Der Vulkanstein

Beitragvon Desperado » Sa 01 Nov, 2014 09:36



Versuche die atemberaubende Schönheit und überwältigende Erhabenheit des Grand Canyon mit Worten auszudrücken, und du wirst zum lächerlichen Schwätzer. Also versuch auch ich es nicht, egal ob ich nun ein solcher bin oder nicht, er lässt sich ganz einfach nicht beschreiben.


Sein tiefes Flusstal, das die Grenze bildet zwischen dem großen Becken und der zerklüfteten Weite des Südwestens, zählen auch die Stämme des Kojotenvaters noch zu ihren Jagdgründen, denn dort befindet sich ihr wichtigstes Heiligtum. Wenige Meilen bevor der Colorado sich in einem rauschenden und stäubenden Wasserfall in die Tiefe stürzt, umspülen seine Fluten seit Urzeiten einen in die Sohle der ungeheuerlichen und überwältigenden Rinne des gewaltigen Flussbettes gebetteten gigantischen Vulkanbrocken, wie es keinen zweiten seinesgleichen gibt in der gesamtem Länge der unermesslichen Canyonschlucht. Warum der da rumliegt und woher er gekommen ist, weiß niemand zu sagen, er lag da schon immer und unendlich lange Zeiten vor den ersten Beutelwichten. Man darf den Vulkanstein ohne Umschweife als bedeutende indianische Pilgerstätte bezeichnen, in seiner nächsten Umgebung finden sich einige Opferhöhlen, in denen Pilgergruppen ihre Mitbringsel hinterlassen können, meist in Form von Tabak und Kräutern, es gibt etliche Schwitzhütten für das reinigende und vorbereitende Schweißbaden, aus den Canyonwänden sprudeln mineralische Heilquellen für innen und außen, Leib und Seele, zum Trinken ebenso geeignet wie zu heilbringenden Waschungen, das uralte Gestein birgt seltene kostbare Mineralfarbstoffe zum Zwecke ritueller Bemalungen sowie der Schaffung sakraler Bildnisse, und noch viel anderes mir unbekanntes mehr an geheimnisvollen Dingen umflort und heiligt den magischen Ort.


Ein törichtes Bleichgesicht, das diese Kultstätte durch sein frevelhaftes Betreten entweiht, es wird auf der Stelle mit dem Todesbann belegt und für alle Zeit und Ewigkeit verflucht, oder, was noch besser ist, sicherheitshalber gleich an Ort und Stelle umgebracht. Mein Ritt durch den Canyon führt mich aber nun mal an dem unantastbaren Koloss vorbei, und weil Infini den faszinierenden Klumpen natürlich nicht einfach links liegen lassen kann, ohne wie eine Gämse seinen Gipfel zu erstürmen und von hoch oben herab das überwältigende Panorama des Canyons zu genießen, finde ich mich flugs auf dessen Kuppe wieder, bevor es mir noch richtig klar geworden ist.


Nun ist der hochheilige Gipfel für gewöhnlich der bevorzugte Platz überirdischer, von den Geistern auserwählter Kojoten, die auf dieser Bühne ihr unvergleichliches Lied über das ganze Land erklingen lassen als Gruß und Botschaft von ganz oben, zudem eignet er sich hervorragend zum Aussichtspunkt für den heiligen Adler, den mächtigen Boten der Geister der Verstorbenen und aller lebendigen Seelen, kurzum, der Gipfel ist als beeindruckendes Podium den verehrten Zwischenweltwesen tierischer Gestalt vorbehalten. Als nun entsetzte Pilgergruppen und verwirrte Schamanen, vom aufgeregten Kläffen meines Begleitrudels immerfort hungriger Kojoten - vom jenseitigen Ufer herüber - unüberhörbar darauf aufmerksam gemacht, den einsamen Reiter an heiliger Stätte erblicken, ist das fassungslose Staunen groß. Ich werde ihrer Anwesenheit erst jetzt gewahr, da sie sich mit offenen Mündern am Fuss des Vulkanbrockens zusammenscharen, einige Männer gestikulieren aufgeregt, fuchteln wild mit den Armen herum, und der Tonfall ihrer Stimmen bereitet mir wachsendes Unbehagen, der mir in meiner hervorgehobenen Position ordentlich mulmig wird.


