Pessimistische Lyrik

Blutregen

Beitragvon Grinsekeks » Sa 07 Feb, 2009 11:04


"Blutregen"

Dunkel fällt der warme Regen
prasselt hart auf bleiche Haut
Männer falln dem Tod entgegen
kaltes Herz, aus Angst gebaut.

Rot benetzt geschlossne Lider
Leichenschau im Mondeslicht:
Schnell verscharrt, niemand kommt wieder,
kümmert euch um Tote nicht!

In Strömen fließt das Blut gen Tal,
zeigt rot des Mordens Preis,
klagt an der Toten letzte Qual,
die bald niemand mehr weiß.

Das letzte, was bald übrigbleibt
wird sein der stille Tod,
durch Wind, der an den Knochen reibt,
verbleicht das Regenrot.


LG das Grinsekeks
"Wenn wir bedenken, dass wir alle verrückt sind, ist das Leben erklärt."
(Mark Twain)
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Re: Blutregen

Beitragvon Didymus » Di 10 Feb, 2009 20:09


Liebes Grinsekekschen,

irgendwie gefällt mir Dein Gedicht, obgleich
das Thema ziemlich deprimierend klingt.

Der Aufbau des Gedichtes ist stimmig und die
Kreuzreime sind sauber, doch der Lesefluss
der Strophen 3 und 4 ist m. E. unzureichend.
Es fällt mir auf, dass die Verslängen und
Endungen nicht mit denen der ersten beiden
Strophen übereinstimmen.

Um Dir deutlich zu machen, was ich meine,
habe ich mir erlaubt, einige Korrekturen
vorzunehmen, und so liest sich Dein Text
rhythmisch gemäß folgendem
Betonungsmuster (X = betont / x = unbetont):

X x X x X x X x
X x X x X x X
X x X x X x X x
X x X x X x X


"Blutregen"

Dunkel fällt der warme Regen
prasselt hart auf bleiche Haut.
Männer fall’n dem Tod entgegen –
kaltes Herz, aus Angst gebaut.

Rot benetzt geschlossne Lider
Leichenschau im Mondeslicht:
Schnell verscharrt und nichts kommt wieder,
kümmert euch um Tote nicht !

Strömend fließt das Blut seit Tagen,
zeigt des Mordens roten Preis.
Totenklage, stilles Fragen –
niemand eine Antwort weiß.

Letztes, was wird übrig bleiben
ist gewiss der stille Tod,
Wind wird an den Knochen reiben,
es verbleicht das Regenrot.

© Grinsekeks


Liebe Grüße
Didymus
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Re: Blutregen

Beitragvon Pegamund » Mi 11 Feb, 2009 00:03


hei Grinsekeks,

also, ich sag dir ehrlich, dass dein gedicht nicht eines ist, das mich nun vor begeisterung durch den kamin fahren ließe - aber:
ändern würd ich da gar nix dran, und die vorschläge von Didymus find ich verschlimmbesserungen, die deinem text ein stückchen zauber und eigenstimme wegnähmen.
es gibt ein gedicht von Morgenstern (das ich sehr "gut gemacht" und vielschichtig finde), nämlich

Traumwald

Des Vogels Aug' verschleiert sich;
Er sinkt in Schlaf auf seinem Baum.
Der Wald verwandelt sich in Traum
Und wird so tief und feierlich.

Der Mond, der stille, steigt empor;
Die kleine Kehle zwitschert matt.
Im ganzen Walde schwingt kein Blatt.
Fern läutet, fern, der Sterne Chor.

da passiert im letzten vers metrisch ungefähr das, was Didymus deinem text ankreidet (Drehrassel könnte dir das genau erklären, ich bin zu unbeholfen und vllt. auch zu faul dazu bzw. hab immer weniger zeit als ich gern hätt, drum schreib ich schnell hier hin und nur kurz ;) ) - aber durch den bruch bzw. die synkope oder verschiebung im versmaß geschieht es, dass das "läuten" der sterne wirklich hörbar wird, es "klingt" durch. außerdem wird die stelle, die inhaltlich/interpretatorisch (transzendenz) eine besondere ist (auch als schlusszeile), betont.

so ähnlich bei deinem text.

die bald niemand mehr weiß.
hier zwingt der veränderte rhythmus den leser, wach zu werden, d.h. der leser wird dadurch indirekt gemahnt und aufgefordert, eben NICHT zu vergessen!

