Gedichte, die gesellschaftliche oder politische Themen behandeln

Raus!

Beitragvon Ruelfig » Do 26 Nov, 2009 21:16


Ich will nicht spielen,
ich will beißen.
Die Hand abschlagen,
die ihr reicht.
Ich will nicht unter Dialog geraten.
Ich will nicht zuhörn
und die Laute schreien,
aus denen ihr Verständnis brecht.
Ich will nicht nützlich sein,
ich will nicht tauschen,
ich will nichts wert sein.
Ich will raus.
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Re: Raus!

Beitragvon rivus » Mi 16 Dez, 2009 23:29


hallo ruelfig,

mir kommt gleich einer flog übers kuckucksnest in den sinn (grufti-erinnerung :D ) u. einer spielt die ganzen gesellschaftlichen possen, lichtschattentheater, die klaviatur der groben, mittleren u. feinen etikette, die tausch- u. austauschbaren verwertungen nicht mit, sondern will einfach nur "raus!" u. so passt der gereihte reigen. die gewollten interruptionen sprechen knallhart u. so verraust bleibt das manifeste "ich will nicht unter dialog geraten" immanent. einer, der einfach nichts wert sein will, verdient meinen respekt, denn er hat die größeren chancen seine individualität auszuleben u. das wie-alle-sein außen vor zu lassen, indem er das raussein probiert u. damit einen gegenläufigen, will-selbstwert schafft, der sicherlich substantieller ist, wenn er das rausleben existentiell und monologistisch unbeschädigt überlebt.

sehr gern gelesen

lg, rivus

nachtrag:
die ich-will-struktur dominiert u. demonstriert ein fast pubertäres aufbegehren mit stark ichbezogenem behauptungswillen, der sowohl ernst als auch parodielastig lesbar ist. das lyr-ich spiegelt aber auch das blockierte u. gar nicht so spielbereite, vorurteilsbesetzte dialog-wir, das sich einen dialog nur nach seiner fasson vorstellen kann u. auch bereit scheint, das lyrich mit allen - inklusive brachialen - mitteln zu dialogisieren u. somit nach lyrwir-konditionen zu vereinnahmen. so könnte das ichwillbegehren auch einen letzten ausweg darstellen, um einer völligen ichaufgabe zu entkommen. das lyrich könnte letztendlich nur durch durch ein konsequentes raus!-gehen unbeschadet überstehen, aber kann es denn das auch wirklich? es verbalisiert ja nur seinen willen u. somit wäre es auch möglich, dass es sich dem gewaltträchtigen dialog doch nicht entziehen kann u. das demonstrative raus! die aufgabe des lyr-ich-willens bedeutet?
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Re: Raus!

Beitragvon maxk » Mi 16 Dez, 2009 23:38


hi ruelfig,

ich finde dein Gedicht etwas eintönig und starr, aber das kann auch gut und gerne gewoltl sein. Ich finde, dass alles ab der dritten Zeile absolut vorhersehbar ist und kein neuer Gedanke hinzukommt, das ganze Gedicht lässt sich mit der letzten Zeile zusammenfassen:"Ich will hier raus."

und die Laute schreien,
aus denen ihr Verständnis brecht.

mhm, das mit der Verständniss brechen finde ich seltsam, soweit ich informiert bin kann man nicht etwas aus etwas brechen, man kann nur etwas brechen. vllt ersetzt dus durch "formt" oder ähnliches?

finde das Gedicht zeigt gut die Stumpfheit des generellen "Nein"-Sagens, sowohl die positive wie auch die negative Seite.

mfg, maxk
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Re: Raus!

Beitragvon Ruelfig » Mo 21 Dez, 2009 18:42


Hallo rivus,
ich möchte ausnahmsweise einmal angeben, mit welcher Absicht ich den Text geschrieben habe, ohne damit irgendeine andere Lesart als "falsch" darstellen zu wollen. "Einer flog über das Kuckucksnest" ist ein großartiges Buch und, selten genug, ein toller Film und beide haben mich in jungen Jahren sehr beeindruckt und sicher auch immer beeinflusst (Empfehlung zu Ken Kesey: Electric kool aid acid test von Tom Wolfe (the best book on the Hippies)).
Ich habe versucht, mich in die Empfindung eines beliebigen radikalen (rechtslinksislamchristlichfundamentalistisch) hineinzuversetzen und auf die vielfältigen Dialogangebote einer verunsicherten spätkapitalistischen allesgehtabernichtzuweit-Kultur zu reagieren und ja, ein radikaler Standpunkt erkämpft sich einen gewissen Respekt, aber dann ist auch Schicht (und da droht dem nach Autonomie verlangenden Ich der Verlust der Selbststeuerungsmöglichkeit, da es nur gegen Widerstände navigiert und nicht nach eigenen Karten), ab dann wird gebissen und da wird es starr,
Hallo maxk, da hast du völlig Recht, da gibt es keine neuen Gedanken und aus den Lauten bricht Unverständnis, wie sich aus einem leeren Steinbruch nur noch Staub holen lässt (Staubbruch). Wie du richtig schreibst, generelles NEIN-sagen hat Stärke und Schwäche.
Eine Lösung? Keine Ahnung. :)
LG und danke fürs Nachdenken und Antworten,
Rolf
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Re: Raus!

Beitragvon rivus » Mi 23 Dez, 2009 20:14


hallo ruelfig,

mit deiner erklärung lese ich den text natürlich intentionell u. greife den text anders. die dialogische starrheit wird fassbarer u. passt als wortkunstgriff zum steinleeren staub-bruch. ja ... bei so starken biss beißt sich die autonomie selbst in den schwanz und verschwindet im nichtdialogischen schwindel.

lg, andreas



danke für deine empfehlung bezüglich ken kesey. (ich werde nie den am ende lobotomierten mcmurphy vergessen u. auch nicht die wandlung u. den ausbruch des häuplings. als ddr'ler empfand ich die figur des indianers, seine inneren u. äußeren entwicklungen nahezu sensationell - den mutismen unterdrückter ddr-menschen frappierend ähnlich - gezeichnet u. seine letzte aktion so lebensachtend, die lasten aller gedemütigten mittragend u. wegeweisend, dass in mir auch heute noch beim betrachten menschlicher konflikte diese lese- und filmbilder einfallen u. ich hellhöriger zu analysieren versuche! )
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