Reglos stumm verharre ich und blicke ratlos auf die zu mir herauf starrende Menschenmenge hinunter, deren zornige Erregung langsam sprachloser Verwunderung zu weichen scheint, da der Frevler auch nach einer geraumen Weile nicht vom Zorn des großen Geistes oder seiner vergeistigten tierischen Abordnungen hinab gefegt wird, ja sein Vorhandensein im Gegenteil eindeutig bekundet durch die offensichtliche Verehrung eines stattlichen Kojotenrudels, das unermüdlich zu ihm hinauf wimmert und ihm mit seinem artüblichen Unterwerfungsgebaren zu huldigen scheint. Und so deuten die Medizinmänner und Träumer diese unwirklich anmutenden Begleiterscheinungen vermutlich als Zeichen seiner außerordentlichen Sonderstellung als Bleichgesicht in der Welt des großen Kojoten, als unleugbaren Beleg seiner Erwählung durch ihren Urvater und dessen Freundschaft zu ihm, und den bleichgesichtigen Reiter selbst als eine Art adlergleichen Botschafter aus der verhassten Welt der Weißen, jedenfalls winken mich einige der führenden Gestalten ihrer Gilde ganz offenkundig zu sich hinab.


Meine ahnungslosen Beteuerungen nach schadlos überstandenem Abstieg, nur auf der Durchreise zu sein und mehr oder weniger zufällig dort oben gelandet, hindern sie zu meiner großen Überraschung nicht daran, mir mit allen Ehren freies Geleit und bevorzugte Behandlung zu versprechen und fortan zu gewährleisten, ein durchaus erstrebenswertes Entgegenkommen, und Indianer stehen im Gegensatz zu Weißen zu ihrem Wort. Allerdings lassen die nicht zu übersehenden Lachfalten der geistlichen Männer sowie das heitere Blitzgewitter in ihren schauenden Augen auch eine andere, sehr viel naheliegendere und schlüssigere Erklärung zu für meine Schonung und Sanktionierung. In der geistigen Welt sowohl der Stämme des großen Beckens als auch der des Südwestens ist das weite Land von einem dichten Netz spiritueller Ströme durchzogen. Der Vulkanstein ist eine der Schaltstellen, ein Knotenpunkt, an dem diese unsichtbaren Kräfte zusammenlaufen wie die Drähte in einer Telegraphenstation. Was den einen die südliche Grenze ist, ist den andern die nördliche, das Gebiet der Navajo zum Beispiel zieht sich weit ins Tal der Monumente hinein, der Grand Canyon ist also nicht nur unüberwindliche Schlucht und Barriere, sondern ebenso oder besser vielmehr mystische Brücke und Verbindung zwischen Nord und Süd. Die Gedankenströme der Schamanen aller Stämme sind hier sozusagen angeschlossen, ihre geistigen Drähte laufen zusammen und wieder auseinander, denn im Gegensatz zu manchen Häuptlingen sind die Träumer und Sänger zuallermeist um Ausgleich und Verständigung unter den zum Teil traditionell „verfeindeten“ Gruppierungen bemüht.


Die Seher der Havasupai nun dürften lange, bevor ich an ihrem Heiligtum auftauchte, gewusst haben dass ich komme, ebenso wurde ihnen auf unerklärliche Weise gesagt, dass es sich bei dem einsamen Desperado um jenen „vom- großen-Geist-Berührten“ handelt, von dem ihnen die südlichen Präriestämme bereits Kunde gebracht haben, insofern war ihr Wohlwollen so überraschend nicht. Diese geheimnisvollen Männer wissen immer über alles Bescheid, was so abläuft im riesigen Lande der Halbwüsten, Steppen, Flusstäler, Gebirge und Wüsten. Es war ihnen also längst zu Ohren gekommen, dass ich des Öfteren im Pueblo der Geister nächtige, das selbst spirituell erfahrene Männer wie sie es sind geflissentlich meiden, dass mein gelber Gaul über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt, über die eines Geisterpferdes nämlich, dass ich zumindest leiblich unversehrt durch den großen Präriekrieg geritten bin, dass der große Kriegshäuptling der Chiricahua Cochise mich persönlich kennt und nicht nur verschont hat, sondern sogar ein paar Worte mit mir gewechselt, dass ich längere Zeit bei den Shoshone gelebt habe, ja vermutlich wissen sie von Dingen über mich, von denen ich selbst nichts weiß.


