ersteinmal zur theorie
1) ich sage mal als test zu dir: "Deine interpretation dieses Textes sagt mehr über dich aus, als über den Text."
2) dann könnte es gut sein, dass du das als beleidigend auffasst, weil dir diese redewendung wohl bekannt sein dürfte und für gewöhnlich sehr kritisch gemeint ist.
3) oder dir könnte auffallen wie richtig dieser satz sein kann, wenn man mal die prämisse weglässt, das solche sätze meist als angriff genutzt werden. denn genau das ist was ich dir jetzt sagen möchte:
4) ob und wie ein leser einen literarischen text versteht hat vor allem mit seinen erfahrungen zu tun. (einfaches beispiel: ich kann nicht beurteilen, wie in dem text die regeln eines sonetts gebrochen werden, wenn ich nicht weiß was ein sonett ist) so sind so banale dinge wie gestus und die sprachkenntnis selbst(!) über lange zeit erworben, man hat als leser eine vorstellung davon wie es sein müsste und gleicht das am text ab.
5) wenn es ziel des autors ist eine botschaft eindeutig zu übermitteln, dann muss er das tun was derzeit schwer in mode kommt: empirische, also experimentelle literaturwissenschaft betreiben, die sich u a damit beschäftigt wie leser texte verstehen. (da kann man durchaus analogien zur empirischen, also experimentellen psychologie sehen) so KÖNNTE der autor die codes entschlüsseln die nötig sind um einem leser seine botschaft mit seinem text zu übermitteln. oder:
6) (was aussichtsreicher wäre:) er müsste nichtliterarische prosa schreiben, also eine echte botschaft, keinen literarischen text absenden. so wie du es hiermit getan hast:
Ich wollte mittels einer Erinnerung an meine eigene Wehrdienstzeit die Situation von Soldaten darstellen, die unter dem ständigen Druck des Ernstfalls Ablenkung bei illegalen Discobesuchen (Auflehnung gegen die Obrigkeit) und Betäuben ihrer unterschwelligen Angst mit Appfelkorn suchen.
7) genau dein anliegen stützt es also, wenn wir uns mal differenziert mit meiner (und deiner) lesart auseinander setzen, die verschiedenen persönlichen, gesellschaftlichen, kulturellen (oder was auch immer du anlegen willst und kannst) faktoren herausarbeiten, die dazu führen, das ich so lese, wie ich lese, und du so liest, wie du liest.
dann nämlich kannst du - sozusagen im feldversuch - daran arbeiten, möglichst universell verständlich deine botschaft in einen literarischen text zu packen (dass ich den erfolg dieses vorhabens eher bezweifle, habe ich schon gesagt, tut aber auch nichts zur sache, denn wir müssten zumindest darin übereinstimmen, dass ne vernünftige und tiefgehende analyse unser gemeinsames interesse ist. und außerdem natürlich:)
8) textarbeit. echte, harte und sachliche textarbeit.
so und jetzt nochmal auf andere punkte deines kommentares:
"Wenn dir also, außer deiner Sicht etwas an dem Text liegt, dann trag was dazu bei oder lass es."
A) Dass man zu beginn einer diskussion seine eigene sicht in den raum stellt ist doch wohl vollkommen normal. (aber die diskussion hat ja noch garnicht begonnen, da du dich weigerst auf meine sicht einzugehen, "weil du ja der autor bist, und weist was du sagen wolltest" (so kommt das bei mir an) - und ich will dir ja nicht sagen was du sagen wolltest, sondern NUR was ich in dem text lese! - und auf meine position kannst auch eingehen indem du: a) eine plausiblere these aufstellst oder b) meine argumentation als falsch enttarnst - du musst mir nicht zustimmen oder son kack!)
B) habe ich meine position, meine sicht VON ANFANG AN in frage und somit zur diskussion gestellt. dann nutze das doch bitte und frag mal kritisch bei mir nach.
(aber das (A und B) war jetzt nur ein kleiner methodischer exkurs durch das was mich aufregt.)
wenn wir jetzt doch noch gemeinsam textarbeit betreiben wollen, dann wäre es eine idee, dass du mir im gegenzug darstellst mit welchen persöhnlichen, gesellschaftlichen (oder auch religiösen oder sonstwelchen) voraussetzungen du in den text gehst, und warum du ihn dann so liest wie du ihn liest: woran machst du deine interpretation fest? wie funktioniert der text für dich? es könnte ja sogar sein, (und das ist vollkommen wertneutral gemeint und ist definitiv kein angriff:) dass du dieses 'betäuben der angst' vor allem aus biografischen gründen, also weil es deine erinnerungen sind, gleich mitliest, es aber ganz einfach nicht explizit in den text hinein geschrieben hast. das wäre nicht ungewöhnlich, sowas passiert mit und allen anderen autoren ständig, keine frage.
& genau sowas ist eine wichtige erkenntnis (sollte sich das nun bewahrheiten), schärft sie doch den blick auf das eigene werk.
wie gesagt, es kann ja auch ganz anders sein, das heraus zu finden fordere ich dich heraus (leider habe ich keinen handschuh!)
(nein, ich will nicht gewinnen oder so ne scheiße. ich will nur endlich mal mit DIR über DEINEN text reden.)
Eines noch:
deine Intention in allen Ehren
lass das doch! wenn du nicht meiner meinung bist, dann sag mir das und sag mir warum. dann kann man sowas diskutieren mit solcherlei ausflüchten kommt keiner weiter, vor allem kommt es nicht dazu das irgendjemand etwas von oder mit irgendjemandem lernt. und das ist mehr als schade. wenn eine unterschiedliche meinung/auffassung/sichtweise schon erkannt wurde, dann wäre wichtig die jeweils andere sicht zu ergründen - damit man voneinander lernen kann.
und dann noch das:
du schreibst "Ob die Szenerie angemessen ist, ist dabei kein Thema, denn sie ist autentisch" damit machst du nochmal ein fass auf: wenn ich den text verstehen soll, als nicht du, der nicht dabei war, dann ist die frage, wie ich oben verständlich gemacht habe schon sehr wichtig, ob "die Szenerie" angemessen bzw. geeignet ist. andererseits besitzt auch dieses authentische seine berechtigung. vielleicht (nur vielleicht, wenn ich oben nicht ganz unrecht hatte, und es hier um so einen grenzfall geht) musst du dich als autor aber in manchen punkten zwischen authentizität und fiktion entscheiden, je nach dem was du bezwecken möchtest. aber in unserer (nun hoffentlich beginnenden diskussion) ging es (mir) nie darum "Ob die Szenerie angemessen ist", sondern vielmehr um die frage, ob du, wenn dir wichtig ist, dass das angstempfinden der soldaten deutlich wird, nicht in irgendeinerweise stärker darauf verweisen musst, damit dieser punkt nicht untergeht. du siehst es geht mir immer um konkrete textarbeit, auch wenn man dann mal ab und an ein paar theoretische fragen klären muss, bevor man wieder direkt an den text geht.
lg
fred
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Literaturhinweise:
+ Harald Fricke: "Erkenntnis- und wissenschaftstheoretische Grundlagen". In: Thomas Anz (Hg.)
Handbuch Literaturwisenschaft Band 2: Methoden und Theorien Stuttgart/Weimar 2007 (S. 41- 54)
(so ganz empfehlenswert finde ich das zwar aus gründen nicht, aber es ist ne gute und einfache übersicht über die besonderheiten literarischer kommunikation, ist im grunde was ich gesagt habe (mir fiele im moment nichts passenderes ein), geht noch weiter, falls es dich interessiert. (das buch ist schweineteuer, solltest du in ner bib suchen))