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eine kerbe im holz

BeitragVerfasst: So 12 Jun, 2011 16:14
von Neruda
steck' ihn rein & prügel all die vergeudete liebe aus mir raus
tropft heute nur gleichgültigkeit, obgleich deine hände auf meiner haut
wie peitschenhiebe risse hinterlassen, mich bluten lassen
- ich blute gern, nur dieses eine mal, dann bin ich frei
von den traumtänzereien: heute wird abgestürzt.

du begreifst oder greifst nur nach schema a)
und siehst nicht, dass b) nackt vor dir liegt
do what it takes to make you feel better*
(im hintergrund) - spielt die musik & meine gedanken
sind schon im morgen danach, wenn du gehst bleibt nichts
zu sagen als:

ich schäme mich nicht für die einsamkeit.


* Tina Dico - Nobody's man

Re: nur eine kerbe im holz

BeitragVerfasst: Mo 13 Jun, 2011 10:32
von cube
Hey,

das Teil finde ich sehr gelungen, Empfehlung hab ich eben mal angeklickt. Da steckt Kraft drin, Schmerz in seinen Ausprägungen, der Wunsch, physisch verletzt zu werden, um die tiefere emotionale Verletzung vergessen zu können.
Die Bejahung von Absturz finde ich als literarische Haltung sehr ansprechend: Einmal noch die maximale Fallhöhe durchmessen und das vorbeirauschende Leben spüren, in allen Facetten, koste es, was es wolle. Spricht mich sehr an, wie hier die Ebenen gewechselt werden, es beginnt mit körperlicher Verletzung und endet bei einer ureigensten Erfahrung des Menschseins, der Einsamkeit.

prügel all' die


versteh ich grad nicht, was das Hochkomma da verloren hat

nur eine kerbe im holz


wenn du hier auf das 'nur' verzichtest, wirkt es souveräner. das rückte den text mehr in richtung objektiver bestandsaufnahme: das bin ich, so werde ich gesehen, so erfahre ich, was ich sein will.

cube

ach ja, willkommen zurück. ;)

Re: nur eine kerbe im holz

BeitragVerfasst: Mo 13 Jun, 2011 10:38
von Neruda
Hey cube,

vielen Dank für deinen Kommentar, ich freu mich, dass der Text bei dir ankommt.
Ääääh keine Ahnung, was ich mir bei dem Hochkomma gedacht hab :D Wird gleich korrigiert.
Bei dem Titel hatte ich mir auch schon überlegt das "nur" weg zu lassen. Ich ändere das.

Lg, Kim

Re: eine kerbe im holz

BeitragVerfasst: Mo 13 Jun, 2011 22:36
von GlasaugeBill
Provokant startest du in deine Zeilen, klar formuliert, deutlich bebildert, gibst uns damit nicht nur den Rahmen der Szene sondern vielmehr eine Handlungsvorgabe schon für sich und brauchst nicht viel mehr als ein ‚steck ihn rein & prügel‘. Da b leibt nicht viel Spielraum für junge norddeutsche Romantik, muss es auch nicht, denn schon der Titel verrät: wo gehobelt wird, fallen Späne.
Hier verbirgt sich schließlich schon allegorisch der Knacks der Psyche des ICH s, den es mit physischer Gewalt zu kompensieren oder wenigstens zu reduzieren versucht . Interessant ist der Akteur, von dem die Gewalt ausgeht oder besser die Akteure: deutlich ein DU, dass vom ICH nur als Subjekt betrachtet wird, handelnd um zu handeln, und damit als stilistisches Schild vor dem ICH steht, welches durch Gewaltaufforderung zum eigentlich (selbst)Täter wird.
Das Erwachen ‚heute wird abgestürzt‘ kommt so nüchtern, kontrastiert die Traumtänzereien und verbindet sich gleichzeitig mit ihnen auf eine wow-weise. Das Gedicht scheint sich um diese eine Zeile zu spannen, sie aufzunehmen, von ihr zu leben.
Da fragt man sich schon fast, ob Zeile 4 Abschnitt 1 wirklich so plump sein muss, ob einmal Blut nicht reicht, ob etwas Verdichtung (hier) nicht gut tun würde.

Abschnitt zwei lässt vom körperlichen Schmerz ab und gibt die ‚Kerbe im Holz‘ frei. Dabei ergeben die Zeilenumbrüche Sinn und wirken ganz und gar nicht mehr wahllos. Der Bezug nach außen zum Song funktioniert, Musik funktioniert sowieso meistens. Da macht auch das banale Ende fast nichts mehr aus.
Bei der Titelproblematik ‚streite‘ ich mich mit Cube. Ich finde das Wegstreichen des ‚nur’ s ganz und gar nicht zur Souveränität beitragend. Vielmehr opferst du damit eine nach außen suggerierte Gleichgültigkeit des ICHs (die dem Gedicht gut tut) für eine eventuelle Objektivität, die so an dieser Stelle für mich keinen Sinn ergibt.



Viele Grüße



Glasauge.

