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Pessimistische Lyrik
von Sagahock » Mo 14 Dez, 2009 16:48
Also, wie gesagt, das ist eines der Gedichte, die ich für meine besseren halte - wär sehr nett, wenn ihr hierzu eure Meinung äußern könntet =)
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beflügelte zeit hat dich winter geheißen und mich frost dir einverleibt gefrorener see zwischen unseren tälern zeit entschwebt nach norden wirken überdauern dort die eisdecke unter den füßen zernagt. gestrandet am ufer von lebens mitte eiszapfen aus dir umweben erinnerungen tage deines herbstes meiner ernte wortfall auf zweisamkeits früchte schneefall auf ewiges beginnen
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[Alte Fassung:] unter beflügelter zeit bist du winter geworden und ich bin frost, der dich gerufen hat du hast mich dir einverleibt der see zwischen unseren tälern ist gefroren die vögel sind nach norden gewandert wo die zeit ihr wirken überdauert keiner traut der dünnen eisdecke unter unseren füßen, gestrandet stehen wir am ufer von lebens mitte an dir wachsen eiszapfen, sie umschließen die erinnerungen an tage, an denen du noch herbst warst und ich noch ernte es fällt dein wort auf die früchte unseres zusammen und der schnee auf splitter eines nie endenden anfangs
Lebensmotto: "Gerate niemals überstürzt in Wut - du hast genug Zeit." - Ralph Waldo Emerson
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von Drehrassel » Mo 14 Dez, 2009 23:30
das hier ist ausbaufähig. / jahreszeitengedicht, auf eine "ich und du"-beziehung gebracht qua allegorischer personifikation. mit offensichtlichem bezug auf hölderlins "hälfte des lebens". so etwas liest man doch schon mal ganz gern. / auch die syntaktische bewegung und vers-struktur, in einer allmählichen bewegung von zunächst schwachen (kein wert-urteil, sondern formale beschreibung!) enjambements an grammatischen satz und halbsatzenden hin zu "härteren" zeilenumbrüchen gefällt. das gibt einem gedicht wie dem diesigen eine eigene dynamik. / deine lexikalischen felder und ihr konsequentes amalgam in bildern und metaphern kommen als klar konturierte und symbolhaft-archaisierende chiffren daher. allerdings bewegt du dich da in etwas "überstrapazierten" gemeinplätzen. / mehr mut noch zur reduktion! würde ich sagen. weniger "reden"! weniger personalpronomen und umständliche beschreibungen. mehr mut zur klaren zäsur im versinnern, auch was die interpunktion anbelangt, z.b. in:"der dünnen eisdecke / unter unsren füßen, gestrandet" -> es mag dir zwar vielleicht kleinkariert vorkommen, aber hier sehne ich mich geradezu nach einem richtigen schlusspunkt mit schmackes:" unter unseren füßen. gestrandet [...]". versuche, weniger "kalender-weisheiten" (das ganze gerede von "nie endenden anfängen" oder "keiner traut der dünnen eisdecke" usw.) anzubringen. sowas nervt und verleidet einem die lyrik. einem? ja, mir for instance. aber das ist nur eine persönliche frage des geschmacks. -
keine ahnung. vielleicht habe ich dir mit diesen paar weniger überlegegungen ja bisschen helfen können. /
mal sehn. vielleicht ja noch mehr meinerseits, wenn es sich ergeben sollte; bei interesse...