Und es würde mich überhaupt nicht wundern, wenn die heiligen Männer schon wussten, dass ich mich in gar nicht allzu langer Zeit mit einer Shoshone Squaw im Tal des kleinen Colorado niederlassen werde, am Rand der bemalten Wüste, die diesen Namen nicht nur wegen der musterreich farbenfrohen Maserung ihres Gesteins trägt, aufgrund des wechselnden Farbenspiels der Felsgebilde von grellorange bis türkisblau je nach Sonnenstand, Wetterlage und Jahreszeit, sondern weil sich an ihren Wänden rätselhafte Malereien finden von den Urahnen der gesungenen Vorzeit bis hin zu denen der ersten Geistertanzbewegung. Nicht zuletzt aber ist den Medizinmännern aller Wahrscheinlichkeit nach schon vor langem zu Ohren besser Sinnen gekommen, dass ich mit dem geheimnisumwitterten und ehrfurchtgebietenden Schamanen, Träumer und Seher der Mescalero befreundet bin, der hoch oben auf dem heiligen Berg in der Abgeschiedenheit einer abgelegenen Höhle residiert, was tatsächlich einem indianischen Freischein in allen Belangen des Lebens gleichkommt. Es gibt jedenfalls ausreichend Gründe für sie, mit Hilfe ihrer unbestrittenen Autorität dafür zu sorgen, dass mir heute und in Zukunft kein Härchen gekrümmt wird.


Es geht den äußerlich eher unscheinbaren, bei näherer Betrachtung jedoch sehr beeindruckenden und einflussreichen Männern, deren Wort nicht nur bei den Havasupai Vollmacht besitzt, in der Hauptsache offenbar vor allem darum, die berechtigte wenngleich inzwischen abgeebbte Empörung der verstörten Pilger gänzlich zu besänftigen und ohne weitere Verzögerung ungestört ihren priesterlichen Pflichten nachgehen zu können. Vielbeschäftigte Männer wie sie nun mal sind, finden sie nach ihrem erbrachten Erweis meiner Narrenfreiheit infolgedessen auch keine Zeit, sich näher mit meiner Ungewöhnlichkeit zu beschäftigen, mit freundlich ernsthaftem Gruß und besten Segenswünschen schicken sie mich kurzerhand auf den Weiterweg und meiner Wege. Ihre erklärte Absicht ist es wohl, so wenig Aufhebens wie möglich zu machen von dem bei näherer Betrachtung kurios peinlichen Zwischenfall, um zu vermeiden, dass er zur großen Sache aufgebauscht wird und sich herumspricht, was selbstredend dennoch, ohne ihr Zutun und ihren Bemühungen zum Trotz in Windeseile geschieht.


Wie dem auch sei, manchmal kann es durchaus von Vorteil sein, hoch hinaus zu wollen, im Mittelpunkt und vor allem über den Dingen zu stehen. Oder Kojoten anzufüttern.


Bisweilen sage ich Canyon und meine deren mehrere, es gibt unzählige, das ganze Land ist voll davon, ein dicht gewobenes Netz und Labyrinth, sie alle zu kennen erfordert die Erforschung langer Jahre, und keiner ist wie der andere. Es gibt gewaltige und winzige, breite und enge, tiefe und flache, lange und kurze, gewundene und gerade, ebene und steile, weithin sichtbare und gut verborgene, zum Pass ausgewaschene und wild zerklüftete, der Colorado macht eine Biegung und ich nehme eine Abzweigung ins mystische Tal der Monumente.


