Pessimistische Lyrik

Dem Tod näher

Beitragvon LAS » So 10 Jul, 2011 03:37


Es bleibt fast nichts
vom Lichtasyl der Nacht
im Himmelblau

Ein Zwischenhalt mehr nicht
kleine Welt und dann
nonstop in den Wind

Mit geschlossenen Augen
bin ich dem Tod näher
als jeder Zeit

und warte auf ihn - ihn
der tief seine Melodie pfeift

und für mich - nur für mich
das Nichts vertreibt


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cube (Fr 29 Jul, 2011 19:46)
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Re: Dem Tod näher

Beitragvon rivus » Di 12 Jul, 2011 03:12


hi LAS,
räusp, dem-tod-näher-zustandsbeschreibung. ein lyr-anbändeln, fast ein kokettieren mit dem gevatter, ein genügsam erwarten des unvermeidlichen wiedergängers.

hier scheint jemand, der ein besonderes lichtasyl der nacht erlebte, im vorgefühl eines nahen todes, eines abschiedes, sich im himmelblau nicht mehr heimisch zu fühlen und das tagesblau nur noch als zwischenhalt wahrzunehmen und eine affinität zu einer andren welt aufzubauen, die die kleine, übrig gebliebene welt nur noch als boxenstopp erlebt. mit geschlossenen augen kann das lyr noch das vorerlebte asyl nachfühlen, mitleben, aber dermaßen kokoniert, ist das lyrich der allgegenwart des todes näher als der wärtigkeit jeder zeit. in diesem ein- und vorgestimmen wartestatus wird kein horror vacui, weder des lebens noch des todes zugelassen. das lyr scheint gerüstet für einen gang, der am ende auch ein gang in andres leben bedeuten könnte.

gern assoziiert,
grüße, der rivus
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Re: Dem Tod näher

Beitragvon Le_Freddy » Do 14 Jul, 2011 16:58


hi!

also thematisch, wie auch bildlich erschöpft sich das in etwa hierin:
http://www.youtube.com/watch?v=RSzSNdK18zs
achso ja. die 'kleine welt' ist faust. ;)

also mal ans eingemachte:
in deiner umsetzung, muss ich zunächst bemerken, findet sich kein festes metrum und überwiegend sehr konservative zeilenumbrüche, die schon nach strenger definition enjambments darstellen. das dient hier eindeutig zur atemführung. allerding! ist das hier etwas unnötig denn die zeilenumbrüche liegen an stellen an denen der/die lerser_in ohnehin kurz pausieren würde. durch die zusätzliche zerrung neigt man beim lesen zur überspitzng dieser pausen, was durch die verlangsamug einen "tiefsinnig-nachdenklichen" ton erzeugt, der bei dieser weltschmerzthematik nicht neu, eher ermüdend ist. (m.E.n.)
außerdem, und das ist schade: verschleiert dieses abgehackte lesen satzzusammenhänge - nicht das ich für sätze in lyrik wäre ;) - sie verschleiert damit eben auch den ausbruch aus den sätzen. deine ellipse(n) "Ein Zwischenhalt mehr nicht / kleine Welt und dann / nonstop in den Wind" könnten wesentlich interessanter und eindrucksvoller inszeniert werden.

erstmal das
lg fred
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Re: Dem Tod näher

Beitragvon LAS » Mi 27 Jul, 2011 21:01


@rivus

bestechende Interpretation. Vielen Dank dafür, nicht zuletzt, weil so treffend. Keine Ahnung, wie man das alles so präzise aus den Zeilen rauslesen kann. Hat mich sehr beeindruckt.

Wusste nicht, was ein "horror vacui" ist und bin bei der Recherche auf einen Artikel gestoßen, dem ich folgendes Zitat entnehme: "Wenn es irgendwo ein Vakuum geben kann, dann nur in Torricellis Kopf." (Descartes). Amüsante Lektüre für die Nacht. Hab Dank!


