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Gedichte, die gesellschaftliche oder politische Themen behandeln
von Ruelfig » Fr 15 Jan, 2010 18:30
werft kippen in den schornstein dass er kräftig raucht ein letztes mal aus mehrwegpullen schulden saugen schaut in den pfützen dieser stadt ein heiteres programm baut lügen an zur selbstversorgung ist es nicht mehr weit friert schnee ein für den winter euch betreut die neue zeit schärft eure lippen nicht ihr werdet noch gebraucht verwertet
Version 2 (drehrasselverbessert)
werft kippen in den schornstein dass es raucht ein letztes mal aus mehrwegpullen saugen die schulden schaut in pfützen dieser stadt ein heiteres programm baut lügen an zur selbstversorgung ist es nicht mehr weit friert schnee ein für den winter euch betreut die neue zeit schärft eure lippen nicht ihr werdet noch gebraucht ~verwertet
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von Drehrassel » Fr 15 Jan, 2010 22:17
hi rülf,
kannst du dich an dieses "ein braun gebranntes kind spielt fang-den-ball / am stadtrand von pjönjang"-gedicht erinnern? bzw. was ich damals im alten lyfo darüber sagte bezüglich des spürbaren metrischen willens in ihm zum blankvers? - es ist merkwürdig; auch hier scheint es mir, als würde das gedicht an rhyhtmus und konzisheit (semantisch) gewinnen, außerdem bessere (gut, das ist natürlich reine geschmacksache) enjambements bieten, strich man bloß ein paar unnötige attribute und so weg (wie dieses "kräftig" im eingangsvers und brachte das gefüge auf einen schnörkellosen regelrechten blankvers (der jambische pentameter ohne endreim) -
also, etwa:
werft kippen in den schornstein dass er raucht ein letztes mal aus mehrwegpullen saugen die schulden schaut in pfützen dieser stadt ein heiteres programm baut lügen an zur selbstversorgung ist es nicht mehr weit friert schnee ein für den winter euch betreut die neue zeit schärft eure lippen nicht ihr werdet noch gebraucht (verwertet)
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von Ruelfig » Fr 15 Jan, 2010 23:01
Mein Gutester, das war "All inclusive", damals:
Sanft spült sich eine Welle nach der anderen hinauf zum Strand, zerfließt in Gischt, sie murmelt sacht "Darfur, Darfur". Und regellos trägt Wind die Möwen übers Land, sie kreiseln, treiben, singen alte Lieder, vom blaugrün spiegelgleichen Meer. Wer sitzt wohl in den Booten ohne Segel, treibt hin, treibt her und auf den Wellenkronen tänzeln glänzend Wasserleichen. Am Rand der Flut, von grau zu schwarz schattiert, streckt friedlich eine Flotte einstmals stolzer Schiffe ihre Glieder. Rund um den Leib der Sonne zieht sich ein Kranz aus brennendem Benzin. Ein braungebranntes Kind spielt "Fang den Ball" am Stadtrand von Pjöngjang, zerlumpt, verhungert. Barfüßig durch die Glut aus Sand zum Beachcafe, ein Fink schlägt aus im nächsten Wald, Guantanamo, die Zeitung ins Recycling. So lieb den Neger wenn er nackt ist. Der erste Drink schmeckt sowieso.
