Gedichte, die gesellschaftliche oder politische Themen behandeln

Many Years from now

Beitragvon miou » Di 10 Nov, 2009 08:08


[size=150:15p7e8zq][mittig:15p7e8zq]Many years from now?

Ob sie den Schmerz milderten
die
Sterne?
In jener Nacht hatten sie sich versammelt
auf den Leibern derer
die bald zum Schlachthof gefahren wurden

Gierig hatte die Zeit
ihr Maul aufgerissen
fraß ganze Züge an
Ausgesternten

Ihre Furze sind heute noch zu hören
wenn sie sich im festgefressenen Bett
umdreht[/mittig:15p7e8zq]
[/size]
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Re: Many Years from now

Beitragvon Pegamund » Di 10 Nov, 2009 08:58


Hirsch Glik, Wilne/Litauen:
"... Schtil, di Nacht is ojssgeschternt un der Frosst hat schtark gebrent. Zi gedenksstu wi ich hob dich gelernt haltn a Schpajr in di Hent? ..."

---

hm. als gedicht, als text ... ich weiß nicht.
es ist gut gemeint und "will" natürlich etwas.
gerade deswegen, weil es so offensichtlich etwas will (link), vermag es mich nicht zu begeistern (u.a.) .
zudem schriebe ich (aus ästhetischen gründen) nicht "Furze", sondern "Fürze".
ungeschickt ist dieses "ihre": der bezug ist zwar vom sinn her klar (-> zeit), grammatikalisch, vom satzbau her, aber nicht eindeutig. "ihre" ist von der "zeit" satzbautechnisch zu weit entfernt, die "ausgesternten" stehen ihm näher, stehen dazwischen, sind rein grammatikalisch betrachtet das bezugsobjekt. das verusrsacht beim lesen eine unnötige irritation, der fluss wird gestört, weil der leser sich erst mühsam über diesen grammatikalischen stolperstein hinwegbringen muss .
und warum so bunt? bringen die farben dem text etwas? eine zusätzliche kodierung, aussageebene, verdichtung, sprach-verästhetisierung, was auch immer? ich meine nicht. die farbigkeit ist hier wirklich "nur koloratur", das wirkt auf mich so "kunstgewerblich hübsch". ebenso geht es mir mit der zentrierung.

nfu und Pegagrüße
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Re: Many Years from now

Beitragvon miou » Di 10 Nov, 2009 19:12


Oh oh .... da ist mir jemand auf die Schliche gekommen ....

das "ausgesternt" gefiel mir immer gar zu gut ..... allerdings kenne ich es von Andre Heller

[size=85:1vg75civ]"Tulio heißt es, hat ein Fieber, das in die Gedanken greift
manchmal spürt er , dass ein Falke sich an ihm den Schnabel schleift
Häufig muß er Stimmen hören und vor Angst macht er sich naß
Wo er hintritt stehn Gebäude - festgefügt aus Gelbem Haß

.... Seine Ärzte fordern von ihm, daß er das Vergessen lernt,
denn: Es gäb auch gute Menschen und die Nacht sei ausgesternt .... "[/size]

Aus ästetischen Gründen Fürze zu schreiben ist zweckmäßig - Danke :D D in dem Zusammenhang .

Ja, es WILL ---- es soll doch ein Politisches Gedicht sein!!!

Okay und ich gebe zu, Pegamunde, es ist plump, anmaßend, bekennerisch, missionierend .... es ist einfach ein Anfängerlein.

Umso lieber daß Du es gesittet hast :] .

Aber aber
das hier:

Die Fürze der Zeit sind heute noch zu hören
wenn sie sich im festgefressenen Bett
umdreht


findet das nicht wenigstens Gnade vor dem Auge der Pegamunde ???

Jaja ... auch das Kunsthandwerkliche ist nicht .... nicht mal jetzt, wo doch bald die Christkindlesmörkte allerorten sind.

Nochmals Dank
und
knix macht

hier das verbesserte :) ] evil: - Gedicht: :) ) )

Many years from now?

Ob sie den Schmerz milderten
die Sterne?
In jener Nacht hatten sie sich versammelt
auf den Leibern derer,
die bald zum Schlachthof gefahren wurden

Gierig hatte die Zeit
ihr Maul aufgerissen;
fraß ganze Wagenladungen an Ausgesternten.

Chronologische Fürze sind heute noch zu hören
wenn sich die Zeit im festgefressenen Bett
umdreht

miou :P

also .... wenn ich es jetzt derart ungeblümt nochmal lese , komme ich nicht umhin zu sagen, daß ich es mag! Aber deswegen bin ich ja hier bei Euch, um meine Geschmacksverirrung von Euch testen zu lassen .... ;
meine Art zu kochen kommt auch nicht immer an :O
miou
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Re: Many Years from now

Beitragvon Pegamund » Di 10 Nov, 2009 20:16


Naja, Andre Heller (ich mag ihn nicht; ein Gackerer; ein Seierer).

