Randnotitz

Beitragvon Desperado » Mo 20 Okt, 2014 08:57


Randnotiz vom Schreiberling
Eines Tages tauchte beim Lesen und Schreiben in einem Internet-Forum ein Bild vor meinem inneren Auge auf. Die Schreibenden und Lesenden erschienen mir wie die schillernden Bewohner eines vergessenen Wüstendorfes im Süden des Wilden Westens, der Administrator fungierte als Bürgermeister, die Moderatoren als Sheriffs und Sittenwächter über die Angesiedelten und Durchreisenden, mich selbst erlebte ich als undurchsichtigen Desperado, der eine Weile in dieser Enklave verbrachte, die sich um einen Brunnen angesiedelt hatte. So fing es an.
Nach und nach entwickelten sich kleine Anekdoten aus dieser Idee, und mit den Abenteuern des Desperado kam ich recht bald auf die Ureinwohner Nordamerikas zurück, die Natives genannt Indianer. So hievte ich also meine verstaubten Bücher aus dem Regal, Schinken von Fachbüchern und Erzählungen indianischer Autoren, schlug hier nach und dort, die Geschichten entstanden mit dem Lesen, fast täglich eine neue, und je mehr ich darin schmökerte, desto mehr wurden ihrer, ein Ende aber war nicht in Sicht. Nach etwa einem Jahr stellte ich fest, dass sie mittlerweile den Umfang eines kleinen Buches erreicht hatten.
Da ich die Episoden völlig spontan und kreuz und quer in die Tastatur geschickt hatte, machte ich mich daran, sie erst einmal zu ordnen und in eine wenigstens einigermaßen übersichtliche und halbwegs chronologische Reihenfolge zu bringen, eine Mammutaufgabe, die wiederum fast ein Jahr in Anspruch nahm, zumal mir während des Sortierens ständig Lücken auffielen, die mit Geschichten bzw. Geschichte gefüllt werden mussten, zwei nicht zuletzt aus diesem Grund neu erworbene Bücher lieferten mir jede Menge detailliertes Material und ausreichend historischen Hintergrund, eine überaus sehenswerte Ausstellung über die indianischen Kulturen Nordamerikas inspirierte und ermutigte mich zusätzlich, und als ich schließlich vor dem vorläufig fertigen Resultat saß, hatte das bis dahin überschaubare Büchlein Romanumfang gewonnen.
In einer letzten Überarbeitung kamen noch so einige Kapitel hinzu, deren Zahl sogar noch im Laufe des Einstellens in dafür geeignete und ausgerichtete Foren wie dieses zunahm, beim Korrekturlesen und dem damit einhergehenden Bestreben, Namen, Örtlichkeiten und Zusammenhänge einzufügen, die ein Nachschlagen erforderten, stieß ich ständig auf weitere Details, Personen und Begebenheiten, die mir eine Schilderung wert waren und deren Geschichte erzählt zu werden ein Muss darstellte, wobei jede einzelne davon die Grundlage eines eigenen Romans bilden könnte. Die Beschränkung auf das Wesentliche war wohl die größte Herausforderung, die sich mir beim Nacherzählen stellte, um wenigstens einen grob umrissenen Querschnitt durch die schier unüberschaubare Vielfalt indianischer Kulturen und Lebensweisen sowie das traurige und überwiegend entsetzliche Geschehen im Laufe ihrer nahezu vollständigen und zielgerichtet systematischen Ausrottung durch die europäischen Einwanderer und deren Nachkommen zu schaffen.
Was sich jedoch als fast noch schwieriger herauskristallisierte, war das Bemühen, die Geschichte der Indianervölker Nordamerikas und des sogenannten Wilden Westens homogen und schlüssig in die Lebensgeschichte meines Antihelden, Zeitzeugen und mitbetroffenen Beobachters einzuflechten, oder andersrum dieselbe in die historischen Tatsachen einfließen zu lassen und mit ihnen zu verknüpfen, ohne dass mir die Gestalt des Desperado dabei zum Wissenden, Informierten und aufgeklärt Beurteilenden meiner Gegenwart missraten durfte. Steter Seiltanz und Gratwanderung zugleich, immer wieder aufgelockert durch surrealistische und in die Vergangenheit transportierte Begebenheiten der jüngsten Gegenwart, allemal aber eine imaginäre Wanderschaft, die mich nicht nur zum Zeitreisenden werden ließ, sondern zu einem zeitgenössischen Menschen mit seiner Präsenz im Gestern und ohne das Wissen um die Zukunft, einer Zukunft, die mir bereits als Vergangenheit zur Verfügung steht. Dennoch möchte ich meinen „Federhut“ nicht als historischen Roman verstanden wissen, sondern als die überwiegend frei erfundene Biographie einer fiktiven Figur.
Nach drei Jahren Arbeit, und zwischendurch hatte ich immer wieder mal das Empfinden, diese Mammutaufgabe nicht bewältigen zu können, kann ich jedenfalls weitgehend zufrieden festhalten, dass ich tatsächlich ein Buch geschrieben habe, ohne konkrete Absicht und festen Vorsatz, sozusagen organisch wachsend, indem sich eins aus dem andern ergab und bis zum Gesamtbild weiterentwickelte, wobei ich freilich auf Fachwissen zurückgreifen konnte, dass ich mir seit meiner Jugend mehr oder weniger kontinuierlich aneignen konnte und wollte, jedoch weit entfernt davon, mich deshalb als Fachmann bezeichnen zu können oder wollen. Ich hab es eigenhändig und allein geschrieben, soviel steht fest. Wollte mich aber nun jemand fragen warum, kann ich ihm nur ehrlich mit darum antworten. Einfach nur, weil ich es schreiben wollte.
