückt sie aus, dass die Erkenntnis oder Einsicht der Geschichte erst kommt, wenn es zu spät ist (nämlich erst in der Dämmerung). „Die Gabe der späteren Geburt“, sozusagen. Hier klopft sie ans Fenster. Es ist bezeichnend, dass nirgendwo etwas davon steht, ob sie hinein gelassen wird oder nicht. Weil sie nicht weiter erwähnt wird, gehe ich von einer Ignoranz gegenüber der Eule aus.

Der nächste Teil erscheint mir fast wie eine (mathematische) Gleichung.

gott ist vernunft ist wirklich
ist vernunft ist gott ist

tot

Gott = Vernunft = Wirklichkeit, Wirklichkeit= Vernunft = Gott = ist aber tot. Sprachlich ist es schön, wie sich das tot als Ende der Gleichung vom Rest absetzt.
Ich denke, entscheidend ist, dass hier mehrere Philosophien verknüpft werden. Ob dies an und für sich sinnvoll ist, lasse ich mal dahin gestellt.
Als Synthese ergibt sich, dass es wohl weder Wirklichkeit noch Vernunft gibt, somit ist es auch nicht möglich für den Menschen aus der Geschichte zu lernen. Die Fehler wiederholen sich; würde sich mit der schon angesprochenen Motivik des Wiederholbaren decken.

geschichte ist alles und wir
spucken den auf-
gekochten kohl auf den grund :|

Gerade die letzte Strophe animiert mich, dem „Wir“ eine Nichtachtung der Geschichte zu unterstellen, da sie ja darauf „spucken“. Die letzte Zeile stellt mich vor ein Rätsel. Der „aufgekochte Kohl“? Könnte ein Verweis sein auf ein Aufkochen/ Aufwärmen der Geschichte bzw. die in ihr begangenen Fehler.
Auf der anderen Seite erinnert es mich irgendwie an den Kanzler Kohl, aber das scheint mir etwas weit gegriffen.

Ich finde es sehr gelungen, wie du die erste Strophe mit „alles ist geschichte“ mit der letzten „geschichte ist alles“ verknüpft. Einerseits empfinde ich es als sprachlich elegant, zweitens ist hier eine Art geistige Entwicklung abzusehen. Zuerst kommt die hochgestochene Vorstellung, die Weisheit/ Einsicht, die persönlich bei uns ans Fenster klopft, was sich entwickelt zu einer Banalität, der Ignoranz, angedeutet allein durch die Wortwahl.
Ich frage mich, ob hier insgesamt eine historische Gedankenlinie gezeichnet wird.

Ich weiß gar nicht, wie ich das Gedicht finden soll. Es ist interessant, lädt zum Nachdenken ein, aber ich kann mir kein Urteil darüber bilden. Du benutzt viele vorhandene Gedanken(stränge), übernimmst genau Wortlaute von Hegel und Nietzsche. Deswegen fällt es mir schwer, es als „eigenständiges Konstrukt“ anzuerkennen oder „deine eigene Sprache“ darin zu sehen. Vielleicht ist das positiv zu bewerten, dass du dich so mit den Zitaten auseinandersetzt, ihnen Leben einhauchst, auf der anderen Seite, ist es nicht vl. etwas zu uneigenständig?

Deswegen ist es mir auch kaum möglich etwas zur Sprache zu sagen. Das einzige, was mir auffällt, ist die etwas unschöne Wiederholung des Wortes „auf“ in der letzten Strophe, schätze, aber dass es Absicht ist.

Noch überlegend, wie sie es finden soll
Und mit ganz lieben Grüßen,
Traumi
Drehrassel: "Als Lyriker sollte man eine ahnende Checkung haben, von dem, was man da macht."
Benutzeravatar
Antibegone
Gegen Begonien
Etabliert
 
Beiträge: 432
Registriert: Mo 21 Mär, 2011 21:27
Eigene Werke
 

Re: linien

Beitragvon Smilodon » Sa 25 Okt, 2008 16:42


Hallo Traumi,

vielen lieben Dank auch dir für deine so intensive Auseinandersetzung mit meinem Text, der dich gar bis in die Nacht begleitet hat. :)

Dein Traum hört sich auch wirklich spannend an, ich frag besser gar nicht, wie ich darin ausgesehen habe und so :D - das mit den Notenlinien wäre wirklich ne Idee, oder den Text in diese Notenzeilen so reinschreiben... hmm... aber dazu ist meiner Meinung zu wenig Musik in dem Text, bis auf die Wiederholunsgzeichen vorne und hinten.

Ansonsten bin ich begeistert, du hast ja wirklich sorgfältig recherchiert, was die Grundlinien der Philosophie des Rechts angeht - ich fand es auch einfach reizvoll, den Titel so ein wenig zu verstecken und ihm auch unabhängig von der Anspielung einen Sinn zuzuweisen. Auch das mit den Wiederholungszeichen war irgendwo ein Experiment, das bei dir gut anzukommen scheint :) )

Laut Hegel drückt sie aus, dass die Erkenntnis oder Einsicht der Geschichte erst kommt, wenn es zu spät ist (nämlich erst in der Dämmerung).

