Pessimistische Lyrik

oktoberfrost

Beitragvon Perry » Sa 23 Okt, 2010 16:46


hinter dem verwaschenen
des morgens schimmert
ein frostiges beugen
der halme, geschönt nur
vom bunt des welkens,
das sich augenweit breitet.

du hast mir einen schal
um den hals gelegt,
damit ich nicht friere,
doch ohne deine nähe
nimmt er mir die luft,
mein atem kondensiert.


1. Fassung:

oktoberfrost


hinter dem verwaschenen
des morgens schimmert
ein frostiges beugen
der halme,
geschönt nur
vom bunt des welkens,
das sich augenweit breitet.

du hast mir einen schal
um den hals gelegt,
damit ich nicht friere,
doch ohne deine nähe
nimmt er mir die luft.
klagelaute verhallen,
im krächzen der krähen.
Perry
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Beitragvon Friederich » Sa 23 Okt, 2010 17:18


Hi Perry,

ein Text, der mir zwar nicht das Gefühl gibt, etwas einzigartiges im Sinne von etwas noch nicht dagewesenem zu lesen, dies aber letztlich auch nicht muss. Ich war zwar auf der Suche nach dem Textmoment, der mir den Eindruck wirklicher "Authentizität" gibt und habe ihn nicht gefunden (das frostige Beugen? das augenweite Breiten?). Dies heißt aber nicht, dass der Text etwas wie aus der Retorte gekommenes hat, ein Eindruck, der sich mir beim Lesen kurz aufdrängte, den dann zahlreiche gelungene Stellen aber wieder verdrängt haben. Insgesamt habe ich das Gefühl, einen in sich kohärenten Moment zu lesen, der direkt aus dem Leben kommt. Die Absenz eines "du" nimmt einem lyrischen Ich die Luft und das lyrische Ich sieht dies, verbunden mit darüber hinaus gehenden Reflektionen, in seiner Umwelt wieder. Gerade dies geschieht in der Welt häufig und daher muss ein solcher Text auch nicht sonderlich innovativ sein, um zu wirken. Er muss lediglich einen Moment glaubhaft machen und das tut er in meinen Augen.

Metrisch und rhythmisch kann ich sagen, dass mir der Anfang zusagt. Der holprige Rhythmus gibt dem Verwaschenen etwas unruhiges und das "frostige beugen" bekommt durch den kurzfristigen Daktylus etwas eindringliches, das durch das Enjambement zu Vers vier noch verstärkt wird. Einen ähnlichen Eindruck habe ich vom Schluss der ersten Strophe, denn auch hier führen die zwei Senkungen bei "augenweit" zu einer Erweiterung, der Jambus zu einer Harmonie des Welkens. Gelungen finde ich auch die Umsetzung des "Schals".

Schwachpunkt ist in meinen Augen der Schluss. Sicher konstituiert er die Aussage, aber hier wäre für mich etwas Abstraktion angebracht gewesen, um der gelungenen Landschaftsbeschreibung etwas mehr Tiefe zu geben. Vor allem die letzten beiden Verse finde ich, in Kontrast zum Rest des Gedichts, schwach. "Klagelaute" sind, als Leidsbekundung des lyrischen Ichs oder aber auch als wahrgenommene Umgebungsgeräusche, etwas wenig aussagekräftig. Ich würde hier evtl. die fehlende Präsenz des "du" implizit erwähnen und die Klagelaute weglassen, denn das Krächzen der Krähen wird ja bereits durch den Kontext in eine bestimmte Richtung gedeutet. So könntest du die Redundanz, die die zweite Strophe abschwächt, reduzieren.

Insgesamt gelungen und gerne gelesen,
Friederich
L'avenir, on ne l'attend pas comme on attend le train. L'avenir, on le fait. (Georges Bernano)

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Beitragvon MutedStoryteller » Sa 23 Okt, 2010 20:27


Hallo,
mir geht es ähnlich, was die gefühlte Struktur angeht.
Auch mir gefällt der Anfang besser. Auch ich finde die letzten Zeilen etwas aufgesetzt.
Für mich ist eine Authentizität auch weniger wichtig, denn du zeichnest hier ein Bild, das eher einer Strichzeichnung gleicht als einem Gemälde. Eines das mich durch Einfachheit besticht.

hmm... Ich werde mal versuche mich auf andere Aspekte zu konzentrieren, als mein Vorredner.
"sich augenweit breitet" klingt irgendwie nicht recht. Mir kommt es so vor, als wäre die Szenerie viel zu leblos um sich dabei "auszubreiten". Einen passiveren Blick könnte man vielleicht beschreiben indem, sie sich "augenbreit weitet", wie eine Landschaft.
Das ist natürlich mehr oder weniger Gefühlssache.

