Gedichte, die gesellschaftliche oder politische Themen behandeln

Stadttauben

Beitragvon zellhaufen » Fr 06 Mai, 2011 12:10


Stadttauben

Ich schleppe meine Hundeseele,
zum Tränken in die Stadt.
Wo Ratten auf ferngesteuerten Spielzeugautos
um die Wette fahren.
Die Stadttauben haben verlernt zu fliegen.
Gluckern mit den Köpfen
im Takt der Straßenmusiker.
Ich sehe Penner und denke mir,
ihre Hüte sind alle viel schöner als meiner.
Aus ihren Schuhen wachsen hübsche Blumen.
Meine bringen mich unfreiwillig
in die großen Kaufhaushallen.
Ausgemergelte Milchkühe
sehen da den Wänden beim Wachsen zu.
Bissige Kaufhausregale
hängen sich an meine Hacken.
Picken, hacken, packen mich.
Nur mit Mühe kann ich fliehen,
zurück auf die Rennstrecke der Ratten.
Die Tauben begrüßen mich nickend.
Gluckern, laufen im Kreis, picken.
Gucken, kacken, nicken.
Ich stimme ihnen zu.
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Re: Stadttauben

Beitragvon Antibegone » Fr 06 Mai, 2011 16:50


Ich schleppe meine Hundeseele,
zum Tränken in die Stadt.


Komische Formulierung: Wie soll ich mir das Schleppen einer Seele vorstellen?
Vor allen: Welche Idee von Seele willst du transportieren? (Seele als Wort ist total aufgeladen) Oder geht es dir nur als pars pro toto darum, den Menschen damit zu beschreiben? Wäre es in dem Fall nicht schlauer auf ein so problematisches Wort zu verzichten, zu präzisieren. „Hundesein“ mglw. Oder vl detailtreuer: „Hundeschnauze“
Wo Ratten auf ferngesteuerten Spielzeugautos
um die Wette fahren.


Schön ist der ähnliche Klang von „Ratte“ und „Wette“. Vielleicht noch mehr herausstreichen? (Wäre eine Möglichkeit beide Wörter ans Ende stellen des Verses, eins ans Anfang, eins ans Ende: Ratten in ferngesteuerten/ Autos fahren um die Wette.) „ferngesteuertes Spielzeugauto“ benutzt viele Wörter, könnte man auch kürzen.

Die Stadttauben haben verlernt zu fliegen.
Gluckern mit den Köpfen
im Takt der Straßenmusiker.


Ich frag mich an dieser Stelle nach dem Aufbau – ich guck mal weiter danach.
Das Bild an sich kann ich mir ganz gut vorstellen, find ich gelungen.

Ich sehe Penner und denke mir,
ihre Hüte sind alle viel schöner als meiner.
Aus ihren Schuhen wachsen hübsche Blumen.


Warum Hüte und Schuhe erwähnen?
Dass aus den Schuhen etwas wächst – und zwar Blumen – hat etwas Kreatives, fast Surreales. Es macht nicht unmittelbar Sinn und ist darum irgendwie interessant.

Meine bringen mich unfreiwillig
in die großen Kaufhaushallen.


Hast du die Schuhe nur erwähnt, damit sie jetzt ins Kaufhaus gehen können?
Und: Warum hat der Hund Schuhe an? Ist die Frage, ob das Bild hier mit dem Anfangsvers konsistent bleiben kann.

Ausgemergelte Milchkühe
sehen da den Wänden beim Wachsen zu.
Bissige Kaufhausregale
hängen sich an meine Hacken.


Ich mag die Doppelung von „Kaufhaus“ nicht.
Und was machen die Kühe da?
Ich sehe einfach die Stringenz im Aufbau nicht. Oder versuchst du so to say nur die Wahrnehmung des Ichs nachzuvollziehen, die ohnehin springt?

Picken, hacken, packen mich.


Hmmm, Lautmalerei, okay…

Nur mit Mühe kann ich fliehen,
zurück auf die Rennstrecke der Ratten.
Die Tauben begrüßen mich nickend.


Endlich ein Bogen zurück zu bekannten Bildern, ist man richtig froh drum, dass du die Ratten und die Tauben noch einmal anbringst und somit etwas im Gedicht entwickelst, fortführst, aufbauen lässt.
Ich frage mich, ob "Nur mit Mühe kann ich fliehen" nicht so erzählerisch ist... es passt schon in den Stil, aber hmmm, probier mal, die Zeile wegzulassen und das Gedicht ohne zu lesen.

Gluckern, laufen im Kreis, picken.
Gucken, kacken, nicken.


Hat es einen Sinn, dass du diese Lautmalerei nur in der letzten Hälfte benutzt?
Hat das Gedicht in der ersten Hälfte „noch keine Geräusche“?

Ich stimme ihnen zu.


Warum nur zustimmen?
Warum nicht ein Bellen etc. – magst du dich nicht entscheiden, ob du hier ein menschliches oder ein tierisches Ich hast? Mal davon abgesehen, dass ich „zustimmen“ als Wort nicht allzu kreativ finde.

Spricht mich übrigens mehr an als der erste Gedicht, was du gepostet hast, weil es seine Gesellschaftskritik mehr über Wahrnehmung als über absolute Aussagen laufen lässt.

Ein paar Gedanken,
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