Ja, was genau sie bei Hegel ausdrückt, ist schwierig, ich lese es auch in diese Richtung, aber ich würde das "zu spät" weglassen, sondern schlicht so verstehen, dass die Eule erst losfliegt, wenn der Tag vorbei ist - die Wahrheit/Weisheit also erst kommt, wenn die Geschichte ihren Gang vollzogen hat. Das "zu spät" ist meiner Ansicht nach zu wertend - da es ja implizieren würde, dass die Eule früher hätte kommen sollen und das ist letztlich gar nicht möglich. Aber das ist nur meiner persönliche Auslegung von Hegels Eulenmetapher, das führt aber zu weit vom Gedicht weg, so wie du es liest klingt es doch auch interessant.

Als Synthese ergibt sich, dass es wohl weder Wirklichkeit noch Vernunft gibt, somit ist es auch nicht möglich für den Menschen aus der Geschichte zu lernen. Die Fehler wiederholen sich; würde sich mit der schon angesprochenen Motivik des Wiederholbaren decken.

Auch diesen Gedankengang finde ich spannend von dir, da du deine Lesart ja ziemlich mit Nietzsche Hand in Hand geht oder mit dem oben schon angesprochenen Schopenhauer. Bei denen bleibt nämlich jeweils nicht mehr viel Vernunft und Wirklichkeit übrig, wenn man die zu Ende denkt - und so in etwa hast du es ja auch verstanden.

Es ist interessant, lädt zum Nachdenken ein

Damit ist ja schonmal etwas Wesentliches erreicht und immerhin gab es hier schon zwei spannende philosophische Gedankengänge (von dir und von iz) als Reaktion auf den Text, dann hat es sich unter dem Gesichtspunkt schonmal gelohnt.

Du benutzt viele vorhandene Gedanken(stränge), übernimmst genau Wortlaute von Hegel und Nietzsche. Deswegen fällt es mir schwer, es als „eigenständiges Konstrukt“ anzuerkennen oder „deine eigene Sprache“ darin zu sehen. Vielleicht ist das positiv zu bewerten, dass du dich so mit den Zitaten auseinandersetzt, ihnen Leben einhauchst, auf der anderen Seite, ist es nicht vl. etwas zu uneigenständig?

Und hier verstehe ich, was du meinst, denn genau das war eigentlich mein Experiment, ob sowas funktioniert bzw. wie sowas heute ankommt. Natürlich sind große Teile des Textes übernommen (z.B. das Bild der Eule), manche sogar wörtlich (z.B. "Gott ist tot") und ich habe versucht, daraus etwas neues zu machen. Wichtig war mir vor allem, dass auch ohne die zugehörigen Texte zu kennen etwas ankommt und aus dem Text kein nichtssagendes Blabla wird.
So ähnlich hat z.B. schon Büchner gearbeitet, dessen Dantons Tod im Prinzip auch nix anderes ist, als Robespierre- und Dantonzitate zu einem literarischen Text zusammengeschnippelt. Du hast also genau den Zwiespalt erkannt: Ist das zu uneigenständig oder steckt da nicht doch eine eigene Leistung dahinter?

Deswegen ist es mir auch kaum möglich etwas zur Sprache zu sagen. Das einzige, was mir auffällt, ist die etwas unschöne Wiederholung des Wortes „auf“ in der letzten Strophe, schätze, aber dass es Absicht ist.

Nein, das "auf" war keine Absicht und jetzt, wo du es sagst, stört es mich auch ziemlich gewaltig - vorher ist es mir gar nicht aufgefallen. Danke für den Hinweis, vllt. fällt mir noch ne Alternative ein :)

Liebe Grüße und danke fürs Lesen, Denken und Kommentieren,

Smilodon
Menneskets hjertes tanke er ond fra barndommen av.
Benutzeravatar
Smilodon
Stammuser
Stammuser
 
Beiträge: 723
{ IMAGES }: 0
Registriert: Mo 01 Sep, 2008 18:32
Eigene Werke
 

Re: linien

Beitragvon Smilodon » So 26 Okt, 2008 16:44


Hallo sim,

wenn dich einiges an dem Text anspricht und du das darlegst, ist das doch kein "raten" - sondern du liest den Text so, wie er dir am schlüssigsten erscheint oder anders gesagt: wie er dir gefällt. Daher danke dir für deinen Kommentar, ich finde deine Ansicht nämlich sehr gut und interessant und "dumme Gedanken" sind das nun wirklich nicht.