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von Sagahock » Di 15 Dez, 2009 15:22
Hoi, danke vielmals dass du dich dazu geäußert hast :) Ja, ich weiß, ich rede manchmal zu viel, und ich bemühe mich, daran zu arbeiten; ich werde auf der Basis deines Kommentars den Text noch einmal überarbeiten und das Ergebnis dann ebenfalls hier hineinstellen =) Eine Frage hätte ich dann aber doch, was genau meinst du mit Hölderlins "Hälfte des Lebens"? Davon hab ich jetzt noch so gar nie was gehört ... Bildungslücke? ;)
Lg Saga
€: Ich hoffe, ich hab das jetzt nicht allzu sehr verstümmelt, und vor allem: ich hoffe, ich hab nicht die wichtigen Punkte weggestrichen und die unwichtigen beibelassen - weiters, so Gott will, ist der Lesefluss durch dieses mein Radikalkürzen nicht gestört worden :)
unter beflügelter zeit bist du winter geworden und ich bin frost, der dich gerufen hat einverleibt der see zwischen unseren tälern gefroren die vögel nach norden wo zeit ihr wirken überdauert nagt am eis unter unseren füßen. gestrandet stehen wir am ufer von lebens mitte eiszapfen an dir umweben erinnerungen tage, an denen du noch herbst warst und ich noch ernte es fällt dein wort auf die früchte unseres zusammen und der schnee auf splitter des ewigen beginnens
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von Drehrassel » Di 15 Dez, 2009 21:34
hi saga.
noch ein paar worte dazu. also, ich würde ehrlich gesagt NOCH weiter reduzieren. ich würde weniger erklären, grammatik, syntax und interpunktion eigenwilliger setzen. ich würde schlussendlich mehr auf die sprachliche eigenmacht der poesie vertrauen, auf das, was man gemeinhin "suggestion" und "sprachliche magie" nennt. ich würde bestimmte zusammenhänge aus dem alltagssprachlichen gebrauch reißen und geradezu umkehren. der leser guter lyrik will verzaubert und fasziniert werden. lyrik gibts, weil manche menschen es einfach satt haben, mit der sprache so fantasielos umzugehen, wie es für gewöhnlich geschieht... wenn z.b. jemand sagt: mensch! ist das ne schweinekälte! der see ist gefroren und die zeit lässt manches überdauern! oder so ähnlich...
schau mal, ich hab mal eben in zwo minuten was hingeschwurbelt, was bestimmt auch kein gutes gedicht ist, aber exemplarisch veranschaulichen soll, was ich meine:
unter flügeln winter bist du flügelzeit, ich frost geworden ruf, einverleibter, ruf der täler steif gefroren zwischen seen
und vögel richtung nord. wirk über ihr bedauern eis den humpelfuß vernagt im halben leben. wie zapf und klirr ein fahnenweben, herbstheraldik, erntewort früchte unsrer schnee- gesplitter tagend
. dann auf das ewige erinnern
/ da ist mehr rhyhtmus, syntax, satz und versbau orientieren sich mehr an etwas nur aus ihrer eigenbewegung gründend. das sind idiotismen und ungewöhnliche wortbehandlung, mehr komposita und weniger das, was ich oben "gerede" nannte. weniger umständliche grammatik, weniger personalpronomina. und wenn, dann mit zwingenderer funktion. /
keine ahnung, ob dir das jetzt hilft. trotzdem...
lg, rassel
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von Sagahock » Do 17 Dez, 2009 15:44
Sodala, jetzt hab ich doch nochmal gekürzt und drübergearbeitet ... ich hoffe, es ist besser geworden und hat nicht an irgendeinem Reiz verloren =)
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von Alcedo » Di 29 Dez, 2009 12:15
hallo Saga
ja, die Stichwörter See, Früchte, Lebensmitte, Winter, ließen auch bei mir Assoziationen zu Hölderlins Werk aufkommen. ich bringe es dir gerne. wenn du schreiben willst, kann es nicht schaden es zu lesen und zu verinnerlichen.
Gruß Alcedo
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Hälfte des Lebens
Mit gelben Birnen hänget? Und voll mit wilden Rosen? Das Land in den See,? Ihr holden Schwäne,? Und trunken von Küssen? Tunkt ihr das Haupt? Ins heilignüchterne Wasser.?
Weh mir, wo nehm ich, wenn? Es Winter ist, die Blumen, und wo? Den Sonnenschein,? Und Schatten der Erde?? Die Mauern stehn? Sprachlos und kalt, im Winde? Klirren die Fahnen.
von Friedrich Hölderlin (1805)
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