Beschreibung von Natur und Umwelt

Nachthell

Beitragvon Grinsekeks » Sa 07 Feb, 2009 11:04


„Nachthell“

Ein Blick nach oben, hinauf in die Sterne
endlos die Freiheit, endloser die Ferne
vor langem verglüht, doch trotzdem nachthell
all deine Sorgen verschwinden hier schnell

Ich seh die Reihen der Sieben weit oben
glänzender Wagen, der große dort droben
Mit ruhiger Hand zeichne ich sie mir nach
Mein Kopf ist ruhig, doch mein Herz ist hellwach

So steh ich im Dunkeln, von Glück ganz beseelt
im Herzen all das, was am Tage mir fehlt
Ich lass meine Sorgen für den Moment liegen
und hebe die Arme, als könnte ich fliegen
"Wenn wir bedenken, dass wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt."
(Mark Twain)
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Re: Nachthell

Beitragvon Antibegone » So 08 Feb, 2009 12:15


Huhu Grinsekeks :-)


Zunächst einmal fand ich das Gedicht gar nicht so schlecht. Der Inhalt hat mich angesprochen und mir gut gefallen. Leider fehlt mir bei deinen Zeilen das Metaphorische, das Verdichtete. Es liest sich am ehesten wie eine Erzählung.

Am besten versuche ich dir zu erläutern, was ich meine.

Ein Blick nach oben, hinauf in die Sterne
endlos die Freiheit, endloser die Ferne
vor langem verglüht, doch trotzdem nachthell
all deine Sorgen verschwinden hier schnell


Als erstes ist mir deine Wiederholung aufgefallen, das doppelte „endlos“. Mir ist klar, dass dies ein Stilmittel ist, aber mich persönlich hat es beim Lesen gestört. Gerade dadurch liest es sich etwas „geschwollen“.

Danach ist mir die strikte Reimform aufgefallen und ich habe ein bisschen darüber nachgedacht. Ich glaube zu diesem Gedicht passt sie eigentlich recht gut. Reime drücken Regelmäßigkeit, Ruhe aus – ja, das passt zu der Betrachtung der Sterne, der Sorglosigkeit. Trotzdem wirken deine Zeilen z.T. deswegen etwas „gezwungen“.
Nehmen wir diese Zeile: „Ein Blick nach oben, hinauf in die Sterne/ endlos die Freiheit, endloser die Ferne“ Inwiefern ist das „endlos die Freiheit, endloser die Ferne“ hier essentiell? Die nächste Zeile nämlich bezieht sich auf die Sterne: „vor langem verglüht, doch trotzdem nachthell“ Es wirkt ein bisschen so, als ob das eine „Füllzeile des Reims wegen“ wäre.

Ein anderes Problem mit den Reimen findet sich in der zweiten Strophe:

Ich seh die Reihen der Sieben weit oben
glänzender Wagen, der große dort droben
Mit ruhiger Hand zeichne ich sie mir nach
Mein Kopf ist ruhig, doch mein Herz ist hellwach


„wach“ ist ein kurzes a, „nach“ aber ein langes. Das ist kein wirklicher Reim und wirkt auch „gezwungen“.
Ansonsten gefällt mir diese Zeile gut: „Mit ruhiger Hand zeichne ich sie mir nach“. Das gibt zumindest in meinem Kopf ein schönes Bild. Davon hätte ich mir mehr gewünscht. Schade ist auch, dass du in der nächste Zeile „ruhig“ wiederholst. Das ist irgendwie unschön. Du wiederholst außerdem "hell"; in "nachthell" und "hellwach"
Oki, die letzte Strophe:

So steh ich im Dunkeln, von Glück ganz beseelt
im Herzen all das, was am Tage mir fehlt
Ich lass meine Sorgen für den Moment liegen
und hebe die Arme, als könnte ich fliegen


Brauchst du das „als“ in der letzten Zeile? Mit „als“ und „wie“ in Gedichten zu arbeiten ist meiner Meinung nach etwas kritisch. Warum schreibst du nicht, dass das lyr. Ich fliegen kann?
Du beschreibst eher als zu verbildlichen, gerade in den letzten Zeilen sehe ich das: „Ich lasse meine Sorgen für den Moment liegen und hebe die Arme als könnte ich fliegen.“ Hört sich für mich an als käme aus einer Kurzgeschichte.

