Lyrik rund um das Thema Liebe

Messverfahren

Beitragvon Alcedo » So 02 Nov, 2008 12:25


Messverfahren


Die meisten glauben,
die höchste Erhebung auf diesem Planeten
wäre der Mount Everest.

Misst man aber die absolute Höhe
vom Fuße eines Berges zum Gipfel,
so überragt der Mauna Kea auf Hawaii
den Tschomulungma
um einige hundert Meter.

Wählte man hingegen
als Bezugspunkt
den Mittelpunkt der Erde,
so muss der Chimborazo in Ecuador
als höchste Bergspitze gelten,

aber meine Liebe zu Dir
wäre von diesem Bezugspunkt aus gesehen,
ein Vektor aus unsichtbarer Materie,
welcher alle bisherigen Massive
auf Sandkorngröße schrumpfen ließe,

und bei der Drehung der Erde
würde er durch den Weltraum rasen
und mit immenser Schnittgeschwindigkeit
Meteore pulverisieren,
Kometen köpfen,
Asteroiden zertrümmern,
Planeten jagen,

und jedes Jahr
zwei mal zur Tagundnachtgleiche
die Sonne mittig durchsäbeln -

ein Wunder, dass sie überhaupt
noch leuchtet!
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Re: Messverfahren

Beitragvon Stullen Andi » So 02 Nov, 2008 18:39


Hallo Alcedo,

mich kann der Text nicht wirklich begeistern: er gleicht anfänglich einer bekannten Wikipedialiste der höchsten Gebirge und ist überdies in ebengleicher Reihenfolge nach den unterschiedlichen Bezugspunkten aufgeteilt. Wobei Du selbst jenes Wort 1 zu 1 verwendet hast.

(Gut ist im übrigen, dass Du den Fehler mit Peru schon korrigiert hast. Ecuador ist nun stimmig)

Per se ist Obiges kein k.o.-Kriterium, jedoch ist es dieser Aufzähl- und Vergleichscharakter, der die Intention, hier einen kreativen Umsatz für ein Liebesgedicht zu finden, recht flux wieder zunichte macht. Es wirkt nahezu wie an den Fingern abgezählt (erstens, zweitens usw...)

Die monierte Aufzählung für sich gelesen muss nicht unbedingt als monotones Element gewertet werden, dennoch aber läuft sie mit großen Schritten in diese Richtung, da Du noch andere und immer wiederkehrende Formen gebrauchst, die zusätzlich wiederholt aufwarten: die Superlative und Konjunktive. Letztlich überfrachtet das den Text und nimmt ihm die Leichtigkeit, die er bräuchte bzw. verstärkt den Aufzählcharakter zusätzlich.

Gut gefällt mir, dass Du gen Ende mehr entlehnst. Dennoch aber sind mir die Wortspiele zu aufgesetzt. Etwas wie Oberflächensemantik, die am deutlichsten beim Komet ins Auge fällt. Da das Wort von kóm? stammt, was letztlich Haupt(haar) meint, ist mir das "köpfen" zu forciert, zu bedeutungsschwanger. Ähnlich lax hast Du die Verbindungen bei Meteor usw. angelegt, auch wenn der sprachliche Verbund und die Reihenfolge der Bezugspartner ist dieser Passage insgesamt beurteilt gut und gewitzt umgesetzt ist.

Dennoch: Auch hier wieder das Aufzählungsprinzip (vgl. Komet, Meteor usw.). Selbst Formulierungen wie "alle bisherigen Massive" haben dieses Schema inne und muten zudem wenig lyrisch, mehr journalistisch an.

Zum Bild an sich eine Anmerkung: Wenn Du das Sonnensystem erwähnst, kommst Du nicht umhin, unmittelbar nach der Erde am Olympus Mons des Mars vorbeizukommen, der mit 26.400 m wirklich wenig Sandkorn ist. Dies auch wenn Dein Vektor abschließend in die andere Richtung, also von der Erde zur Sonne verläuft. Mittig aber sprichst Du vom Entfernen, was auf eine Erdbetrachtung bezogen im Grunde immer 'weg' von der Sonne meint.

Insgesamt weiß hier wohl die Idee sehr zu schätzen, aber weder sprachlich noch bildlich fängt mich der Text ein, was letztlich der Überfrachtung der Aufzählungen in Bild und Sprache zugeschrieben werden kann.

Grüße
Stulle
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Re: Messverfahren

Beitragvon Alcedo » Di 04 Nov, 2008 19:37


hallo S

vielen Dank für die ausführliche Rückmeldung.

die Daten hab ich nicht aus einem Wikipediaartikel, sondern aus einer alten Kladde aus meinem Vorinternetzeitalter. hätt ich mal lieber da nachgesehen - ich war mir zu sicher gewesen mit Peru anstatt Ecuador (du merkst aber auch alles!).
welches Wort meinst du? Bezugspunkt?
und kannst du mir bitte den Link schicken? ich finde das nicht und ich werde die wegen Ideenklaus belangen. #. nee, aber steht das dort wirklich genau so?

der monierte monotone Charakter bei der Aufzählung der verschiedenen Messmethoden, gibt mir zu denken. schließlich habe ich "Bezugspunkt" sogar wiederholt. vielleicht ließen sich S3+4 umformulieren. das werde ich im Auge behalten, denn mein Bauchgefühl sagt mir: die könnte recht haben.

aber meine Liebe zu Dir
wäre aus diesem Gesichtspunkt betrachtet...


fällt mir spontan dazu ein. das muss ich noch in Ruhe prüfen.

ja, Kometenköpfung usw bleibt letztlich eine Gratwanderung zwischen Bedeutungsschwangerschaften und folgenloser assonanten Wortspielerei. wobei ich ja nix dafür kann, dass ein Komet wirklich wie ein langhaariger Sternenglatzkopf aussieht, und somit aus der Reihe tanzt.

die journalistische, wissenschaftliche Korrektheit war sogar bis zu einem gewissen Punkt beabsichtigt. danach sollte ich wohl für mehr lyrische Verdichtung sorgen, mhm. da hast du wahrscheinlich wieder recht.
(Vermerk an mich: "alle bisherigen Massive" -> "all diese Massive")

unser Sonnensystem wird beschrieben, ja, aber ich ließ zu doch keiner Zeit offen, dass es sich nicht um einen terrestrisches Blickwinkel handelt. den Einwand mit dem Olympus Mons, kann ich somit nicht gelten lassen. sonst müsste ich ja eine Nullpunktverschiebung zum kriegerischen Marsmittelpunkt vornehmen. das käme für mich aber nicht in Betracht.
auch dass das Entfernen immer "weg von der Sonne" heißen muss, halte ich für falsch. der Vektor würde theoretisch ja rotieren (gleichmässig hin und weg) und der Rotationsradius ist lediglich durch meine Beschreibung auf etwa Sonnendistanz begrenzt, aber eigentlich läuft er doch auch noch hinter der Sonne weiter - wär ja sonst viel zu kurz geraten, nicht wahr.

das spärliche Lob hat mit dennoch gefreut.
und die Überfrachtung lässt sich vielleicht noch reduzieren.
hab Dank &

Gruß
Alcedo
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