@Le_Freddy

vielen Dank für den Link. Ja, das trifft schon. Ich hatte nicht dieses Lied im Ohr, als ich das Gedicht schrieb, aber irgend ein anderes langsames Lied. Und dann nochmals tausend Dank für die Kritik, die ist umwerfend treffend. Wow. In welchem Forum bin ich bloß gelandet? Das ist ja fast schon genial!
Ich habe nun ein paar Versionen geschrieben und komme zum Ergebnis: Mit den von mir gewählten Worten wird das nichts, es bleibt immer irgendwie platt. Habe einige Verse hinzugefügt, vieles gestrichen und versucht, die Ratschläge zu befolgen und ich muss sagen, ich kann erkennen, dass so was wie ein Potential hinzugekommen ist. Auf einmal habe ich Möglichkeiten, die in der gewählten Form nicht vorhanden sind. Danke fürs Augenöffnen!
LAS
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Re: Dem Tod näher

Beitragvon Perry » Mi 27 Jul, 2011 22:30


Hallo LAS,
"Dem Tod näher" als dem Leben folgere ich aus dem Titel.
Das Leben als "Zwischenhalt" ist eine interessante These, die in Richtung Reikarnation zu gehen scheint. Leider flacht die Gedankenführung dann ab, denn zwischen dem Schließen der Augen und dem Tod liegt mehr als (Zeit)vertreib.
LG
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Re: Dem Tod näher

Beitragvon LAS » Fr 29 Jul, 2011 17:43


@Perry

"Leider flacht die Gedankenführung dann ab, denn zwischen dem Schließen der Augen und dem Tod liegt mehr als (Zeit)vertreib."

Das ist ein wahrhaftig guter Punkt! Den nehme ich mit für die Versionen, mit denen ich experimentiere. Vielen Dank dafür!

(Seltsam, dass ich manche Dinge vollkommen klar sehe - NACHDEM mich jemand darauf hingewiesen hat ... :D )

Mit freundlichen Grüßen

LAS
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Re: Dem Tod näher

Beitragvon cube » Fr 29 Jul, 2011 19:46


Hallo LAS,

ich muss sagen, dass es mir insgesamt gut gefällt. Im Kern steht für mich die Ansicht, dass die Wahrnehmung der eigenen Sterblichkeit dem Leben einen existentiellen Sinn verleiht. Das Nichts ist hier etwas, das vertrieben werden muss; in der Gedichtwelt ist es für mich eindeutig negativ belegt. Dieses Nichts lese ich auf so etwas wie die innere Werthaltung oder Orientierung des lyrischen Ich bezogen; für den meistens atheistischen Westler ist das Nichts ja auch das, was er nach dem Tod zu erwarten hat, deswegen scheint es auf den ersten Blick widersprüchlich, dass der Tod oder die besser die Wahrnehmung der Sterblichkeit das Nichts vertreiben solle. Aber wenn man es eben auf eine leere Innenwelt bezogen liest, macht es Sinn; der Fakt, dass der Lebenstrieb sozusagen der grundlegendste Sinn des Lebens ist, eine unteilbare Urkraft.

Bei Lyrik bin ich mittlerweile ein eher vorsichtiger Kritiker, wenn ich mich ernsthaft auf einen Text einlasse; hier wird das so aussehen, dass ich dir einfach ein paar Anmerkungen zu einzelnen Stellen aufschreibe, mit denen du machen kannst, was du willst.

Es bleibt fast nichts
vom Lichtasyl der Nacht
im Himmelblau


Lichtasyl der Nacht gefällt auf den ersten Blick; auf den zweiten ist es natürlich faktisch unrichtig, weil die Nacht noch nie lichtlos war und es heutzutage weniger ist als je zuvor. Die Vielzahl künstlicher Lichter, Sternenlicht, das vom Mond reflektierte .... Sternenkucker nennen das Phänomen Lichtverschmutzung. Natürlich kann man es als Bild benutzen und es ist ein ziemlich deutlicher Hinweis auf ein vielleicht um sich selbst kreisendes, eher lebensabgewandtes lyrisches Ich. Also letztendlich sehr gut, finde ich. Ein interessantes und passendes Wort.
Ich habe mal irgendwo gelesen, dass man sich jeden Vers aufs Neue erarbeiten muss. Das finde ich einen starken Satz und eine unbedingt richtige Herangehensweise! Solche hingeknallten Verse, die nur aus 'im Himmelblau' bestehen, dürfen passieren, aber man sollte sie nicht stehenlassen.

im Himmelblau steht da nicht gut. Das ist abgedroschen und zu bedeutungsschwanger. Die Anzahl der Nennungen von 'nichts' und Verwandtem lohnt sich hier auch anzusehen und möglicherweise zu reduzieren. Wiederholung kann ein sehr effektives Stilmittel sein und du hast immer eine andere Variante gewählt, das sehe ich wohl.