Hmm, was mir auch aufgefallen ist, du benutzt das, was ich gerne als „große Wörter“ bezeichne; Glück z.B. Das Problem ist: Solche Wörter sind ungenau, weil sie so ziemlich alles bedeuten können. Jeder hat schließlich eine andere Definition davon. Insofern ist es kritisch sich darauf zu beziehen.

Der Inhalt gefällt, wie gesagt gut: Im Angesicht der unendlichen Weite des Alls die eigenen Sorgen verlieren, darin Freiheit, Sorglosigkeit zu finden.
Aber sprachlich kann mich das Gedicht nicht überzeugen, mir fehlen die Metaphern, die Bildern. Ich will dich damit ganz sicher nicht entmutigen, ganz im Gegenteil, ich will dich ermutigen, so einen schönen Inhalt zu verdichten, zum Leben zu erwecken und ihn nicht einfach nur zu erzählen.

Ich hoffe meine Zeilen können dir vielleicht ein bisschen helfen?
Liebe Grüße,
von der Traumi
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Re: Nachthell

Beitragvon Grinsekeks » So 08 Feb, 2009 18:56


Hallo Traumwächterin,
erstmal vielen Dank für deine ausführliche Antwort.
Ich werde da mal meinen Senf zu geben ;)

Nehmen wir diese Zeile: „Ein Blick nach oben, hinauf in die Sterne/ endlos die Freiheit, endloser die Ferne“ Inwiefern ist das „endlos die Freiheit, endloser die Ferne“ hier essentiell? Die nächste Zeile nämlich bezieht sich auf die Sterne: „vor langem verglüht, doch trotzdem nachthell“ Es wirkt ein bisschen so, als ob das eine „Füllzeile des Reims wegen“ wäre.


Klar ist das als Stilmittel gewählt, geschwollen mag es vielleicht wirken.
Ich finde es essentiell,, gerade diese Zeile, da sie am deutlichsten ausdrückt, dass das Gefühl der Freiheit beim Anblick der Ferne des Sternenhimmels entsteht. Ich finde sie irgendwie wichtig... wüsste auch nicht, wie ich das anders verpacken sollte. Hast du vielleicht eine Idee? Und ich kann, auch wenn es so wirken mag, sicher sagen, dass es keine "Füllzeile des Reims wegen" war. Sie hat ihren Sinn und ob man sie nun als Leser essentiell findet sei mal so in Frage gestellt, ich als Autorin sehe sie aber so...

Ansonsten gefällt mir diese Zeile gut: „Mit ruhiger Hand zeichne ich sie mir nach“. Das gibt zumindest in meinem Kopf ein schönes Bild. Davon hätte ich mir mehr gewünscht. Schade ist auch, dass du in der nächste Zeile „ruhig“ wiederholst. Das ist irgendwie unschön. Du wiederholst außerdem "hell"; in "nachthell" und "hellwach"


Du hast dir meine Lieblingszeile rausgepickt :D Genau so ist es gewesen damals in dieser sternklaren Nacht ;) Die Wiederholungen sind mir gar nicht so wirklich aufgefallen, danke für den Hinweis... bei einer möglichen Überarbeitung werde ich das berücksichtigen.

Brauchst du das „als“ in der letzten Zeile? Mit „als“ und „wie“ in Gedichten zu arbeiten ist meiner Meinung nach etwas kritisch. Warum schreibst du nicht, dass das lyr. Ich fliegen kann?


Ja, die "wie"-Vergleiche... Gottfired Benn fand die ja auch schon alles andere als gelungen ;)
Zu deiner Frage warum ich nicht schreibe, dass das lyrische Ich fliegen kann:
Es ist ein Moment, dieser Augenblick, draußen in der sternklaren Nacht, in der das Individuum ein Gefühl von Sorglosigkeit und Freiheit findet. Gerade da durch, dass die Sorgen es nur für den Moment nicht mehr bedrücken und dass dieser "Effekt" mit dem Ende des Augenblicks verflogen sein wird. Weiß jetzt nicht, ob das so ganz deutlich geworden ist, was ich damit jetzt meinte... hm.