Wilner Ghetto, um 1940 abgeriegelt, abgeschnitten von der Welt(öffentlichkeit); Transporte nach Ponar (KZ), es gibt kaum überlebende Wilner Jidden, um die 80.000 sind es, die in Ponar umkommen. Während die Vernichtungsmaschinerie läuft, versuchen im Ghetto die Juden zu leben; halten ihre Würde trotz aller Bedrängnis; im Schatten des Todes wächst Widerstand (davon singt das Lied, von einer Widerstandskämpferin, die mit ihrer Pistole einen Munitionstransport in die Luft jagt). Im Wilner Ghetto blühte im Schatten des Todes ein eigenes, besonderes kulturelles Leben auf, das war der Widerstand des Geistes; da waren viele junge Menschen, die (über)leben wollten; einer davon Hirsch Glik, der dieses Lied (bessere Version treib ich grad nicht auf) geschrieben hat; er war Anfang oder Mitte 20, als er 1944 von den Nazis ermordet wurde, kurz bevor der Krieg zu Ende war.

Ich dachte an den "Judenstern" und an das Lied von Hirsch Glik. Wenn ich dich aber richtig verstehe, sind dir dieses Bezüge gar nicht bewusst gewesen beim Schreiben.

Dass dein Gedicht "irgendwie" politisch sein will, war mir schon klar. Aber ich kann es eben nicht ernst nehmen in seinem "Wollen". Es ist für mich ungefähr so politisch wie eine kunstgewerblich verhübschkitschte Christbaumkugel, auf der "Friede" steht, jeder Buchstabe in einer anderen Farbe.
Bitte entschuldige.

Pega
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Re: Many Years from now

Beitragvon OlafmitdemTraktor » Di 10 Nov, 2009 21:50


hallo miou,
vieles geht mir durch den kopf. Und ich muss dir ehrlich sagen, ich kann es nicht in Worte fassen, geschweige denn es versuchen zu verdichten. Ich nenne ein Buch mein Eigen: Das Schwarzbuch. Der Genozid an den sowjetischen Juden. von Wassili Grossman und Ilja Ehrenburg. Das ist mir ein sehr wichtiges Buch, weil ich es in Jahren nur bruchstückhaft, einzelne, zufällig aufgeschlagene Seiten, nur absatzweise lesen konnte, weil es mir die Sprache und mein Denken verschlägt, weil ich hier nicht weiter kann und will, weil die Unfassbarkeit mich stimmlos macht, weil ich weine.
Auch wenn ich hier als Hildegard oder Olaf herumkaspere - das obige meine ich ehrlich.
Das ist das Grundproblem deines Gedichtes für mich - eines Gedichtes in bunten Farben.
Ich hoffe, du verstehst, was ich sagen möchte.
Das George-Zitat bei Pegamund sagt den Rest.

Beste Grüße von
Olaf

Und nochmal zum Schluß: das ist meine persönliche Einstellung und emotionale Reaktion auf gerade dieses Gedicht.
Der Schlüssel zum Glück ist auf jeden Fall ersteinmal ein Schlüssel. (Gregor Libkowsky)
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Re: Many Years from now

Beitragvon miou » Di 10 Nov, 2009 22:05


Grüss Dich Pegamunde

erstmal: Hör auf bitte :) )
Denn dazu bin ich ja hier.
Natürlich lasse ich mir lieber Honig ums Maul schmieren
und ich möchte lernen.

Danke für Deine Erzählung ; ich darf sie mir in aller Ruhe nochmal durchlesen.
Und dochdoch, ich meinte durchaus die Judensterne ---
auch Heller nimmt in seinem Lied Bezug darauf.

Ich schreibe es hier nochmal ganz (soweit ich mich aus dem Gedächtnis dazu id Lage finde)

[size=85:1fzdamg9]"Tulio heißt es, hat ein Fieber, das in die Gedanken greift
manchmal spürt er , dass ein Falke sich an ihm den Schnabel schleift
Häufig muß er Stimmen hören und vor Angst macht er sich naß
Wo er hintritt stehn Gebäude - festgefügt aus Gelbem Haß

Ich bin Tulio, laßt mich leben
- ruft er immer wieder aus!
Deutschland schläft nicht - Gott sei bei mir!
Deutschland kommt durchs Stiegenhaus.


.... Seine Ärzte fordern von ihm, daß er das Vergessen lernt,
denn: Es gäb auch gute Menschen und die Nacht sei ausgesternt ....
Tulio aber sieht gespiegelt in den Linien seiner Hand
Funkensturm und Aschenregen - Welten.... ? und Weltenbrand

....
Und ein Riß geht durch die Himmel
Und er geht durch Tulios Herz.
Aus den Sprachen aller Völker bleibt ein einzig Wort:
Der Schmerz.

[/size]

Ich mag Andre Heller --- finde ihn zwar ein wenig "kapriziös"
und seine Texte und Aktionen sagen mir doch zu.
Aber das tut hier ja nichts zur Sache.

Ja Olaf mit dem Traktor
es ist nicht okay das Gedicht in bunten Farben
Es ist geschmacklos sonder gleichen.

Mir geht das Leid und die endlosen Greueltaten
der Nazizeit auch sehr nahe;
daß ich dies nicht .... angemessen .... rüberbringen konnte
gibt mir zu denken und zwar vermutlich für länger als Ihr meint.

Ich danke Dir und auch Dir Pegamunde
nochmals für das Zurechtstutzen meiner Oberflächlickeit!

beschämt
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