Lyrik rund um das Thema Liebe

Ohne Netz

Beitragvon Perry » Fr 14 Aug, 2009 16:28


Vielleicht war es noch zu früh,
als unser Morgen die Nacht auffraß.
Ein tiefer Schluck und das Tageslicht wanderte
scheinwerfergleich über deinen Körper,
breitete sich aus wie die Milch im Kaffee.

Mein Blick rührte dich wach
und du sahst mich an, ein wenig ungehalten.
Ich fragte dich etwas zu laut,
ob du Marmelade auf den Toast möchtest,
doch du griffst lieber zur Zigarette.

Der Rauch in deiner Stimme klang reizlos,
als du über die Akrobatik der Nacht sprachst
wie über eine Trapeznummer ohne Absicherung
und ich wusste plötzlich,
dass unser Zirkus bald weiterziehen würde.

Artisten suchen keinen Landeplatz, sondern Applaus.
Perry
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Re: Ohne Netz

Beitragvon Niko1230 » Fr 14 Aug, 2009 20:03


hallo perry!
nachdem du ja anmahnst, lieber textarbeit zu machen als textarbeit (kleiner scherz.......harr harr), hier also dann mal konkreter:
du fängst gut an. die zeile "Vielleicht war es noch zu früh,
als unser Morgen die Nacht auffraß." macht mich neugierig auf mehr. der nachtauffressende morgen - das hat was. ein schöner einstand. dann sprichst du vom wandernden licht. das ist ok. aber warum um himmels willen "scheinwerfergleich"? ersteinmal finde ich dieses wort in seiner eigenschaft als konstrukt schon sehr sPERRYg (G*). und es passt so gar nicht in den romantischen einstieg. "scheinwerfergleich" bringt mich als leser damit aus der leseflussbahn......ich finde, wenn du das wort ersatzlos streichst, nimmst du dem gedicht nichts weg. im gegenteil!
"breitete sich aus wie milch im kaffee".....kann man machen, muss man aber nicht. gemessen an den wirklich phantastischen stellen wie zb. eingangs der nachtfressende morgen (und andere) wirkt sich das etwas schwach aus.......aber nu - ein gedicht kann nicht nur aus einem einzigen höhenflug bestehen. das würde es unerträglich machen.
dann wieder: "mein blick rührte dich wach" - einfach nur gut, perry! bei subjektiv objektiver betrachtung ;-) würdest vielleicht auch du mit etwas abstand feststellen, dass die folgenden (doch allzusehr erzählenden, oberflächlicheren) zeilen nicht wirklich von nöten sind.
"der rauch in deiner stimme klang reizlos" - wieder ein sehr gut gelungener stropheneinstand! naja......meine meinung zu akrobatik der nacht und trapeznummern kennst du ja. ich mag das nicht sonderlich. auch hier empfinde ich es als einen stilbruch gegen die romantische vorgabe des anfangs. natürlich wirst du sagen, dass du dadurch den kontrast verstärken wolltest. verstehe ich ja auch alles. aber ich finde, dass solche einschübe einem text eine note, ja eine richtung geben, die den positiven, starken anfang wieder entwerten. ist aber nur meine meinung. und ich wäre mal froh, wenn sich speziell über diesen punkt auch mal andere meinungsmäßig ausließen. den schluiss finde ich eigendlich ganz ok. allerdings sind mir die bezüge da zu simpel, wobei ich die essenz des schlusses wiederum mag.
also: ich bin zwiegespalten. für mich wäre es so angenehmer:

Vielleicht war es noch zu früh,
als unser Morgen die Nacht auffraß.
Ein tiefer Schluck und das Tageslicht
wanderte über deinen Körper,
breitete sich aus wie Milch im Kaffee.

Mein Blick rührte dich wach
und du sahst mich an,
ein wenig ungehalten.
und griffst lieber zur Zigarette.

Der Rauch in deiner Stimme klang reizlos,
als du über die Nacht sprachst
wie über eine doppelbödige Trapeznummer
und ich wusste plötzlich:
Artisten suchen keinen Landeplatz, sondern Applaus.

und dass der Zirkus bald weiterzieht.

(ohne die nachtakrobatik find ich es wirklich offener und ja..........besser.)

lieben gruß: Niko
Die Selbstzerstörung findet im Geheimen
und trotzdem vor dem Leser statt.
(Günter Kunert)
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Re: Ohne Netz

Beitragvon mystic » Fr 14 Aug, 2009 21:36


Ganz simpel: Gefällt mir Perry!

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Re: Ohne Netz

Beitragvon Perry » So 16 Aug, 2009 17:44


Hallo Niko,
danke für deine ausführliche Textarbeit.
Ich kann deine Argumente durchaus nachvollziehen und du hast den Text auch in deiner Version dahingehend gut ausgerichtet.
Ich hoffe, du bist mir nicht böse, wenn ich dir sage, dass du das, was meine Texte ausmacht, die Zwischentöne, die Gefühlsfärbung damit fast alle zunichte gemacht hast, aber und das habe ich dir in vielen früheren Kommentaren auch schon gesagt. Macht ja nichts, wir schreiben eben jeder nach seinem Gefühl und das ist gut so.
Soweit im Allgemeinen, nun im Speziellen:
Das Eingangsbild "als der Morgen unsere Nacht auffraß" ist sicher lyrisch gut aber keineswegs "romantisch", im Gegenteil es führt den Leser dahin, wo ich ihn gern haben möchte, zum aber, zum Zweifel. Genau deshalb auch das "scheinwerfergleich", dass das milchige Licht zum entlarvenden grellen Scheinwerfer mutieren lässt und auch die Zirkusmetapher einläutet.
Dass du meine etwas direkten sexuellen Bilder nicht magst nehme ich als Geschmackssache.
Der größte Schwachpunkt des Textes ist nach meiner Meinung der Schluss, denn dieses Artistenbild passt zwar gut als Textresüme, aber es verallgemeinert auch ziemlich.
Mit der Hoffnung auf weitere Sichtweisen verbleibe ich.
LG
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Re: Ohne Netz

Beitragvon Yve » Mi 16 Sep, 2009 14:12


Hi Perry,

Ich persönlich finde "scheinwerfergleich", sehr passend. Eine romantische Einfrührung, dann das "grelle" Erwachen aus etwas, was vielleicht einmal gut war. Ganz besonders mag ich die Überleitungen zwischen den Strophen. "Rührte dich wach" schafft einen schönen Bezug zu Kaffee aus dem ersten Teil.

Gut gelungen finde ich auch die Wendung dieses Textes. Zuerst scheint der Protagonist schwer verliebt und am Ende ist er nur jemand, der eine Liebelei solange genießt bis sie ihm zu ernst wird und schließlich weiter zieht. Zumindest lege ich das so aus.

Unterm Strich: Ich mags.
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Re: Ohne Netz

Beitragvon Perry » Mi 16 Sep, 2009 21:09


Hallo Yve,
freut mich, dass dir der Text zusagt. Ja, diese Liebe hat wohl keine Zukunft.
Danke und LG
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