Ich denke ich werde das Gedicht wirklich noch mal überarbeiten.
Auf jeden Fall danke für deine Kritik, werde ich (auch bei allen anderen Gedichten) annehmen.

Lieber Gruß
das Grinsekeks
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Re: Nachthell

Beitragvon Antibegone » So 08 Feb, 2009 19:22


Huhu Grinsekeks :-)


Ich finde es essentiell,, gerade diese Zeile, da sie am deutlichsten ausdrückt, dass das Gefühl der Freiheit beim Anblick der Ferne des Sternenhimmels entsteht. Ich finde sie irgendwie wichtig... wüsste auch nicht, wie ich das anders verpacken sollte. Hast du vielleicht eine Idee? Und ich kann, auch wenn es so wirken mag, sicher sagen, dass es keine "Füllzeile des Reims wegen" war. Sie hat ihren Sinn und ob man sie nun als Leser essentiell findet sei mal so in Frage gestellt, ich als Autorin sehe sie aber so...


Tut mir leid, wenn ich das falsch interpretiert habe. Ich bin da wohl sehr stark von meinem eigenen Verständnis ausgegangen und für dieses war/ ist es nicht essentiell, dass die „endlose Freiheit“, die „endlose Ferne“ erwähnt wird.
Für mich ging dies bereits aus dem Kontext/ den anderen Zeilen hervor.

Es wäre vielleicht schön, wenn du die Aussage, dass die Freiheit und die Ferne endlos sind verbildlichen würdest (dann könntest du auch das große Wort „Freiheit“ meiden).
Wie ist die Freiheit für das lyr. Ich, wie fühlt sie sich an? Oder wie sieht die Endlosigkeit aus?

Ja, die "wie"-Vergleiche... Gottfired Benn fand die ja auch schon alles andere als gelungen
Zu deiner Frage warum ich nicht schreibe, dass das lyrische Ich fliegen kann:
Es ist ein Moment, dieser Augenblick, draußen in der sternklaren Nacht, in der das Individuum ein Gefühl von Sorglosigkeit und Freiheit findet. Gerade da durch, dass die Sorgen es nur für den Moment nicht mehr bedrücken und dass dieser "Effekt" mit dem Ende des Augenblicks verflogen sein wird. Weiß jetzt nicht, ob das so ganz deutlich geworden ist, was ich damit jetzt meinte... hm.


Hm, mal sehen, ob ich es verstanden habe :-)
Du versuchst glaube ich, das Tatsächlich Fliegen durch das „als könnte“ abzuschwächen, als Gefühl zu deklarieren, es zu „subjektivieren“ (?).
Aber das Gedicht ist ja ohnehin sehr subjektiv, das lyr. Ich erzählt es und wenn dieses sagt: „Ich kann fliegen.“ Ist das noch lange keine objektive Aussage. Es ist eine emotionale, metaphorische Beschreibung.

Würde mich auf jeden Fall freuen eine Überarbeitung deines Gedichtes zu lesen,
mit lieben Grüßen,
Traumi
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Re: Nachthell

Beitragvon Grinsekeks » So 08 Feb, 2009 19:29


Hallo
falls es sie gibt, lasse ich dich dran teilhaben. Mal sehen, wie das so klappt...
Schönen Abend noch,
das Grinsekeks
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Re: Nachthell

Beitragvon Drehrassel » Mo 09 Feb, 2009 15:57


[quote="Grinsekeks":ckifj4r1]Ja, die "wie"-Vergleiche... Gottfried Benn fand die ja auch schon alles andere als gelungen ;)
[/quote]