Ich verlasse seinen Lauf, mein Weg führt mich zurück nach oben, ein steil ansteigender kleiner Canyon mündet hier, vom Wasserfall eins Sturzbaches in den Berg geschnitten, schmal wie ein Nadelöhr, düster, feucht und verwunschen. Überhänge verbergen den Blick zum Himmel, ein schmaler Grat führt an der Steilwand entlang, und unter mir klafft der stetig wachsende Abgrund. Mein Pferd klettert schlafwandlerisch hinauf, trittfest wie eine Bergziege, es kennt den Pfad. Und weiß, dass sein Reiter mit jedem Schritt tiefer und tiefer in brütende Düsternis versinkt, immer wenn wir den Weg in diese schaurige Klamm einschlagen. Die Zuni sagen, hier würden die Schatten der ruhelosen Seelen hausen, ihre Tränen die Wände benetzen und der Bach ihre Totenklage murmeln. Im Nebel würden sie wohnen, der aus der Tiefe steigt, man könne ihr Klagen hören und an manchen Tagen ihre Gestalten und Gesichter in den wandernden Nebelfetzen erkennen. Die Lebenden würden sie locken und rufen, sich mit ihnen in die Tiefe zu stürzen, um für immer bei ihnen zu verweilen und einzustimmen in ihren tonlosen Gesang. Schwer und bedrückend würden sie sich auf das Gemüt der Wandernden legen, ihren Sinn verdunkeln und ihren Blick trüben. Nur wessen Herz erfüllt ist mit Trauer, vermag ihre Traurigkeit zu ertragen, weil sie nicht essen was sie sind, Freude, Frohsinn und Zuversicht jedoch würden sie voller Gier und Unersättlichkeit verschlingen.


So sagen sie, die Pueblo Indianer, und in der Tat, wo immer der stürzende Bach eine Sandbank in den Fels gegraben hat, sammelt sich bleiches Gebein und türmt sich zu knöchernen Haufen. Diesen Pfad bezwinge nur, wer lebensmüde sei und sich den Tod ersehne, und selbst dann nur mit großen Mühen, so erzählen sie. Weise sind sie, die Pueblostämme, und wissend.


Wie von einer unsichtbaren Kugel umhüllt reite ich, der Nebel wagt nicht, mich zu berühren, ja mir nicht einmal nahe zu kommen, denn wollten die Schatten all meine Dunkelheit in sich aufnehmen, so würde sich ihr Nebel im Nu zu Wasser verdichten, wie schwere bittere Tränen würden sie hinunter tropfen in den gurgelnden Bach und haltlos fortgerissen werden. Verzweiflung ist um vieles mächtiger als Hoffnungslosigkeit und umgekehrt, je nachdem. Den-die-Totengeister-fürchten, so nennen sie mich, die Ältesten und Schamanen, und in ihren Stimmen schwingt ungläubiges Staunen. Mich alten Desperado, der ich diesen Pfad erklimme und bezwinge mal um mal, als wäre das halsbrecherische Unterfangen nichts weiter als ein versonnener Spaziergang. Woher sollten sie auch wissen, dass dieser vertraute Aufstieg für mich und mein Geisterpferd tatsächlich nichts anderes ist als ein melancholisches Stündchen, das mich die Hochebene erreichen lässt, ohne einen Gedanken daran verloren zu haben zu haben, wieso wir nicht hier oben ankommen hätten sollen. Kein Wasserfall mit Regenbogen wartet auf mich am Ende des Schattentales. Der Saumpfad mündet in einen Geröllhang, die Wände schwinden zu beiden Seiten, der Bachlauf beruhigt sich, endlos breitet sich die mystische Landschaft aus und empfängt Ross und Reiter mit stechender Sonnenglut.


Fragen stellen kannst du immer, aber dann darfst du dich auch nicht beschweren, wenn dir die Antworten nicht gefallen.


Brennt da so ein Dornbusch, die Dinger sind zäh und flammen lange, ich reite also hin und sage „Hey Häuptling, sorry, wenn ich hier in Stiefeln heiligen Boden betrete, aber es dürfte schwierig sein, meinem Gaul die Hufe auszuziehen, und es würde auch nichts ändern, wenn ich barfuß daher geritten komme, klar, ich könnte den Hut vor dir ziehen, aber die pralle Wüstensonne auf dem bloßen Haupt ist nicht so ganz ungefährlich, weißt du, da mach ich's lieber wie der Jewish, der trägt auch immer so 'n Mützchen, damit ihm der Himmel nicht auf den Kopf fällt. Es macht auch wenig Sinn, mich nach San Carlos zu schicken oder Redondo, um die Apache aus der Knechtschaft der Reservation zu befreien, dafür müsste ich wenigstens ein Halbblut sein, außerdem kennen die mich sowieso und würden sagen 'nö, Leute, hört einfach nicht hin, weiß der Geier, wo der uns hinführt'... hätte auch gar keinen Sinn, den kalifornischen Golf zu spalten, um trockenen Fußes rüber zu spazieren, denn ob die Blauröcke da nun absaufen würden oder nicht, die Kalifornier würden die flüchtigen Apachesippen bis auf die letzte Babyseele abgemurkst haben, noch bevor sie in ihr gelobtes, will meinen indianerfreies Land gelangt wären.


