Pessimistische Lyrik

bernsteinland

Beitragvon rivus » Mo 24 Jan, 2022 09:38


ein alter text im januar 2012 entstanden nach einem film über todesmärsche

+++bernsteinland, 31.januar+++

und zuerst die Anwendung der Vernunft
auch Josefine schaufelte als Germanistin: in der Durchgangsstraße IV
wie ein fremder Vogel zwischen Gaswagen und uniformierten Reichweiten
plötzlich ans Tageslicht gezerrt:

1
Bevor das trügerische Eis
hinabbricht zu den Steinen,
trägt es noch unbeteiligt
Russische, Ukrainische.
Zugewanderte,
während nordische Lichter
wie Schneegestöber im Heute
einer polnischen Jüdin toben.
Ein Offizier spannt den Abzug.
Dauersalven rattern
ins Dämmerblau einer Frühlingsnacht,
in der die Lerche Einer von Erinnerung singt
bis Himmelsblau auf blaugrünes Eis schlägt
und Knochen mit Haut klirrend zerbersten.
Wenn der Januar wieder
über der gefrorenen Ostsee steht,
umspült darunter das Wasser
die Bernsteine, die fragen
nach der Zeit
und nach Dir,
die vorüber zog

9
Zusammengedrängt, fast von Reue, stehen Halbjüdinnen
in der arischen Dachkammer. Ohne Welt
werden sie hinaus geschickt
als die Russen nicht kommen

4
Hört Ihr? Der Volksempfänger tönt weiter:
Mitten im kalten Zimmer, wohl die halbe Nacht

5
Hört Ihr! Die Dauerfeuer
die Wanduhr schlägt Stillstand



(dank magueritefleur aka findefuchs, die mir, mit ihren leseschreiberfahrungen, mit ergänzungen und umformungen zur seite stand - stelle ich den text nun ein, bevor er mir ganz und gar abhanden kommt. )
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