danke dir, grinsekeks, dass du hier noch einmal ausdrücklich darauf hinweist, woher diese ansicht über den wie-vergleich stammt, aus benns vortrag/essay "probleme der lyrik" nämlich, in welchem er "vier diagnostische symptome" aufzählt und behandelt, woran man sich üben solle, zu erkennen, "ob ein gedicht von 1950 identisch mit der zeit ist oder nicht": die epoche der moderne und auch diverse diskurse aus der zeit der deutschen nachkriegslyrik können heute aber zum größten teil als überwunden gelten. allein benns überragende bedeutung und stellung, die er für die erste hälfte des 20. jahrhunderts inne hatte und genoss, können auf einen gegenwärtigen kulturbetrieb nur noch anachronistisch wirken. auf einen ähnlich apodiktischen stil kann man nun mehr nur noch selten stoßen in poetologischen aufsätzen und vorlesungen.
wer gegenwärtige lyrik liest, wird fest stellen, dass der "wie-vergleich" durchaus noch vorkommt und dabei nicht unbedingt ein zeichen überkommenen und schlechten stils sein muss, selbst wenn man benn grundsätzlich recht geben muss, dass "dies WIE ist immer ein bruch in der vision, es holt heran, es vergleicht, es ist keine primäre setzung". / aber! wer spräche z.b. heute noch mit einer gleichen selbstverständlichkeit davon, dass die "vision" für alle autoren die größte bedeutung im werk haben müsse? man denke nur an ihrerseits wieder längstens nicht mehr avantgardistischer strömungen wie die "konkrete poesie", deren bekanntesten vertreter einer, heißenbüttel, plädierte für eine literatur "nicht mehr der fantasie", nicht mehr des erschaffens fingierter bezugsebenen, sondern des "überprüfens" und "zitierens" unterschiedlichster sprachmaterialien. -

liebe grüße,
rassel
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Re: Nachthell

Beitragvon Perry » Mo 09 Feb, 2009 23:37


Hallo Grinsekeks,
ein schönes Stimmungsgedicht hast du hier gereimt. Das Gefühl von unendlicher Freiheit beim Anblick der Sterne wird gut transportiert. Besonders gefällt mir die Stelle mit dem Nachzeichnen, weil sie die Verbindung zwischen dem LI und den Sternen gut symbolisiert. Arbeiten solltest du tatsächlich noch an den zu vielen Wiederholungen und da meine ich nicht nur die wörtlichen sondern auch die bildlichen wie z.B. oben, hinauf, weit oben, dort droben.
Wünsche dir weiterhin noch viel Spaß mit dem Text und LG
Perry
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Re: Nachthell

Beitragvon Antibegone » Di 10 Feb, 2009 13:54


huhu Drehrassel :-)


also zunächst einmal entschuldige ich mich für den folgenden, nicht-Text-bezogenen Beitrag.

Ich weiß einfach nur nicht, was ich mit deinem Beitrag anfangen soll, Drehrassel.
Ja, du hast Recht. Ganz bestimmt. Das will ich gar nicht bestreiten – auch wenn ich davon natürlich eher wenig Ahnung habe und ich deine (literarische) Meinung sehr schätze.

Aber inwiefern soll das hilfreich/ weiterführend/ textbezogen sein?
Willst du meinen Kommentar damit kritisieren? … (ich meine das nicht herausfordernd oder provokant, es interessiert mich einfach nur und, wenn du mich wirklich kritisieren wolltest, bin ich dafür natürlich auch offen)

wer gegenwärtige lyrik liest, wird fest stellen, dass der "wie-vergleich" durchaus noch vorkommt und dabei nicht unbedingt ein zeichen überkommenen und schlechten stils sein muss,


Hat niemand behauptet (könnte ich mich zumindest nicht dran erinnern)… ich meinte nur, es wäre „kritisch“.
In diesem Falle, weil mir das Gedicht am ehesten wie ein „Stimmungsgedicht“ vorgekommen ist.
Insofern ist mir das „wie“ als unpassend vorgekommen.

dies WIE ist immer ein bruch in der vision, es holt heran, es vergleicht, es ist keine primäre setzung". / aber! wer spräche z.b. heute noch mit einer gleichen selbstverständlichkeit davon, dass die "vision" für alle autoren die größte bedeutung im werk haben müsse? man denke nur an ihrerseits wieder längstens nicht mehr avantgardistischer strömungen wie die "konkrete poesie", deren bekanntesten vertreter einer, heißenbüttel, plädierte für eine literatur "nicht mehr der fantasie", nicht mehr des erschaffens fingierter bezugsebenen, sondern des "überprüfens" und "zitierens" unterschiedlichster sprachmaterialien. –


Aha.
Okay, das „wie“ bricht die Vision, schafft Distanz, „überprüft“.
Aber geht es dabei in diesem Gedicht? Mir schien es hier um Gefühle von Freiheit, Sorglosigkeit zu gehen, um die emotionale Betrachtung des Nachthimmels also. Für mich gehört in so einen Kontext „Vision“, „Stimmung“, nicht „Distanz“ und „Überprüfen“.