Ist eben eine etwas andere Wüste hier, und dass dein Handlungsrahmen so gesehen vergleichsweise begrenzt ist, seh ich ja irgendwo auch ein, aber weißt du, so gar nichts tun, so überhaupt nichts unternehmen, um den guten Leuten aus Ur zu helfen, das bekomm ich nicht zusammen mit dem, was da so alles in der Bibel geschrieben steht. Da hätten sie ebenso gut oben bleiben können an der Nordwestküste, die Athapasken, andrerseits... wären sie da genau so dran gewesen, macht eigentlich keinen Unterschied, und ob sie dich jetzt Jahwe nennen oder Usen, du hast so oder so deine Ohren verstopft, keine Ahnung warum, deine Joshuas waren mindestens genau so kriegerisch, aber bei denen hat's dich offenbar nicht gestört, erklär mir das mal.


Weißt du, ich hab mal einen Schafbock befreit, der hatte sich mit seinen Hörnern im Gestrüpp verfangen, war von seiner Herde ausgebüchst, jedenfalls sag ich zu dem 'keine Angst, alter Junge, du musst hier nicht den Kopf hinhalten für den Sohnemann vom Urahnen der Navajo, der auf seine alten Tage noch Vater geworden ist, der hat's nicht so mit Opfern, musst du wissen, Opfergaben schon, Tabak und dergleichen, aber er vergießt kein Blut deswegen, das hat der Eine-der-Alles-enthält nicht nötig', soll ich denen jetzt sagen, wenn sie ihre Lämmer abgeschlachtet hätten, hätten ihnen die Weißen ihr Land nicht weggenommen, und hätten sie die Eingangslöcher ihrer Hogans mit Lammblut beschmiert, wär der Todesengel dran vorbeigerauscht? Davon war nie die Rede, würden die sagen, davon hat er nie zu unseren heiligen Männern und Frauen gesprochen. Was hast du denen denn gesagt? Macht auch mal fertig zum Sterben? Wenigstens das hättest du ihnen fairer Weise sagen können, wär wirklich nicht zu viel verlangt gewesen, finde ich.“


Und während ich noch so Tacheles rede, ist der Dornbusch auch schon hinunter gebrannt auf ein paar rauchende, qualmende, stinkende schwarze Stumpen, „tja“, sag ich, „das wird’s wohl sein, ich darf dich also getrost den Ich-war-grade-nicht-da nennen, und der Ich-bin-da, das bin dann wohl ich, und das ist verdammt noch mal zu wenig, davon hatten sie nie was und haben sie niemals nichts, die Inde' und Diné, die Leute aus Ur, mir bleibt nur übrig, dabei zuzusehn, und göttlich ist das nicht gerade, das kann ich dir sagen.“


Es geht gemächlich bergan.


Dass im Monument Valley keine prächtigen Kronleuchterkakteen wachsen, wie sie auf den wandfüllenden Ölgemälden der Regierenden ins Panorama gerückt zu finden sind, weiß ich wohl, aber mein kleiner Freund Fanda behauptet stocksteif und felsenfest, dass es die runden Wanderbüsche, die vom Wüstenwind so schön geisterhaft über die Ebenen gerollt werden, zu Desperado’s Zeiten im Südwesten noch gar nicht gegeben hat und deshalb ganz einfach nicht gibt, da diese Gewächse erst in kommender Zukunft aus Russland eingeschleppt werden werden, nun denn, wenn er unbedingt meint, der neunmalkluge Wicht, dann seh’ ich eben Gespenstersträucher wandern, however und was macht es für einen Unterschied?