Ein Zwischenhalt mehr nicht
kleine Welt und dann
nonstop in den Wind


das passt mir inhaltlich in meine Lesart, mir deuten diese Zeilen darauf, dass für das innere Nichts die Schnelligkeit des Lebens einen Großteil der Verantwortung tragen könnte, dass Werte und innerer Kompass im Rauschen der Jetzt-Zeit verloren gegangen sind. Vielleicht ist da auch etwas in ihm. Nur die Rasanz einer nonstop rotierenden Gegenwart erlaubt einfach keinen ruhigen Blick, der etwas eventuell Vorhandenes wahrnehmen könnte.

Mit geschlossenen Augen
bin ich dem Tod näher
als jeder Zeit


Freddy hat etwas zu den Sätzen gesagt und dass man die Inhalte eindrucksvoller präsentieren könnte - ich denke auch, dass es sich sicher lohnen wird, auf die Präsentation und Wirkungen der einzelnen Verse und dann natürlich auch in den größeren Zusammenhängen von Strophe und Gedicht einen Fokus zu legen. inhaltlich sind da auf jeden Fall Gedanken und Stimmungen verarbeitet, die ich sehr spannend finde, wie man sicher merkt. Die mich einfach ansprechen. Aber die Präsentation! Da ist noch viel Luft.
Es ist übrigens sehr schwierig, sich diesen Themen auf die richtige Art zu nähern. Generell sollte man die Häufung von so großen Wörtern wie Tod, Zeit und Nichts vermeiden. Sie nicht unmittelbar nennen sondern mittelbar beschreiben, ich glaube diese Ansicht ist eine weitverbreitete und normalerweise teile ich sie. Dass mich dein Text trotz dieser Ballung anspricht, spricht für ihn.

und warte auf ihn - ihn
der tief seine Melodie pfeift

und für mich - nur für mich
das Nichts vertreibt


dieses doppelte ihn finde ich ärgerlich, tiefes Pfeifen irritiert mich. das wirkt wie nach dem nicht ganz treffenden Wort gegriffen. Ja ich sehe auch diese Gegenüberstellung und Wiederholung - ihn / ihn, für mich / für mich - inhaltlich sehr ansprechend, weil es eben auch in der letzten Strophe diesen Twist hineinbringt - Tod, mein abstrakter Begleiter, tut etwas ganz Konkretes und vertreibt das Nichts. Also ja! Aber in die Darstellung solltest du ein paar Übungsstunden investieren.

Alles in allem ein schönes Ding, ich empfehl das jetzt.

Viele Grüße!
cube
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Re: Dem Tod näher

Beitragvon LAS » Mo 01 Aug, 2011 01:47


@cube

vielen Dank für diese Interpretation (der habe ich definitiv nichts zuzufügen).

"im Himmelblau" ist als Vers - so für sich alleine betrachtet – na ja, du hast Recht. Dieses Problem lässt sich leicht lösen, denn die gesamte Form ist überarbeitungswürdig und da fällt es mir offen gestanden nicht schwer, diesen Vers mit umzugestalten.

mir deuten diese Zeilen darauf, dass für das innere Nichts die Schnelligkeit des Lebens einen Großteil der Verantwortung tragen könnte, dass Werte und innerer Kompass im Rauschen der Jetzt-Zeit verloren gegangen sind.


Dazu sage ich nichts, denn das sagt bereits alles aus, besser, als ich es formulieren könnte. Himmel, hast du das Teil geschrieben oder ich? Und beim "tiefes Pfeifen" fühle ich mich ertappt, denn in der Tat hatte ich das "tiefe" ein paar Mal ausgetauscht und letztlich einfach stehen gelassen, weil die von mir gefundenen Alternativen noch weniger überzeugend waren.

Herzlichen Dank für diese ganz und gar durchdringende Betrachtungsweise.

Mit freundlichen Grüßen

LAS
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