Pessimistische Lyrik

bis es still wird

Beitragvon Perry » Di 14 Sep, 2010 15:13


je mehr du hineinhörst
in höhlungen unter der haut,
umso mehr flieht wärme.

geräte atmen gegen stillstand,
zahlen springen seil
auf den linien des monitors,

bis es still wird im zimmer,
sich ein sonnenstrahl
durch wolken zwängt.
Perry
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Re: bis es still wird

Beitragvon rivus » Fr 17 Sep, 2010 09:29


hallo perry,
da mir welt manchmal gar zu laut ist, habe ich bei deinem "bis es still ist" einen boxenstopp hingekriegt.

wer ist denn in diesen zeiten noch hellhörig? die massen-filme in den supermodernen kinos pflegen die töne des lauten, überlauten, als ob fremdgut in unsere köpfe eingepresst werden u. das leise als unnützes beiwerk der menschlichen wahrnehmumg amputiert werden soll. ( die neurowissenschaft hat ja schon veränderungen in den hirnstrukturen festgestellt, die musikalität des menschen scheint gefährdet, wenn die tendenz sich fortpflanzen sollte. wer könnte dann noch alle tonlangen, nuancen heraushören, doch nur außenseiter u. elitäre bewahrer.)

dein lyrdu bemüht sich intensiv um die resonanzräume der "inneren stimme" u. findet sie zwar. doch sie wirft ihre contenance ab. je tiefer der audient sich ihre behausungen nähert, umso mehr flieht wärme. möglicherweise fühlt sie sich enttarnt, entblößt, entkleidet. die letzten wärmetönungen verschwinden, als das lyrich endlich eine verbindung herstellen will. das innere kernwesen ist wohl schon länger emotional kalt und war vermutlich längst schon - allerdings vom lyrich unbemerkt - unbehaust geworden. das einstige lyrdu kann nur fliehen, um die restwärme mitzunehmen, um den noch mehr kälte aufspüren müssenden lyrich zu entrinnen.

das ersatzleben spinnt seinen eigenen vers dazu. fast verzweifelt mutet das "geräteatmen" "gegen" "stillstand", die rebellion der zahlen, die kinderzeit springen. doch eiskalt liniert die logik die binäre wahrheit.auf einen monitor, der die monotone erstarrung schon längst erfasst hat u. nur durch das flimmern der linien noch ein wenig das trotzdem noch allgegenwärtige lyrdu am leben hält.

als das monitorische, lange u. laut wahrgenommene atmen aufhört, dringt jedoch ein hoffnungsschimmer in das zwiegesprächige zimmer, als ob die geschlossenen fenster einen spalt geöffnet haben, der monitor seine feste, ruhigere matrix gefunden hat, so wird stille, so kann sich ein wärmender sonnenstrahl durch seelendunkles ins vom lyrdu verlassene lyrich zwängen,

danke.

lg, rivus
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Re: bis es still wird

Beitragvon Perry » Fr 17 Sep, 2010 12:16


Hallo rivus,
da kann ich dir nur "still" zustimmen.
Danke für deine Interpretation, die mir tief unter die Haut ging.
LG
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