Mein besonderer Dank gilt meiner Frau, die ein seltenes Buch für mich aus dem virtuellen Trödelmarkt fischte, das seit Jahrzehnten nicht mehr im Buchhandel erhältlich ist, so wenig wie es den kleinen Verlag noch gibt, der es herausgebracht hatte. Darin wird das Leben Geronimos aus der Sicht und nach den tradierten Erzählungen der Apache erzählt, gesammelt von einem zeitgenössischen, in der Reservation lebenden Mitglied des auf ein Minimum geschrumpften Stammes der Chiricahua. Ohne dieses Juwel wäre es mir nie möglich gewesen, der Gestalt des charismatischen Schamanenkriegers und dem Freiheitskampf der Apache als Ganzem gerecht zu werden, da die herkömmlichen Informationen über den einzigen nie offiziell besiegten Indianerstamm Nordamerikas sehr dürftig sind und zudem von verfälschender Einseitigkeit geprägt.
Beim Schreiben des Federhut habe ich mich nie gefragt, was wohl ein Native des Amerika der Gegenwart von einem Buch wie diesem halten mag, weil sich diese Frage ganz einfach nicht stellt. Es könnte ihm gefallen oder auch nicht, beides ist gleichbedeutend ausschlaggebend oder bedeutungslos, wenn er seinerseits wollte, könnte er mit dem selben Recht und Anspruch einen Roman über die Kaiserzeit in Europa schreiben und würde sich wohl ebenso wenig Sorgen machen darum, was wohl der Europäer an sich davon halten möchte.
Es überrascht nicht“, rezitiert Michael Dorris, seiner Stammeszugehörigkeit Modoc, im Jahr 1987, „dass Indianervölker nicht so wahrgenommen wurden, wie sie waren, sondern wie sie - nach europäischer Auffassung - zu sein hatten. Sie wurden aus dem Reich des Wirklichen direkt ins Land der Fantasie befördert. Die Indianer wurden abwechselnd zu Über- und Untermenschen, gewöhnliche Menschen waren sie nie. Sie handelten mit Magie, nicht mit Einsicht. Man stellte sie sich der Vergangenheit verhaftet vor, nicht geleitet von richtungsweisenden Vorhaben.“
Dass sie die Indianer vorwiegend in symbolischen Begriffen sehen“, schreibt Philip J. Deloria 1993, „hindert die nichtindianischen Amerikaner daran, sie als Menschen aus Fleisch und Blut zu akzeptieren. Wenn sie dann tatsächlich Indianern begegnen, sind sie aufgrund der hohen idealistischen Erwartungen oft enttäuscht und verärgert. Wenn sich herausstellt, dass Indianer nicht die Quelle der höchsten Erkenntnis sind, wie sich das die weißen Amerikaner vorgestellt haben, tritt oft eine andere Form des Symbolismus an die Stelle des romantischen Bildes. Nun werden die Indianer als bedauernswerte soziale Problemfälle gesehen, als von der Armut geschlagene, von Alkohol und Krankheit entwürdigte Menschen, die möglicherweise eine anerzogene Abneigung zeigen gegen die amerikanische Urtugend, ''ihre Situation zu verbessern''. Auf die Idee, Indianer einfach als Leute zu sehen, die sich in der Welt behaupten wollen, kommen sie nicht.“
Ich lebe gerne in dieser Gemeinde“, bringt es Beasly Denson, Mitglied des Stammesrates der Choctaw, auf den Punkt, „und ich bin gerne Choctaw, aber das ist auch schon alles. Nur weil ich kein Weißer sein mag, heißt das noch nicht, dass ich so 'ne Art mystischer Indianer sein möchte - bloß ein wirklicher Mensch.“
Von der bewusst überhöhten und überzeichneten Figur des „großen Diyin und alten Mescalero“, der als Visionär und prophetischer Seher eine Art geistiger und meinetwegen mystischer Brücke zur Gegenwart bilden soll, einmal abgesehen, habe ich mich um natürlich nüchterne und mitunter auch ironische Betrachtungsweise der indianischen Menschen der zeitlich eingegrenzten Vergangenheit und Region bemüht, die meine Erzählung umfasst, dass heißt, ich musste mich nicht einmal darum bemühen. Jeder andere Weg und jede in welche Richtung auch immer verbrämte Art der Darstellung erschienen mir völlig abwegig, das unbefangen lockere Erfassen der verschiedenen Lebensweisen und die Beschreibung ihrer Kulturen und Religionen sowie der mitmenschlich lässige Umgang mit fiktiven oder historischen Personen ihrer Völker verlangte nicht mehr Abstraktion, als es die bei Leuten auf der Straßenseite gegenüber erfordert hätte.
Auf subtile Weise könnte eine verkrampfte und zu respektvoll bemühte Weise sogar herablassende und beleidigende, in jedem Falle aber entwürdigende Tendenzen zur Folge haben. Die bis dato in Film und Literatur zu beobachtende und geradezu etablierte Unterscheidung in ein „sind's gute Indianer, sind's böse Indianer“ zu vermeiden war mir im Erzählfluss noch nicht einmal ein besonderes Anliegen, sondern schlicht eine sich ergebende Selbstverständlichkeit. Mehr gibt's von meiner Seite her eigentlich nicht zu sagen, und im Grunde nicht einmal das.
Und da sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.
Howgh.
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