Staub wirbelt in winzigen Windhosen die Steilwände entlang, klettert an den Felsnasen in die Höhe und verschwindet im Nichts eines tiefblauen Himmels. Gigantische Figuren und Gesichter rundum in den geschliffenen Steinen. Manche geformt, als hätte ein Künstler sie in den Fels gemeißelt. Bei den Ute erzählt man sich, dass Schöpfer Kojote in grauer Vergangenheit ein paar ungezogene Vorfahren zur Strafe in Stein verwandelt hat, da kann ich nicht viel zu sagen, war dann doch vor meiner Zeit. Schwer vorstellbar in der Tat, dass ihre Gestalten ein Produkt des puren Zufalls sein sollen, der Gedanke einer geheimnisvoll schöpferischen Kraft scheint einleuchtender, der beseelter Natur selbstverständlich. Hat der Wind die verlorenen Träume Vergessener gesammelt und hierher in die Berge getragen, um ihr Antlitz in die schroffen Formationen zu zeichnen? Um ihrem Leben ein gewaltiges Denkmal zu setzen, das niemand einer Zeile wert fand, kein Wanderphotograph mit seinem rauchenden Kasten einer Platte? Die Idee einer versteinernden Macht lebender Wesen ist so abwegig nicht beim Betrachten dieser Wunderwerke. Würden sie zu sprechen beginnen, es wäre weniger erschreckend als ihr wissendes Schweigen. Reglos stehen sie da, stumme Zeugen unermesslicher Zeiten, deren aufmerksamer ungestörter Beobachtung nichts entgeht zwischen Himmel und Erde. Die weise genug sind, alles für sich zu behalten.


Mich kennen sie ja bereits. Zur Genüge. So ein einsamer Desperado kostet sie kein Blinzeln mehr. Kein Schattenspiel in ihren Zügen. Keinen Lichtreflex glitzernder Minerale. Nicht einmal ein leises Säuseln plötzlich einfahrenden Windes, der da wispert: „Ist nur er.“ Bin nur ich, Leute. Nichts Weltbewegendes, nichts Aufregendes, im Grunde genommen nicht einmal Bemerkenswertes. Nicht wert, bemerkt zu werden. Keiner Bemerkung wert. Nur ein alter Desperado, der gemessen an einem flüchtigen Menschenalter mindestens genau so viel gesehen hat wie ihr zwischen der Wölbung dort oben und dem Fundament hier drunten. Und der wie ihr, meine steinernen Freunde, weise genug ist, es für sich zu behalten.


Oder besser schlau genug.


Längst ist die Nacht hereingebrochen, Stille hat sich vom Himmel herabgesenkt und Gleichmut wie Tau auf das schlafende Gestein der Felsskulpturen gelegt. Ob nun die Sonne gülden und umflort von purpurrotem Wolkenkranz versinkt oder ihr fahles Licht unbemerkt hinter einem dichten Leichentuch aus flimmerndem Grau erlischt, spielt keine Rolle und macht keinen Unterschied, der Tag ist um, der bunt strahlende Regenbogen, hoch in den dräuenden Himmel gezogen, hat sich in Nichts aufgelöst, das will genügen und es ist genug. Der Tag türmt sich nicht mehr auf vor dir, hochragend wie ein mächtiger Gebirgskamm, den es zu überwinden gilt, koste es was es wolle, das wütende Geheul des rauen Windes auf den Gipfeln ist längst verklungen und verweht, dabei im Vergessen zu versinken, mit jedem Hufschlag unter deinem schmerzenden Hintern rückt die Talsohle näher, schon tauchst du in den bergenden Mantel des schattigen Wäldchens unten am Fluss und sehnst dich nach dem Lager, um dich hinzubetten und die erschöpften Glieder auszustrecken. Berechtigt und begründet kann die Müdigkeit sein und ihr Gähnen reife Frucht eines langen harten Tages, die Sättigung herbeigeführt durch schlichtes aber schmackhaftes Abendmahl und nicht durch Übersättigung, Völlerei und Prasserei, denn satt zu sein heißt nicht, es satt zu haben.


Alt wie der Wald kann eine Seele sein, und ist sie alt geboren, wird sie alt wie Stein.


Zuletzt geändert von Desperado am Mi 10 Dez, 2014 07:46, insgesamt 2-mal geändert.
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