Kann auch sein, dass ich hier dich oder das Gedicht falsch verstanden habe. Insofern bitte ich umso mehr um Aufklärung.


Liebe Grüße,
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Re: Nachthell

Beitragvon Grinsekeks » Di 10 Feb, 2009 14:15


Also mein Gedicht hast du absolut richtig verstanden.
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Re: Nachthell

Beitragvon Drehrassel » Di 10 Feb, 2009 14:16


was ich in ansätzen handwerklich gut, mit spürbarem gefühl für versmaß und rhyhthmus, gemacht finde, ist, dass du es schaffst, indem du ein füllungsfreies, aber tendenziell klar daktylisches metrum etablierst (damit ist nicht gemeint, dass du ausschließlich den daktylus verwendest, man ist in der verslehre dazu übergegangen, bei versen mit regelmäßigen doppelten senkungen als füllung zwischen den hebungen, von "daktylischen" versen zu sprechen, und zwar aus zwei gründen: 1. weil der unterschied zwischen dem anapäst und dem daktylus, dort wo er überhaupt spürbar und feststellbar wäre - nämlich im versein- sowie versausgang - in den allermeisten fällen sowieso mit einer sehr großen freiheit behandelt wird, sodass man von den allermeisten versen deutscher gedichte mit dakylisch-anapästischem maß diagnostizieren muss, dass sie "katalektisch" enden, also mit nicht vollständigem versfuß. ebenso oft kommt es in den verseingängen zu sporadischen wechseln von einmaliger hebung und senkung. / 2. realisieren sich versmaße mit doppelter senkung in der lautgestaltung nicht als anapäste oder daktylen, sondern als amphibrachys. "belauschen wir deutsche verse mit zweisilbiger senkung, so hören wir weder daktylische noch anapästische worte und wortgruppen, sondern... " (wolfgang kayser in "kleine deutsche verschule").

du erlaubst dir zwar noch zusätzlich die freiheit, immer mal wieder an verschiedensten stellen im vers, freie füllungen ein zu streuen, also auch einfache senkungen zwischen den hebungen, das mag aber nicht weiter zu stören; der eindruck eines daktylischen schemas bleibt dennoch erhalten und erinnert mich stark an einige bekannte deutsche gedichte mit ähnlichem formalen gerüst, gerade weil dein sprachlicher gestus ein ähnlicher und an solchen gedichten geschulter zu sein scheint. man beachte die deiktischen worte, die "zeigfelder" (allerdings nicht symbol- und bildfelder!), welche auf eine ähnliche origo, eine ähnlichen ausgangspunkt des sprechenden/senden - des artikulierten ich - verweisen, einen ähnlichen raum entwerfen, einen ähnliches panorama: "wir toten, wir toten sind größere heere / als ihr auf der erde, als ihr auf dem meere! [...] und all unser lieben und hassen und hadern, / das klopft noch dort oben in sterblichen adern" (c.f. meyer - chor der toten) oder auch in schillers "dithyrambe":"[...] hebet zu eurem olymp mich empor! / die freude, sie wohnt nur / in jupiters saale... ". /

