Gedichte, die gesellschaftliche oder politische Themen behandeln

Tag Acht

Beitragvon i.z. » Fr 24 Okt, 2008 21:16


Komm, mein Kind.
greife nach der Hand, die
behutsam dich tragen
will, doch fürchte ihre Narben
nicht.

Leider fehlt die Zweite.
Der Krieg entriss sie
mir, will damit,
so glaube ich,
den Hunger in Afrika
stillen.

Bald sind wir da, mein Kind.
Dann sollst du endlich brennen.
"Bunt ist das Leben und granatenstark. Volle Kanne, Hoschis!"
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Re: Tag Acht

Beitragvon Smilodon » Fr 24 Okt, 2008 21:35


Hallo iz,

was mich an diesen Zeilen am meisten stört ist die teils altbackne Sprache zu einem offensichtlich aktuellen Thema.

"Komm, mein Kind" als Einstieg ist dabei schon hart an der Grenze, aber gerade noch erträglich. Die Hand, die "behutsam dich tragen will" ist dafür aber ein zu eindeutiges Beispiel. Zum einen ist die Inversion unnötig bzw. wirkt gekünstelt (eigentlich heißt es: die hand, die dich behutsam tragen will), zum zweiten ist "behutsam tragen" ziemlich antiquiert (kein Mensch sagt mehr: Ich trage dich behutsam) und zum dritten - und das als Folge daraus - wird das Bild schief. Die Hand nämlich wird das Kind nicht tragen, vielmehr ist es der, dem die Hand gehört, der das Kind an die Hand nehmen will oder auf die Arme nehmen oder ähnliches.

"doch fürchte ihre Narben
nicht."

Da ist es genau dasselbe, kein Mensch würde mehr sagen: "Fürchte nicht" + Akkusativ. Heute wird "fürchten" mit "vor" + Dativ konstruiert... "Fürchte dich nicht vor den Narben auf meiner Hand". Das würde es als Einstieg genauso tun.

"Leider fehlt die Zweite"
"zweite" kleingeschrieben, da es sich auf die Hand rückbezieht (wobei die neue Rechtschreibung das relativ offen gemacht hat, glaub ich. Bin mir nicht ganz sicher. Klein geht auf jeden Fall)

"Der Krieg entriss sie mir"
Falsch. Nicht der Krieg "entriss" (welch fürchterliches Wort) dem lyrischen Ich die Hand, sondern vllt. eine Bombe oder Granate o.ä. - damit würdest du das viel zu pathetisch aufgeladene, große und starke Wort "Krieg" umschiffen, das zwar Vater aller Dinge ist, aber hier würde ich doch eher die leise Mutter lesen wollen. Überhaupt nicht geht das Wort "entriss" - stell dir mal vor, du hättest wirklich eine Hand im Krieg verloren. Du würdest kaum sagen: "Der Krieg entriss sie mir", vielmehr würdest du sagen: "Eine Granate hat sie mir weggefetzt" o.ä. Das "entriss sie mir" lässt das lyrische Ich wie einen alten Märchenonkel erscheinen, der nichtmal den Hauch einer Ahnung hat, was Krieg ist. (Ich geb zu, ich hab's auch nicht - und bin darüber recht froh.)

"so glaube ich"
Das hätte man auch im 19. Jahrhundert schreiben können. - Wir leben aber im 21.

Und dann nochmal "mein Kind", bitte, wer redet heute noch jemanden mit "mein Kind" an? Ne, in diesem Zusammenhang bzw. in diese moderne Thematik passt die alte Sprache nicht, das geht schief und lässt den Krieg eher lächerlich erscheinen als dass man ihn als Bedrohung o.ä. wahrnimmt.