Der Zweite Teil verliert für mich auch an Reiz, da sich die Form verflacht, die Verse alle etwa gleich lang sind.
Das kann man sehen, aber vor allem beim lauten Lesen fällt es mir auf. Vielleicht könnte man die Struktur so ändern, das die letzten Zeilen wegfielen, die vorhandenen neu arrangiert würden, und das Gedicht auf "nimmt er mir die luft." endete?
Ich gebe zu das ist nicht das neuste Bild, aber wie ich schon sagte kommt es vielleicht nicht unbedingt auf Originalität an.
Mann könnte dann mit weniger Material, mehr Akzente im Gedicht setzten.

Trotz allem Gemäkel, sehr gerne gelesen.
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Beitragvon Perry » Sa 23 Okt, 2010 23:27


Hallo Friederich,
danke für das Kritisieren auf "hohem Niveau" :) und das gern gelesen.
Das mit dem Reflektieren des Inneren am Äußeren ist eines meiner lyrischen Grundelemente.
Die metrische Beleuchtung freier Lyrik wirkt auf mich etwas befremdlich, aber wenn man darauf geeicht ist kann man wohl nicht anders.
Beim Schluss hat mich vorallem die Alliteration angelacht, aber ich denke gerne über deine Anregung nach.
LG
Perry

Hallo Muted,
also ob "augenbreit weitet", besser klingt wie "augenweit breitet" ist wohl reine Geschmackssache. Mir war der Aspekt des Ausbreitens der Landschaft vor dem Blickfeld der Augen wichtig. Ein augenbreites Weiten, befasst sich dagegen mehr mit dem Vorgang des Blicks selbst.
Der Schluss scheint vermutlich wirklich nicht so gelungen zu sein, aber warum das "Schalbild "nicht das neueste Bild" sein soll, kann ich objektiv nicht nachvollziehen.
Ansonsten natürlich vielen Dank fürs sehr gerne gelesen!
LG
Perry
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Beitragvon MutedStoryteller » So 24 Okt, 2010 10:26


Hi nochmal,
Mir war der Aspekt des Ausbreitens der Landschaft vor dem Blickfeld der Augen wichtig. Ein augenbreites Weiten, befasst sich dagegen mehr mit dem Vorgang des Blicks selbst.

Sehe ich auch so. Für mich wäre im Kontext eben der Blick eher der Ausgangspunkt gewesen, da er für mich das einzig Aktive am Bild ist. Ich wollte daher noch auf die andere Option hinweisen. :D

warum das "Schalbild "nicht das neueste Bild" sein soll, kann ich objektiv nicht nachvollziehen.

Den Schal, und das Symbol darum, finde ich gut und passend. Nein, ich bezog mich eher darauf, das das Gedicht, klaute man die letzten Zwei Zeilen, mit dem wegbleiben der Luft enden würde.
War etwas unklar ausgedrückt.
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Beitragvon Perry » So 24 Okt, 2010 14:12


Hallo Muted,
danke fürs Feedback und LG.
Mal sehen, was mir noch dazu einfällt. :)
LG
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Beitragvon MutedStoryteller » So 31 Okt, 2010 20:16


Mir gefällt die Überarbeitung.
Viel stimmiger mit sich selbst und nicht mehr gezwungen zum ende hin, noch etwas bildlicher sogar, was ja vorher schon stärke war. Auch finde ich gut, dass dieser gleichmäßig gestreuten Stimmung, nun auch ein etwa gleichmäßiges Zeilenmaß anliegt. Es liest nun besser. :)
Sicher wieder so eine Geschmackssache, ich hätte noch ein "daran" ans Ende angefügt, das öffnet das Gedicht und hebt die letzte Zeile zugleich einen Tick hervor. Angenehm, wie ich beim lesen finde. :D
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Beitragvon Perry » Mi 01 Dez, 2010 23:12


Hallo Muted,
dann hieße es "mein atem kondensiert daran", wobei sich dann die Frage stellt woran?
Einen Text am Schluss zu öffnen ist immer gut, nur ob es so funktioniert?
LG
Perry
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