Hallo LAS,
ich muss sagen, dass es mir insgesamt gut gefällt. Im Kern steht für mich die Ansicht, dass die Wahrnehmung der eigenen Sterblichkeit dem Leben einen existentiellen Sinn verleiht. Das Nichts ist hier etwas, das vertrieben werden muss; in der Gedichtwelt ist es für mich eindeutig negativ belegt. Dieses Nichts lese ich auf so etwas wie die innere Werthaltung oder Orientierung des lyrischen Ich bezogen; für den meistens atheistischen Westler ist das Nichts ja auch das, was er nach dem Tod zu erwarten hat, deswegen scheint es auf den ersten Blick widersprüchlich, dass der Tod oder die besser die Wahrnehmung der Sterblichkeit das Nichts vertreiben solle. Aber wenn man es eben auf eine leere Innenwelt bezogen liest, macht es Sinn; der Fakt, dass der Lebenstrieb sozusagen der grundlegendste Sinn des Lebens ist, eine unteilbare Urkraft.
Bei Lyrik bin ich mittlerweile ein eher vorsichtiger Kritiker, wenn ich mich ernsthaft auf einen Text einlasse; hier wird das so aussehen, dass ich dir einfach ein paar Anmerkungen zu einzelnen Stellen aufschreibe, mit denen du machen kannst, was du willst.
Es bleibt fast nichts
vom Lichtasyl der Nacht
im Himmelblau
Lichtasyl der Nacht gefällt auf den ersten Blick; auf den zweiten ist es natürlich faktisch unrichtig, weil die Nacht noch nie lichtlos war und es heutzutage weniger ist als je zuvor. Die Vielzahl künstlicher Lichter, Sternenlicht, das vom Mond reflektierte .... Sternenkucker nennen das Phänomen Lichtverschmutzung. Natürlich kann man es als Bild benutzen und es ist ein ziemlich deutlicher Hinweis auf ein vielleicht um sich selbst kreisendes, eher lebensabgewandtes lyrisches Ich. Also letztendlich sehr gut, finde ich. Ein interessantes und passendes Wort.
Ich habe mal irgendwo gelesen, dass man sich jeden Vers aufs Neue erarbeiten muss. Das finde ich einen starken Satz und eine unbedingt richtige Herangehensweise! Solche hingeknallten Verse, die nur aus 'im Himmelblau' bestehen, dürfen passieren, aber man sollte sie nicht stehenlassen.
im Himmelblau steht da nicht gut. Das ist abgedroschen und zu bedeutungsschwanger. Die Anzahl der Nennungen von 'nichts' und Verwandtem lohnt sich hier auch anzusehen und möglicherweise zu reduzieren. Wiederholung kann ein sehr effektives Stilmittel sein und du hast immer eine andere Variante gewählt, das sehe ich wohl.
Ein Zwischenhalt mehr nicht
kleine Welt und dann
nonstop in den Wind
das passt mir inhaltlich in meine Lesart, mir deuten diese Zeilen darauf, dass für das innere Nichts die Schnelligkeit des Lebens einen Großteil der Verantwortung tragen könnte, dass Werte und innerer Kompass im Rauschen der Jetzt-Zeit verloren gegangen sind. Vielleicht ist da auch etwas in ihm. Nur die Rasanz einer nonstop rotierenden Gegenwart erlaubt einfach keinen ruhigen Blick, der etwas eventuell Vorhandenes wahrnehmen könnte.
Mit geschlossenen Augen
bin ich dem Tod näher
als jeder Zeit
Freddy hat etwas zu den Sätzen gesagt und dass man die Inhalte eindrucksvoller präsentieren könnte - ich denke auch, dass es sich sicher lohnen wird, auf die Präsentation und Wirkungen der einzelnen Verse und dann natürlich auch in den größeren Zusammenhängen von Strophe und Gedicht einen Fokus zu legen. inhaltlich sind da auf jeden Fall Gedanken und Stimmungen verarbeitet, die ich sehr spannend finde, wie man sicher merkt. Die mich einfach ansprechen. Aber die Präsentation! Da ist noch viel Luft.
Es ist übrigens sehr schwierig, sich diesen Themen auf die richtige Art zu nähern. Generell sollte man die Häufung von so großen Wörtern wie Tod, Zeit und Nichts vermeiden. Sie nicht unmittelbar nennen sondern mittelbar beschreiben, ich glaube diese Ansicht ist eine weitverbreitete und normalerweise teile ich sie. Dass mich dein Text trotz dieser Ballung anspricht, spricht für ihn.
und warte auf ihn - ihn
der tief seine Melodie pfeift
und für mich - nur für mich
das Nichts vertreibt
dieses doppelte ihn finde ich ärgerlich,
tiefes Pfeifen irritiert mich. das wirkt wie nach dem nicht ganz treffenden Wort gegriffen. Ja ich sehe auch diese Gegenüberstellung und Wiederholung - ihn / ihn, für mich / für mich - inhaltlich sehr ansprechend, weil es eben auch in der letzten Strophe diesen Twist hineinbringt - Tod, mein abstrakter Begleiter, tut etwas ganz Konkretes und vertreibt das Nichts. Also ja! Aber in die Darstellung solltest du ein paar Übungsstunden investieren.
Alles in allem ein schönes Ding, ich empfehl das jetzt.
Viele Grüße!
cube