Liebe Grüße,
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Re: Tag Acht

Beitragvon i.z. » Sa 25 Okt, 2008 10:45


Vielleicht habe ich das falsche Unterforum gewählt. Es geht mitnichten gänzlich und ausschließlich um den Krieg. Und vor allem geht es auch um verfehlte Pathetik (wenn gleich die Pathetik in der modernen Hermeneutik immer verfehlt ist) - zumindest ist diese nicht unerheblich für die beabsichtigte Aussage. Ich dachte, der Titel würde deutlich genug machen, in welchem Bereich ich siedle und warum ich "mein Kind" einzig als "mein Kind" bezeichnen kann. Und "Die Zweite" bezieht sich tatsächlich auf die Hand, nicht aber nur darauf, weswegen eine Großschreibung hier durchaus angebracht ist.

Dieses Gedicht mag tatsächlich nicht zu meinen stärksten zählen. Dennoch war ich - möglicherweise überheblicherweise - der Auffassung, man würde mir inzwischen zutrauen, dass ich meine Stil- und Ausdruckmittel bewusst setze und dass ich mir Gedanken darüber mache, was wie wirken soll und in welcher Korrespondenz Inhalt und Form zu stehen haben. Es würde sich sicher nicht nachteilig auf dein Interpretationsvermögen auswirken, wenn du dir in Zukunft statt der Frage "Wie helle ist der Autor?", lieber die Frage "Was will der Autor damit ausdrücken?" stellst. Soviel zur Kritik an deiner Kritik, die hoffentlich auch hinreichend erklärt, warum ich auf die übrigen Punkte an dieser Stelle nicht genauer eingegangen bin.

Grüße,
i.z.
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Re: Tag Acht

Beitragvon Smilodon » Sa 25 Okt, 2008 12:37


Hallo i.z.,

tut mir leid, wenn du meine Kritik falsch aufgefasst hast - mit der Frage "Wie hell ist der Autor?" beschäftige ich mich schon lange nicht mehr, weil das absolut keine Rolle spielt für einen Text. Daher war das Ganze auch keine Kritik an dir. Ebenso wenig interessiert mich die Frage "Was will der Autor mir damit sagen?" - für mich ist lediglich interessant, was der Text mir sagt und da bin ich eben zu dem Schluss gekommen, dass es eine "Geschichte" über Krieg ist, die mit altbacknen Formulierungen aufgeladen ist. Mehr hat der Text für mich nicht hergegeben, entschuldige.

Ob du die Stilmittel bewusst einsetzt oder noch recht unerfahren bist, kann ich nicht beurteilen, da ich dich und dein Schreiben leider nur wenig bis gar nicht kenne.

Aber vllt. sind das einfach nur unterschiedliche Herangehensweisen, wenn ich nämlich lese, dass jemand moderne Hermeneutik anwenden möchte, stößt es mir innerlich recht sauer auf. Damit kann ich nämlich ziemlich wenig anfangen, schon gar nicht, wenn es der Autor ist, der als Sender fungieren soll. Wenn der mir nämlich was sagen will, soll er mir gefälligst nen Brief schreiben oder sich irgendeiner anderen Sachtextgattung zuwenden.

Und wenn er es trotzdem nicht lassen kann, seine politische Weltfriedensformel in einem literarischen Werk zu abstrahieren, ist es sein Problem, wenn ich aus diesem Text genau das Gegenteil herauslese.

Nicht persönlich nehmen, das ist mehr allgemein gedacht, liebe Grüße,
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Re: Tag Acht

Beitragvon Smilodon » Sa 25 Okt, 2008 13:53


Hallo MetaPherkel,

selbst wenn "Tag Acht" als Anspielung auf die Schöpfungsgenese gelesen wird (vllt. habe ich den Titel aber wirklich zu sehr außer Acht gelassen), stellt sich mir die Frage, warum Bibelbezüge in diese Ton dargestellt werden müssen.

Die Bibel ist ja auch nur irgendwann übersetzt worden, sei es von Luther 1545 oder später von anderen. Und eigentlich ist es nur lächerlich, wenn heute noch jemand übersetzt "Adam erkennt Eva", nur damit es schön altbacken klingt. Man muss vllt. nicht unbedingt "Adam poppt mit Eva" schreiben, aber ein wenig mehr den zeitlichen Gegebenheiten darfs dann doch angepasst werden und im Endeffekt läufts ja darauf hinaus.