durch dieses versmaß, durch dieses mitschwingen bekannter deutscher verse im grundton deines gedichts und eine nicht ungeschickte satzführung gelingt es dir, grinsekeks, nahezu vergessen zu lassen, dass du hier paarreime aneinander fügst, oder anders: du schaffst es, den paarreim so zu gestalten, dass er nicht stört, dass er geschmeidig und "selbstverständlich" wirkt. dafür ein lob von mir. allerdings meine ich, dass du trotzdem nicht das optimale heraus geholt hast an syntaktisch-grammatischer fügung. ein gutes beispiel gleich am anfang: durch die fehlende interpunktion am versende und den ambitionierten satzbau, mit einem schönen einschub gleich in der mitte des ersten verses (tolle eröffnung! "ein blick nach oben" KOMMA) erwartet man hier - im eingangsvers - gleich ein atemberaubendes enjambement... wird aber enttäuscht, da du den folgenden vers einfach mit einem neuen satz beginnst. das hättest du leicht verhindern können, indem du dieses eigentlich schon mehr als nur angedeutete enjambement richtig herausgearbeitet hättest, zum beispiel so: "ein blick nach oben, hinauf in DER sterne /
endlose freiheit, endlose ferne" (übrigens gebe ich dir da recht! hier an dieser stelle passt die repetitio, die wiederholung von "endlos" - gut, man hätte vielleicht synonym sagen können: "unendlich", aber die pathetische wirkung dieses stilmittels passt hier - wie ich finde - gut hinein).

im laufe des gedichts vollzieht sich leider ein stilbruch. die "höhe" des tons zu beginn wird nicht gehalten und verflacht gegen ende (spätestens zu beginn der dritten strophe) vollends und verkommt zu einem harmlosen "ich bin allein, mein herz ist rein"-gereimsel. dass das ICH sich in einem beseelten zustand befindet, sich hinauf in die "endlose freiheit" der sterne und des nachthimmels sehnt kam in den beiden voran gegangenen strophen viel besser zum ausdruck, eben gerade dadurch, dass du das ICH es nicht so plump und direkt sagen lässt, sondern den leser TATSÄCHLICH nachempfinden, spüren. darin unterscheidet sich nämlich echte dichtung von jedem gescheiterten versuch an ihr, dass im zweiten fall bloß beteuert wird, geredet wir ÜBER etwas - eine beseelende erfahrung meinetwegen - anstatt dass es direkt, unmittelbar zum ausdruck käme und dass das gedicht tatsächlich zu so etwas würde wie ein gesang, aus sich selbst heraus, ohne je in irgendeine erklärungsnot verfallen zu müssen, was er eigentlich meint und aber nicht bereits genug hat zur sprachlichen gestaltung kommen lassen.

so. insgesamt ist das natürlich keine (große) kunst. es ist epigonal und kitschig. ich denke, das weißt du selbst. ich meine das auch nicht böse, sonst hätte ich mir nicht die mühe gemacht, so viel darüber zu reden. um es nochmal zu sagen: was ich finde, was man aus deinem gedicht heraus hören kann, ist ein deutliches gefühl für rhythmus und auch melodie lyrischer sprache, eine gewisse schicklichkeit auch dieses in einen ordentlichen vers- und strophenbau zu kleiden. außerdem schaffst du es tatsächlich in den schönsten stellen deines gedichts, eine einfache und wenig sublime sprache einer reinen erlebnislyrik so um zu setzen, dass sie nicht nur nicht stört, sondern sogar berührt und... ja... :"mit ruhiger hand zeichne ich sie mir nach".
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Re: Nachthell

Beitragvon Grinsekeks » Di 10 Feb, 2009 14:36


Oha, dankeschön :)
Also erstmal muss ich dir sagen, dass du schon irgendwie recht hast, dass das Gedicht gegen Ende hin flacher wird... mal sehen, ob ich das noch überarbeitet kriege.
Kitschig ist es, keine Frage. Ab und zu mag ich es auch mal kitschig ;)

um es nochmal zu sagen: was ich finde, was man aus deinem gedicht heraus hören kann, ist ein deutliches gefühl für rhythmus und auch melodie lyrischer sprache, eine gewisse schicklichkeit auch dieses in einen ordentlichen vers- und strophenbau zu kleiden. außerdem schaffst du es tatsächlich in den schönsten stellen deines gedichts, eine einfache und wenig sublime sprache einer reinen erlebnislyrik so um zu setzen, dass sie nicht nur nicht stört, sondern sogar berührt


Vielen Dank, das weiß ich wirklich zu schätzen. Und gut, dass man wenigstens die ersten beiden Strophen nachempfinden kann. Das sind auch die, in denen mehr Herzblut drinsteckt.

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