Re: eine kerbe im holz

BeitragVerfasst: Mo 13 Jun, 2011 22:56
von cube
nur’ s ganz und gar nicht zur Souveränität beitragend. Vielmehr opferst du damit eine nach außen suggerierte Gleichgültigkeit des ICHs


lässt sich das so lesen? Meine nur-Bedeutung ist in dem Kontext eine sich selbst reduzierende, kindlich-verletzte. Ich bin ja nur ...

Re: eine kerbe im holz

BeitragVerfasst: Di 14 Jun, 2011 00:36
von rivus
hi neruda,

ist gerade eben durch die tücken eines falschen tastenklicks viel text zu deinem gedicht verschwunden. hmm, viele interpretatorische assoziationen.

also, ich meine, mit nur wird die scheingleichgültigkeit des lyrich verstärkt. fällt das nur weg, erstaunlich wie ein wort das lesen und die bezüge eines textes ändern kann, so geschieht für mich tatsächlich die objektivierung einer bestandaufnahme.


dennoch, nur eine kerbe im holz assoziiert in mir das vorhandensein schon anderer kerben. die gleichgültigkeit ist eine gespielte. das lyrdu wird von einem liebesenttäuschten lyrich in meiner lesart sogar benutzt, um die selbstverletzende objektivierungstendenz des lyrichs auf das lyrdu zu übertragen. schon die hautberührung der lyrduhände verursacht katastrophale schmerzen, die das lyrich jedoch schon kennt, auf die es vorbereitet ist, weil es dieses eine mal nichts anderes erwartet, wie schon vermutlich unzählige vorige male erlebt. so spielt sich das prozedere nach alten mustern ab. die rollen sind festgelegt. das lyrdu spielt die ihm zugedachte rolle, obwohl das lyrich wohl erhofft hat, dass das lyrdu das verletztsein und wirkliche liebes- und anlehnungsbedürfnis erkennt. so wird eine weitere kerbe szenarisiert, die gefühle verholzen bei solchem begegnen, werden zum kerbholz für zukünftige beziehungen. so manifestiert sich einsamkeit, die scheinbar tapfer ertragen wird.

lg, rivus

Re: eine kerbe im holz

BeitragVerfasst: Di 14 Jun, 2011 17:29
von Neruda
Hey ihr beiden,

danke erstmal für eure Verbesserungsvorschläge und Interpretationsansätze.
In Bezug auf Strophe 1, Vers 4 bin ich mir noch unsicher. Einerseits muss ich dir Recht geben, dass etwas mehr Verdichtung dem Text sicher nicht schaden würde, andererseits hatte ich gedacht, die Wiederholung würde dem Ganzen mehr Nachdruck verleihen. Da muss ich mir nochmal Gedanken drüber machen.
Was mich etwas wundert ist, dass du das Ende als banal ansiehst. Für mich persönlich ist das nicht nur meine liebste Stelle, sondern auch die Kernzeile des Textes, die allem Vorrangegangenen noch einen anderen Beigeschmack geben soll. Aber vielleicht funktioniert das nicht so, wie ich es mir gedacht hatte.
Was die Titelproblematik angeht, stehe ich wie man schon an der Änderung sieht, eher auf cubes Seite, da ich das "nur" ähnlich interpretieren würde wie er und finde, dass es dann doch nicht so gut zur Haltung des lyr.Ichs passt.

Lg, Kim

Re: eine kerbe im holz

BeitragVerfasst: Mi 15 Jun, 2011 13:15
von GlasaugeBill
hey,

Hmh ja nun, grundsätzlich bin ich mit Wiederholung und Nachdruck auf deiner Seite, aber gerade an dieser Stelle kommt mir das recht ungeschickt, wohl hauptsächlich, weil ich persönlich nichts (mehr) mit der Kombination - Blut fließen & frei sein - anfangen kann. Evnt. schon zu viel (schlechtes) in die Richtung gelesen, dass ich es hier gleich übertragen muss, was es nicht verdient. Also die eine Zeil ist nicht mein Fall, so ganz und gar.
Das Ende ist so einfach, irgendwie erwartet man genau das, schon das "heute wird abgestürzt" und das ganze Verhalten des ICHs gipfelt auf diese zwei(drei) Zeilen zu. Ich bräuchte sie nicht, eröffnet für mich auch keine andere Blickweise. Aber vielleicht hast du dir mehr dazu gedacht, als ich im Moment sehe.

Liebe Grüße

Glasauge

Re: eine kerbe im holz

BeitragVerfasst: Mi 15 Jun, 2011 15:18
von Neruda
Naja, dass lyr.Ich sagt ja es blutet gern dieses eine Mal um sich von den Traumtänzereien zu befreien. Dieser einmalige Schmerz zerstört die Illusion von einem Wir und entlässt das lyr.Ich damit zurück in die Freiheit.
Mit der letzten Zeile rechtfertigt sich das lyr.Ich praktisch für das eigene Verhalten. Vielleicht hast du Recht und das wäre nicht nötig oder kommt nicht so rüber wie es in meinem Kopf gedacht war.