Gedichte, die gesellschaftliche oder politische Themen behandeln

Schwebstand inmitten

Beitragvon Antibegone » Di 02 Feb, 2010 16:29


Mit dem nichtgewiss im nacken
Jagst

Aus daunenweicher höhe
Streiflichterscheinen hinterher
Für deine milimeterbildbeweise
Drehrassel: "Als Lyriker sollte man eine ahnende Checkung haben, von dem, was man da macht."
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Re: Schwebstand inmitten

Beitragvon Friederich » Di 02 Feb, 2010 22:32


Hallo Traumi :-)

In letzter Zeit mag ich gern knappe, stark verdichtete aber bildreiche Texte, nicht zuletzt, da ich selbst in diese Richtung schreibe. Da gefällt mir dein kurzes Stück Poesie sehr gut.

Ein interessanter Effekt ist, dass du Großschreibung am Versanfang, nicht aber nach grammatikalischen Regeln praktizierst. So hebst du das Kleinschreiben hervor, was für mich vor allem "nichtgewiss" und bei den "millimeterbildbeweisen" die Wirkung der Unsicherheit und der Orientierungslosigkeit hervorhebt.

Als nächstes gefällt mir die Ellipse am Ende des zweiten Verses. Das großgeschriebene "Jagst" lässt ein "du" nachklingen und die Wirkung von dessen Ausbleiben ist entsprechend stark. Das "Jagen", etwas "im nacken" haben sind Wortfelder, die raue Natur evozieren. Gelungen finde ich daher den Kontrast, den du mit der "daunenweichen Höhe" aufbaust, der an ein sicheres Nest (mit dem Bild des Bettes) denken lässt.

Ich denke, der Text ist sehr weit deutbar und daher belasse ich es beim Benennen von formalen Dingen. Im Prinzip habe ich nichts zu kritisieren und finde den Text einen der stärksten Kurztexte in letzter Zeit hier :)

Viele Grüße,

Friederich
L'avenir, on ne l'attend pas comme on attend le train. L'avenir, on le fait. (Georges Bernano)

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Re: Schwebstand inmitten

Beitragvon Antibegone » Mi 03 Feb, 2010 09:24


Huhu Friederich :)

Freut mich sehr, wenn dir meinen Zeilen gefallen. Ich hatte starke Bedenken, es überhaupt zu posten.

Ich finde es sehr interessant, wie du die Formmerkmale herausarbeitest. „Das "Jagen", etwas "im nacken" haben sind Wortfelder, die raue Natur evozieren.“ Das zum Beispiel hatte ich gar nicht so gesehen; ich wollte den Kontrast, ja, und es sollte das Getriebensein ausdrücken. Dass man es so lesen kann, fasziniert mich.
„Das großgeschriebene "Jagst" lässt ein "du" nachklingen und die Wirkung von dessen Ausbleiben ist entsprechend stark.“ Das freut mich, denn ich war mir nicht sicher, wie es wirken würde. Es sollte so eine Art „Niederstürzen auf etwas“ veranschaulichen.
Schön auch, dass man die „Unsicherheit“ heraus lesen kann.

Danke, dass du die Wirkung des Gedichts auf dich so anschaulich beleuchtet hast. Mich würde natürlich interessieren, was du inhaltlich darin siehst, vor allen, wenn du sagst, es wäre so „weit deutbar“, denn ich fand den Inhalt eigentlich ein bisschen zu festgelegt. Natürlich verstehe ich es auch, wenn du es lieber dabei belassen magst.

Herzlichen Dank noch mal für deine interessante Sicht und deinen Kommentar.

Ich hoffe du hast einen wunderbaren Tag,
liebe Grüße,
Traumi
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Re: Schwebstand inmitten

Beitragvon Drehrassel » Mi 03 Feb, 2010 10:41


ich sehe es - was das formale anbelangt - ähnlich wie friederich. allerdings würde ich in diesem fall das possesivpronomen gegen das entsprechende personalpronomen tauschen. das macht die "sache", das sujet meiner meinung nach einerseits rätselhafter, setzte das, nun direkt genannte du, in meinem gleich folgenden vorschlag, syntaktisch mit dieser epiphanie der "streiflichterscheinungen" gleich und rückte es zugleich distanziert als von einem beobachter-textsubjekt wahrgenommenen in ein es grotesk-mystifizierendes bild, und ersetzte die ellipse durch eine, allerdings semantisch uneindeutige, inversion. - außerdem behagt mir der durch deine grammatische struktur doppelte plural nicht so ganz. ich denke, du würdest, trotz der jetzt schon relativ hohen dichte des texts, sogar einen noch größeren deutungsspielraum erzeugen, eben durch die von mir syntaktisch vorgenommenen umstellungen, interessanterweise trotzdem dadurch ein handlungstragendes subjekt re-installiert würde. das verschiebt allerdings selbstverständlich auch den aussagegehalt der verse und spiegelt nur meinen persönlichen geschmack. wenn du entgegnetest:" nun, das habe ich aber nicht ausdrücken wollen", so gäbe es an dieser stelle nichts weiter zu diskutieren.

friederichs goutieren der georgeschen typographie (majuskeln im verseingang, sonst kleinschreibung) teile ich auch. er (friederich) begründet gut, dass dadurch die (vers-)zeile aufgewertet würde als eigenständiges struktur-element einerseits und andererseits aber der kontrast zur vieldeutigkeit des textes, mittels ansonsten konsequenter kleinschreibung und fehlender interpunktion, effektvoll herausgearbeit erscheint.


