Pessimistische Lyrik

Aus einander

Beitragvon Ruelfig » Do 02 Jul, 2009 21:03


Ein Vogel flötet einsam in dem Baum,
in dessen Schatten wir so oft gemeinsam lagen.
Dann gingst du fort und aus war unser Traum.

Du sahst für dich nicht mehr genügend Raum,
du kamst dir wie gefangen vor, dich quälten Fragen.
Ein Vogel flötet einsam in dem Baum.

So dunkel wie sein Lied ist auch sein Flaum,
ich konnte deine Qualen oft nicht mehr ertragen.
Dann gingst du fort und aus war unser Traum.

Oft stand ich sinnend an des Waldes Saum
und träumte, dass wir uns befreiten von den Plagen.
Ein Vogel flötet einsam in dem Baum.

Wir wurden Fremde und wir sprachen kaum:
Wer würde wohl als Erster etwas Falsches sagen?
Dann gingst du fort und aus war unser Traum.

Du zucktest, hattest vor dem Munde Schaum,
als dich das Messer traf, da endeten die Klagen.
Ein Vogel, einsam, flötete im Baum,
dann gingst du fort und aus war unser Traum.
Endlich Nichtdichter
Benutzeravatar
Ruelfig
Altling
Urgestein
 
Beiträge: 1100
Registriert: Sa 13 Sep, 2008 22:06
Eigene Werke
 

Re: Aus einander

Beitragvon rivus » Fr 03 Jul, 2009 19:33


Ach Ruelfig,
ich intoniere dein Aus einander mit Schwerblut. Das Gedicht kündigt Tatbestände an und trotz dieser Gewissheit des Ausgangs vermag ich, den Text, den Vogeltönen mit innerer Beteiligung zu folgen. Mich empfängt ein direkter, gereimter Dialog eines LI, das einen abrupt beendeten Traum in Baumnähe & in unmittelbarer Nähe zu Vergangenem zu verarbeiten versucht. Das Gereimte liest sich mit viel Puste, arbeitet sich bemerkenswert flott durch Erinnerung, Melancholie, menschliche Schwächen & Eingeständnisse. Daher walkt es das entzweiende Auseinander durch die Leserseele:
Das einsame, nicht entwurzelte, aber traumanfällige LI dringt in wohlbekannten Baum & in vertrauten Schatten, der noch getränkt ist vom einem erlebten Wir und der noch genauso daliegt wie einst im gelebten Traume. Doch aus diesem Wir-Traume, dieser Bindung, diesem Bühnenbild ging ein LD fort und hinterlässt eine geplatzte Illusion: Der zweisame oder doch eher LI-gesponnene Traum war flöten! Das die Beziehung verlassene LD wollte mehr Lebensraum, Bewegungsfreiheit, zweifelte am Zweier- & Eigensein, fühlte sich eingesperrt, gequält, empfand das vom LI gewünschte Wir-Sein als Störung des Eigenrhythmus, ja vielleicht sogar als Bedrohung, da es einen größeren Schutzkreis mit seinem Fortgehen suchte. Zurück blieb das resümierende, abgezweite, nun bindungslose, mit seinen Zweifeln & Ungewissheiten ringende LI, das die Beweggründe des Weggangs des LD bildgenau in sich wachruft & dabei unzweisam seine Beteiligung wegflötet, denn zu dunkel dudelt das Lied die ehemalige Ohnmacht des LI, welche das am LW leidende, sich quälende LD oft nicht mehr aushalten konnte. So suchte es die Zwiegespräche „an des Waldes Saum“, den verlorenen Traum vom gemeinsamen Lebensgang und fand jedoch nur das im Vogel manifestierte, herausmusizierte Einsame, welches die Erkenntnis des Aus-einander-Gelebten, des Nicht-zueinander-Findens in der Version des LI immer eindrücklicher anzustimmen weiß. Und so überrascht das in der fünften Strophe ausgesprochene, auch mit der Zeit gewordene Fremdwerden und Sprachlose nicht mehr wirklich, sondern es führt uns Leser zur letzten messerscharfen Konfliktbewältigung. Hier befreit sich das LI endgültig auch von eigenen, sich selbst zerträumenden Schuldgefühlen und kann mit dem Benennen der Einander-Wahrheit das LD aus dem Klagen und sich aus den hässlich gewordenen Traum bringen. So löst sich der Konflikt! Der Vogel verliert seine Schrecken, metaphorisiert sich in die nicht mehr verletzende Vergangenheit und kann sich sogar mit dem Baum symbiotisieren. Und das LD marschiert ein letztes Mal ins Fort und nimmt den Traum gleich mit.


Sehr gern gelesen


LG, rivus
Benutzeravatar
rivus
Moderator
Moderator
 
Beiträge: 2989
{ IMAGES }: 0
Registriert: Sa 27 Sep, 2008 09:19
Wohnort: Am Rand der Welt
Eigene Werke
 

Re: Aus einander

Beitragvon Ruelfig » Mi 08 Jul, 2009 15:20


Hallo Rivus,
schwer beeindruckt von deiner Auseinandersetzung. Vielen Dank dafür, hätte ich nicht gedacht, dass es sich so lesen lässt, mein Villanellchen.
LG,
Ruelfig
Endlich Nichtdichter
Benutzeravatar
Ruelfig
Altling
Urgestein
 
Beiträge: 1100
Registriert: Sa 13 Sep, 2008 22:06
Eigene Werke
 

Zurück zu Schwarzlicht

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 2 Gäste

cron