Das letzte, was bald übrigbleibt
wird sein der stille Tod,
durch Wind, der an den Knochen reibt,
verbleicht das Regenrot.

das ist der ausklang des gedichtes, das verwehen, das geräusch der knöchelchen im wind, rhythmisch angepasst.

nein, einen leierkasten musst du da nicht draus machen. dafür ist es schon zu "eigen" (im sinne von "stil"). lies viel, schreib viel, du kriegst schon raus, wo du hin willst.

Pegagrüße
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Re: Blutregen

Beitragvon Drehrassel » Mi 11 Feb, 2009 10:12


nur kurz, ich gebe pegamund bei allem, was sie sagt, recht. ob didymus die mühe, die er sich mit seiner metrischen analyse und dem neuentwurf des gedichts hätte sparen können, lass ich mal dahin gestellt. auch das ist textarbeit, beweist interesse am vorliegenden gedicht und zielt auf die sensibilisierung der autorin im umgang mit dem eigenen text. allerdings bin ich froh darüber, dass pegamund hierzu ihre dezidierte und gut begründetete meinung äußerte. / es handelt sich um zwei ganz verschiedene probleme, die hier auftauchen: einmal die rhythmische gestaltung eines bestimmten versmaßes und die grundsätzliche frage dabei, ob man eine tonbeugung (da heißt: eine - was den den wortakzent anbelangt - unbetonte silbe trägt den metrischen akzent, anstatt einer betonten) nur als einen metrischen fehler beurteilen möchte oder - so wie pegamund und ich das sehen - an manchen stellen eines gedichtes, hier zum beispiel, als geradezu eine erlösung aus dem unerbittlich einschläfernden rhythmischen gefüge, welches sein versmaß zwar korrekt erfüllt, aber leider stumpf und ungeschmeidig über-erfüllt, sodass kaum (man kann fast sagen: keine) rhythmische variaton - durch geschickte verteilung von haupt- und nebenbetonungen etwa - geschieht. der rhyhtmus stirbt auf seinem leidensweg durch nahezu immer an den versfüßen "umklappenden" wortenden tausend tode. der monotone zeilenstil tut sein übriges. bis eben auf diese eine stelle, die ja schon pegamund zurecht heraus gedeutet hat: tatsächlich! diese stelle wirkt, als habe man einen toten zum leben erweckt...

dann! in seiner exakten mitte erlebt das gedicht einen ganz anderen, radikalen bruch. inhaltlich sehe ich keine notwendigkeit dazu; allerdings lässt es mich dennoch eher die achseln zucken, als dass es mich irgnedwie empörte. und zwar wechselt grinsekeks nicht nur das versmaß, sondern greift plötzlich auf eine vollkommen andere strophe zurück: die chevy-chase-strophe, eine altenglische balladenstrophe, die auch in der deutschsprachigen lyrik desöfteren zur anwendung kam. durch ihren regen gebrauch in mancherlei "hemdsärmeligen" machwerken scheint sie mir hier gar nicht schlecht gewählt.

beispiel: johann ludwig gleim, "preußische kriegslieder"

"Was helfen Waffen und Geschütz
Im ungerechten Krieg?
Gott donnerte bey Lowositz,
Und unser war der Sieg."

es gibt aber auch gegenbeispiele:

"Willkommen liebe Sommerzeit,
Willkommen schöner Mai,
Der Blumen auf den Anger streut,
Und alles machet neu."

:D

(beide beispiele entnahm ich dem sehr empfehlenswerten buch von dieter burdorf "einführung in die gedichtanalyse")

wie leicht zu erkennen ist, besteht diese strophe aus vier auftaktigen, abwechselnd vier und dreihebigen versen, welche kreuzgereimt sind und auschließlich männliche kadenzen aufweisen. die alternation kann dabei durch freie füllungen (nicht in den obigen beispielen), also gelegentlich eingestreute doppelte senkungen eine lockerung erfahren.

ansonsten, wie schon gesagt, pegamund hat zum thema akzentverschiebung, synkopen genau das gesagt, was dabei wichtig ist und von großem gespür für das unabdingbare zusammenspiel von bedeutung und aussage der verse und ihrer rhyhtmischen gestaltung zeugt.

auch ihren ratschlag, du, grinsekeks, mögest dich nur ausprobieren, in so vielen wie nur möglichen formen versuchen (und! es gibt in der lyrik keine "nicht-form", auch sogenannte frei verse sind mit einem nicht minder großen gespür für ihre rhythmische gestaltung zu konzipieren!), kann ich nur wiederholen. lerne in alle vers- und satzbestandteile hinein lauschen, in jedes wort, jede silbe, jedes kolon, morphem... und... lies... ja, lies. -

liebe grüße,
drehrassel
dreimal selig, wer einen namen einführt ins lied!
- ossip mandelstam
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