Pessimistische Lyrik

Späte Tage beginnen früh

Beitragvon Perry » So 31 Mai, 2009 10:19


Der erste Schritt ins Freie,
ist der Weg zum Briefkasten.
Amseln haben nachts
im Blumenbeet gescharrt.
Die Tulpenzwiebeln liegen
verstreut auf dem Pflaster,
geplünderte Gräber
ungeborener Düfte und Farben.

Ich klemme die Zeitung
unter den Arm,
werfe die Prospekte
in den Container.
Post von dir war nicht dabei.
Vielleicht ist meine Adresse
verloren gegangen wie Worte,
die Liebende so sagen.
Perry
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Re: Späte Tage beginnen früh

Beitragvon Neruda » Do 04 Jun, 2009 19:16


Hey Perry,

dies ist ein sehr schöner Text, wenn auch sehr simpel. Aber gerade das und die nüchterne Erzählart gefällt mir hier besonders gut. Es unterstreicht die Atmosphäre des Gedichts und zeigt, dass es nur eine gewöhnliche Geschichte ist. Keine Tragik, kein Schmerz, nur das traurige und vielleicht zu frühe Ende einer Beziehung/Liebe.
Die ersten beiden Zeilen gefallen mir ganz gut, weil sie so paradox und ironisch sind in dieser Kombination. Die Doppeldeutigkeit von "Freie" ist hier gut gewählt. Es geht also nicht nur um das Freie im Sinen von draußen, sondern auch um die Freiheit, die man verspürt nachdem eine Beziehung beendet wurde. Obwohl das lyr.Ich einen Schritt ins Freie macht, bleibt es an Hoffnungen und Gewohnheiten hängen indem es zum Briefkasten geht, vermutlich um nachzusehen ob Post von dem Expartner da ist. Dabei fällt ihm aber auf, dass die Beziehung von Anfang an keine Chance hatte sich zu entwickeln. Das Bild mit den rausgerissenen Blumenzwiebeln finde ich dafür sehr passend und schön gewählt. Deshalb befinden sich im Briefkasten auch nur belanglose Dinge wie Prospekte und Zeitungen.
Das Ende des Gedichts ist mir ein bisschen zu kitschig und klischeehaft, aber das ist auch irgendwie Geschmackssache.
Ansonsten mag ich den Text sehr.

Lg, Kim
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Re: Späte Tage beginnen früh

Beitragvon Perry » Do 04 Jun, 2009 21:12


Hallo Neruda,
du hast das Gedicht sehr treffend aufgeschlüsselt. Für mich besteht die Kunst der Prosalyrik darin, mit wenigen "simplen" Bildern und Worten, z. B. die Geschichte einer verlorenen Liebe zu erzählen. Die leichte Ironie am Ende ist "meine" Sicht der Dinge.
Danke für dein Interesse und LG
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