Schwebstand inmitten

Mit dem nichtgewiss im nacken
Jagst

Aus daunenweicher* höhe du
Streiflichterscheinung hinter
Her für millimeterbildbeweise




*dies attribut mag ich nicht. klingt nach mit lyrischem perwoll gewaschen. aber mir fällt nichts besseres ein.
dreimal selig, wer einen namen einführt ins lied!
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Re: Schwebstand inmitten

Beitragvon Antibegone » Mi 03 Feb, 2010 21:43


Guten Abend, lieber Drehrassel :)

Nach dem ersten Satz hast du mich verloren…
Wenn ich das kritisch bemerken dürfte: Ich wusste zum Teil nicht, worauf du dich bezogen hast, weswegen ich jetzt versucht habe es mir „zusammen zu suchen.“ Falls du merkst, dass ich etwas missverstanden habe, weise mich bitte daraufhin.

Ich sehe den Sinn deiner Umstellung nicht. Das mag damit zusammenhängen, dass ich deine Interpretation nicht vor Augen habe, sondern nur meine eigene.
Du versuchst irgendetwas zu „mystifizieren“: die Streiflichter, das Subjekt. Aber warum? Ich habe bei der leider keine Begründung heraus lesen können; habe ich sie übersehen? „Streiflichterscheinung“ ist mir auch nicht plausibel. Im Grunde zerstörst du ja durch deine Bearbeitung die zweite Lesart: Streiflichter scheinen hinterher.
Verstanden habe ich, dass du das Bild weiten magst, das ist nachvollziehbar. Aber die Richtung, in die du es weiten willst, hab ich nicht aufm Schirm: „Erscheinung“ hat ja dann doch irgendwie eine religiöse Komponente, meintest du es so? Okay, die beiden Plurale - das leuchtet mir ein. Wüsste nicht, wie ich es - nach meiner Interpretation - sinnvoll vermeiden könnte, zumal sie ja auch inhaltlich in Beziehung zueinander stehen.

Du merkst vielleicht, ich hab wirklich versucht, dich und deine Interpretation zu verstehen, aber, wenn du magst, kannst du ja ein verwirrtes Traumi ein bisschen aufklären. Würde mich freuen.

dies attribut mag ich nicht. klingt nach mit lyrischem perwoll gewaschen


Kay, das Argument verstehe ich, aber das „daunenweich“ trägt ja auch zum Kontrast bei, oder nicht? Müsste ich mir vl ein anderes Wort überlegen, aber mir fällt nichts ein, was ihr tatsächlich alternativ passen könnte.

Danke für deine Beschäftigung mit meinen kleinen Zeilen und schön, dass dir die Form einigermaßen zusagt.

Ganz liebe Grüße,
vom Traumi
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Re: Schwebstand inmitten

Beitragvon Drehrassel » Do 04 Feb, 2010 10:47


hey, traumi

ich habe keine interpretation unternommen. wieso redest du ständig von interpretation? - ich habe mich deinem text in praktischer textarbeit nähern wollen, so wie ich es getan hätte, handelte es sich um ein eigenes gedicht. und ich schreibe nie von einem thema her! ich "übersetzte" in der lyrik keinen prosaischen inhalt in eine wie auch immer "verdichtete" sprache. keine ahnung. ich habe nun schon sooo oft versucht, hier im forum zu erklären, was für mich lyrische arbeit und die poetische textgenese ausmacht und versucht, für meine ideen zu werben. ich kapituliere. es scheint so gut wie niemanden zu geben, der oder die das so sieht wie ich. für mich ist das ja gerade die kunst an der lyrischen dichtung, dass in ihr form und inhalt korrellieren und unauflösbar ineinander übergehen. auch schon während des schreibprozesses! aber das darf jeder und jede so sehen, wie er/sie will. ich dränge mich mit meinen ansichten ab nun niemandem mehr auf. ich kann nicht mehr. ich bin müde. mich interessiert nicht, was "richtig" ist an data der empirischen welt, traumi! ja, sicher, muss man das mitbedenken, wenn man dichtet. weil man ja erstens sprache benutzt, die selbst auch aus der sphäre der informationsübertragung und des vernünftigen logischen handelns kommt (besser: darin dazu verkommen ist!); und zweitens könnte man ja keine semantischen effekte mehr erzielen, wenn man nicht teilweise anknüpfte an das, was kognitiv zum allgemeinen verständnis gehören mag. aber! am ende entscheidet für den text etwas anderes. nämlich seine eigenbewegung, seine suggestivkraft, sein zauber, sein bann. seine innere notwendigkeit. sein so sein müssen, so und nicht anders sein. nicht achselzuckend vorgenommene übersetzung eines prosaischen gedankens in quasi-lyrische satzverstümmelung. sondern zauber. ur-klang. zerebrale zuckung. musik! musik! semantische obertöne und erschaffung einer neuen, inneren eigenen nur sich selbst verpflichtenden welt. kosmos. verstehst du? das ist ein schöpfungsakt! -


so. puh! *schweißvonderstirnwisch*

"streiflichterscheinung" ist ein lesefehler. ich hab es den ganzen tag nicht bemerkt. ich habe mich schlicht verlesen.
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