Ich hoffe, dies ist die Version mit deiner Hilfe erstellt. Irgendwie hatte ich im Kopf, beim Einstellen des gegenwärtigen Textes, dass du antworten würdest und Bingo! Danke, ja, das übernähme ich gerne. Blankvers, da darf ich wohl noch was lernen. Ich lerne gerne. Grüße, R
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von Drehrassel » Fr 15 Jan, 2010 23:29
ich merke eben zweierlei: a) ich habe ja gar nichts getrichen bis auf dieses eine "kräftig". gut, das war, finde ich gut so. aber ich würde das rauchen des schornstein tatsächlich sprachlich nochmal unterstreichen, und zwar indem ich "es" statt "er" schrieb. das gibt dem ganzen etwas, finde ich, passend anmaßend hemdsärmeliges, da sich das subjekt des gedichts ja schon als zynisch-desillusionierter prediger gibt. also: "werft kippen in den schornstein dass es raucht" (mit spürbarem aber nicht im textbild erscheinenden ausrufezeichen. leitet auch fein über den zeilenumbruch und verwandelt die evoziierte szene in eine einerseits distanziertes, andererseits durch die umgangssprachlichkeit dringlich gegenwärtiges bild); und b) der letzte vers meiner version beinhaltet ja auch keine 5 hebungen. ich dachte erst, dass es an dieser stelle gefiel, angelehnt an deine fassung, hier in der schluss-sequenz um einen versfuß zu reduzieren. es gibt aber auch noch eine andere möglichkeit. und zwar, indem man mit dem kern der aussage (werden vs. verwerten) einerseits, dem darin angelegten klanglichen potential andererseits spielt; zum beispiel:"ihr werdet noch gebraucht werdet verwertet". - so würdest du durch dieses eine (die einzige im text) tonbeugung (der metrische akzent läge da in "werdet" auf der natürlicherweise nicht im wortakzent vorgesehen zweiten silbe: werDET, was zur folge hätte, dass man eine "schwebende betonung" annehmen und vor dem wort eine zäsur/atempause einlegen müsste). einen ähnlichen effekt könnte man auch erzielen durch die einmale einführung eines "sonderzeichens": "ihr werdet noch gebraut ~verwertet", oder so etwas. keine ahnung. kam mir eben noch grad so. -
ja, genau, "All inclusive"! - danke, dass du es mir ins gedächtnis zurück riefst. - der von mir zitierte zeilenübergreifende satz war mir eben hängen geblieben. sehr eindringlich an dieser stelle. das bild. -
lg, dreh
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von cube » Mi 10 Feb, 2010 22:44
he R, ich find deine vorschläge richtig und wichtig, habe mir eben selbst ein bisschen schnee zurück gelegt. man weiß ja nie: was man hat, hat man. richtig hübsch sind die schildbürgertaktiken, die empfinde ich als treffende bebilderung teilweise herrschender zustände. wobei politische gedichte schon grooven müssen. :D aber das tuts hier ja - die zweite version mit ihren dezenten änderungen gefällt mir besser, sie ist kompakter. wobei ich mit dem sonderzeichen an der stelle nicht viel anfangen kann, das werdet gefiele mir hier besser. cube
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von Ruelfig » Do 11 Feb, 2010 22:18
Hallo cube, da dieser Kommentar lt deiner Signatur nicht von dir ist, weiß ich nicht wem zu antworten?? Ach, egal, hier ist das Internet und noch sind wir frei, zu schreiben, zu meinen. Vllt ist das Sonderzeichen wirklich nicht so geeignet, was hieltest du von "gebraucht/verwertet"? Danke für deine groovende Antwort, die mein kleines Herz erfreut. Grüße, R Don't eat the yellow snow.
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von cube » Do 11 Feb, 2010 23:04
he, R, zwei minimal angepasste varianten: 1. werft kippen in den schornstein dass es raucht ein letztes mal aus mehrwegpullen saugen die schulden schaut in pfützen dieser stadt ein heiteres programm baut lügen an zur selbstversorgung ist es nicht mehr weit friert schnee ein für den winter euch betreut die neue zeit schärft eure lippen nicht ihr werdet noch gebraucht werdet verwertet
bei dieser version gehts ja zum schluss noch mal schneller zur sache, die assonanzen und der identische reim lassen beim lesen ordentlich fahrt aufnehmen, um doch nur in der verwertung zu enden. empfinde ich in dieser widersprüchlichkeit angesichts des inhaltlichen tenors als gutes ende. lieber aber noch die knappere form:
2. werft kippen in den schornstein dass es raucht ein letztes mal aus mehrwegpullen saugen die schulden schaut in pfützen dieser stadt ein heiteres programm baut lügen an zur selbstversorgung ist es nicht mehr weit friert schnee ein für den winter euch betreut die neue zeit schärft eure lippen nicht ihr werdet noch gebraucht
das ist trockener und passte mir in der schnörkellosigkeit letztendlich doch besser in das straighte gedicht. wobei ich grade grübel, ob man es überhaupt so lesen kann, ob in diesem gebraucht das verwertet anklingt oder ob mans nur sehen kann, wenn man die ursprüngliche zweite version kennt. hm, musst du wissen - vielleicht meldet sich ja noch ein bürger mit unverbrauchtem blick. ;) grüße
wobei die vorschläge ja von drehrassel stammen. ich hab sie nur aufgegriffen.
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