Was ich daran vor allem sehr spannend und aufschlussreich finde, ist deine Deutung der Eule als Symbol des Todes. - Ja, diese Lesart ist für mich absolut neu und daher umso aufregender. :)

Es hat mich also sehr gefreut, dass du den Text trotz erster Bedenken kommentiert hast :) - vielen Dank dafür und liebe Grüße,

Smilodon
Menneskets hjertes tanke er ond fra barndommen av.
Benutzeravatar
Smilodon
Stammuser
Stammuser
 
Beiträge: 723
{ IMAGES }: 0
Registriert: Mo 01 Sep, 2008 18:32
Eigene Werke
 

Re: linien

Beitragvon Stullen Andi » So 26 Okt, 2008 17:45


Hallo smi,

mir gefällt der Text bis auf den Eingangsvers kein Stück. Der anfängliche Satz ist ausgesprochen gut, stimmungsvoll, nur im weiteren Verlauf ist der Text leider der Inbegriff von unnötiger Chiffierung und hermetischer Verschlossenheit, die nichts, aber gar nichts nach außen trägt.

Dann kann Minerva unzählige Steinkauze fliegen lassen oder auf High heels nach Athen stapfen. Das Gedicht hat nahezu keine Stimmung, setzt auf Symbolik und Verklausulierung und verliert sich dabei aber in seinen Bemühungen.

Ein Beispiel für fehlgeschlagene und überschwängerte Kodierung ist der Kohl, ein Beispiel für ein zu viel an vermeintlichem Bildungsduktus ist Minerva und ihre Eule.

Beide Monierungen (die im Grunde etwas wie Metafaeces sind) würden gar nicht so unangenehm ins Auge fallen, wenn das Gedicht eine andere Art an Finesse zu bieten hätte: eine ansprechende und stimmige Bildführung. In diesem Punkt gibt der Text aber nichts Einheitliches her. Wir steigen im Abend ein, das Bild bricht im Schöpferdusel völlig ab, letztlich dann der verkochte Kohl - alles umgarnt von "Geschichte", was letztlich traurig ist, da das Gedicht keine eigene hat. Da greift nichts ineinander, da wirkt nichts (bis auf den Einstieg), und wenn, dann lediglich fragmentarisch. Ich sehe keinen offenen sprachlichen oder bildlichen roten Faden, dem es zu folgen gilt. Ich muss mich strophenweise immer wieder neu in die jeweilige Passage hineindenken. Zudem sind die unterschiedlichen Ebenen noch nicht einmal in ansprechender Form verwoben. Das baumelt halbwegs frei in der Luft. Der Bogen über "Geschichte" ist zu lax, um die Eben zu verbinden. Auch semantisch ist da nichts, was mir die Sprache spielerisch verkaufen will.

Zu dem Punkt der überflüssigen Chiffre und der zugebuttert-hochgegriffenen Symbolik kommt also letztlich noch das Wirrwarr der Bildebene und der Mangel an sprachlichen Feinheiten.

Das ist mir einerseits zu viel an Kopfnusserei, anderseits zu wenig an kreativem Sprachgebrauch.

Bitte fühl Dich jetzt nicht angeschissen oder genötigt, mir einen Eulenvortrag zu halten. Ich weiß um die Bedeutung(en). Für mich ist aber Lyrik kein Rätselausschreiben in der Financial times. Ich möchte nicht wissen, wie weit ein Schreiber den Inhalt entlehnen kann, bis man die Intention nicht mehr erkennt. Und ich möchte nicht wissen, wie viele Philosophiekurse er belegt hat.

Der Trick besteht darin, einen komplizierten Inhalt einfach zu vermitteln. Das meint keine infanitile Sprache, kein dröges Vokabular und keine Sendung mit der Maus in drei Strophen.

Ich möchte Bilder und deren ineinander fassende Nachzeichnung, ich möchte Melodien, Farben und Stimmungen, die letztlich das Thema auf kreative Art und Weise beschreiben. Letztlich krankt daran das Gedicht. Und wenn ein Schreiber gezwungen ist, den Text zu erklären, ist das spätestens der Moment, in dem man sich fragen sollte, aber man hier nicht übersteuert hat.

Hinzu kommen die Betragszeichen, die der Text gar nicht nötig hat und die schlichtweg wie fehltplatzierte Kapitale wirken. Wenn ich Schneeflocken in einem Gedicht beschreibe, fände ich es ebenso lächerlich über (***) den Flockfall zu bebildern.

Insgesamt denke ich einfach, dass Du hier zu viel hast unterbringen wollen und zu bemüht versucht hast, das symbolisch zu ausgestalten. Nichts für ungut, aber: nein, nein und nochmals nein. Tut mir leid.

Grüße
Stulle
Stullen Andi
Stammuser
Stammuser
 
Beiträge: 557
Registriert: Mi 10 Sep, 2008 23:17
Eigene Werke
 

Zurück zu Strandgut

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 6 Gäste

cron