Allerdings geht bei mir die Bibelschiene auch nicht so richtig auf, wenn Gott sieben "Tage" gebraucht hat, um alles zu erschaffen und die komplette Menschheitsgeschichte dann einfach so einen "Tag" später stattfindet. Und von einem allgütigen Gott kann ja letztlich auch kaum mehr die Rede sein, wenn er seine Schäfchen am Ende in der Hölle brennen sehen will - aber vllt. ist verbrennen ja auch was gutes, weil ein Weg zur Reinigung von den Sünden, und nur der unvollkommene Mensch kapiert das nicht in seiner Endlichkeit. Ich kenn die Argumente und letztlich scheitern sie alle am Theodizee-Problem, das - wenn man den Text wirklich biblich lesen will - auch zum Problem dieser Zeilen wird (Wieso gibt es überhaupt sowas wie Krieg in einer vom allgütigen, allmächtigen und allwissenden Gott geschaffenen Welt? usw. usf.).

Liebe Grüße,
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Re: Tag Acht

Beitragvon Smilodon » Sa 25 Okt, 2008 14:56


Hallo nochmal,

"müssen" natürlich im übertragenen Sinn. Ich glaube, heutzutage werden nicht einmal mehr in der katholischen Kirche die Sünder gesteinigt, die gegen solche ungeschriebenen Gesetzen verstoßen ;)

Liebe Grüße,
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Re: Tag Acht

Beitragvon i.z. » Sa 25 Okt, 2008 16:16


Hallo.

Bevor ich irgendwas anderes schreibe: Smilodon, bitte, "Tag Acht" und nicht "Tag 8" (siehe deine Kritik zur Kritik in "linien"). Darauf lege ich Wert. Solche Verkürzungen wie nummerische Zeichen oder das allgenudelte "&" wirst du bei mir nicht finden.

Jetzt zum Pherkel: dein Ansatz der Genisis gefällt mir aus naheliegenden Gründen gut: genau das sollte der Titel andeuten. Dass das Gedicht auf dieser Ebene auch mit dem pathetischen Sprachstil für dich funktioniert, ist umso erfreulicher. Vor allem das Bild der gebissenen fütternden Hand zeigt, dass du dich auf den Text eingelassen hast. Daher vielen Dank für deine Auseinandersetzung.

Smi, sicherlich ist die biblische Sprache heute nicht mehr zeitgemäß. Dennoch würde ich mich stets strikt dagegen wehren, Sprachen wie das Latein, das Hebräische oder das Persische ohne Pathos zu übersetzen. Es ist für mich eine Frage des Respekts und der Ehrerbietung, dass man solch uralte Schriften nicht dem alltäglichen und hinlänglich banalen Sprachgebrauch aussetzt. Aber bevor du dich bestätigt fühlst: der biblische Kontext ist nicht der Grund für die, wie du sagtest, "altbackene" Ausdrucksweise. Wenn du es bildlich sehen willst, dann ist die Schöpfungsthese die äußerste Schale der Zwiebel, die darauf folgende ist der Krieg, der Hunger, das Elend in der Welt. Sich anschließend: die Pathetik, als die verschleiernste und somit verlogenste der Sprachebenen. Wie du richtig feststelltest, nimmt sie dem Krieg die Bedrohlichkeit. Dass du das als unabsichtlich aufgefasst hast, muss ich gestehen, hat mich beleidigt.

Bleibt die Frage nach dem Kern. Prinzipell kannst du so an jedes meiner Gedichte herangehen: der Kern ist persönlich, zumeist selbstkritisch. Allerdings nicht in solchem Maße, dass es dem Leser die Möglichkeit nimmt, sich mit ihm zu identifizieren. Und die Ansätze wurden schon genannt, jetzt müssen sie nur noch hinterfragt werden - und zwar im Kontext der darüberliegenden Schalen. Immer vorausgesetzt natürlich, du bist am Kern der Sache überhaupt interessiert.

Grüße,
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