|
|
|
Humor und Satire
von cube » So 04 Aug, 2013 18:27
rivus, bei der zeitlupe überlege ich, ob es sich dabei um das gefühl verlangsamten lebens handelt, um entschleunigtes dasein; oder ob es ein bestimmtes instrument bezeichnet, mit dem der prozess vergehender zeit beobachtet wird. was könnte es bedeuten, wenn meine zeitlupe besuch bekäme? der neue schatten ist in meiner lesart eine neue version des ich, eine neue kostümierung, die nicht ehrlich beklatscht werden kann, weil das ich sich seines lügens bewusst ist; die kostüme indes können lächeln - sie stammen ebenfalls von der ebene der schatten des ich, sie wissen sich zu verhalten in dem theater des menschlichen, in der auffächerung menschlicher identität.
mein verstehen ist, dass das von dieser situation überforderte ich inszenierungen negativ bewertet, sich mit ihnen unwohl und im unreinen fühlt, es empfindet (bestimmte) selbstinszenierungen als lügen und sich selbst also als lügner. ein kostüm wäre mglw akzeptabel, aber die vielzahl der kostüme problematisieren die situation. halt sucht das text-du in der erinnerung an alte bühnen, im überzeitlichen schwarzweiß und in der betrachtung zeitloser flora. darin steckt für mich auch der wunsch nach komplexitätsreduktion. und da die gewählten sprachbilder künstlerisch-philosophisch anklingen, geht es mitunter konkret gegen die zunehmende verbindung verschiedener medien auf zeitgenössischen bühnen. gegen den event-charakter, den solche multimedialen auftritte fast zwangsläufig mit sich bringen. ich mag da falsch liegen, aber was ich so an beispielen in junger und jüngster zeit erlebte oder selbst versuchte, das zielte in meinen augen nicht auf etwas wie ein gesamtkunstwerk, sondern eher auf eine art beschäftigungstherapie für alle sinne; oder in unserem fall aufs experiment und in erster linie auf den spaß der darstellenden, nicht auf die unterhaltung des publikums. dabei gehen viele möglichkeiten verloren, zb die der zuhörenden, sich schlicht auf das gesprochene wort zu konzentrieren.
interessant ist natürlich, dass im titel ein 'ich' lügt, während im text fortwährend, bis auf den letzten vers, ein 'du' angesprochen wird. mich irritieren die unterschiedlichen zeiten im letzten vers. angenähert und hineingelegt, grüßt : cube
Zuletzt geändert von cube am So 04 Aug, 2013 18:33, insgesamt 3-mal geändert.
-
cube
- Etabliert
-
- Beiträge: 364
- { IMAGES }: 0
- Registriert: So 14 Sep, 2008 09:31
- Wohnort: Hamburg
- Eigene Werke
von kokoschanell » So 04 Aug, 2013 19:59
ich finde, cube, du hast es wunderbar interpretiert und es bleibt mir nicht viel hinzuzufügen. Das du und das ich sehe ich, um deinen Kommentar zu ergänzen, als wenn das ich das lügende Du als ein Fremdes anspricht. So nach dem Motto: Zwei Seelen ach wohnen in meiner Brust.
Die Zeitlupe sehe ich nicht als den Begriff des langsamen, sondern als Zeit-Lupe, es hält also jemand eine Lupe, eine vergrößerte Brille über das bisherige Leben und seine Theater.
Der Zeitenwechsel am Schluß ist sicherlich en Tippfehler. Ich würde da auch im Imperfekt bleiben.
Ein vielschichtiges, tolles und metaphorisches Werk, lieber rivus. Klasse. LG von Koko
Vielleicht stünde es besser um die Welt, wenn die Menschen Maulkörbe und die Hunde Gesetze bekämen. G.B. Shaw
-
kokoschanell
- Etabliert
-
- Beiträge: 463
- Registriert: Sa 13 Okt, 2012 15:10
- Wohnort: köln
- Eigene Werke
-
von cube » So 04 Aug, 2013 23:20
oh ja, das hilft mir auf die sprünge, danke koko. wenn ich weiterführen darf, ist das 'ich' hier die positiv konnotierte kerninstanz des textsubjekts, die eingangs streng feststellt, dass sie lügt, also unwahr spricht oder lebt; wonach dann dem 'du' all das unwahre zugeordnet wird, das fremde. handlungen, die man zu tun gezwungen ist oder zu denen man sich gezwungen fühlt, mit denen man aber nicht im reinen ist, wegen denen man sich schlecht fühlt, als unmoralisch handelnder, als einer, der den eigenen kodex bricht. handlungen, die nicht mit der vorstellung des textsubjekts von sich selbst identisch sind, um es etwas neutraler auszudrücken. so beginnt und schließt das 'ich' den kreis. erst die feststellung des lügens, dann der exkurs in die 'lüge', im schlussvers ist 'ich' wieder mit sich selbst identisch, in der romantischen naturbetrachtung findet 'ich' sich wieder - das ist ja inhaltlich ein ganz stark besetzter vers - 'ich' geht, das lässt sich hier symbolisch verstehen, hinfort von dem falschen theater, und im hinfortgehen bemerkt 'ich', das eine pflanze erblüht oder blüht, also stilles leben, das sich entfaltet und in schönheit darstellt, ich assoziiere da einfachheit, ehrlichkeit und frieden; und über das konkrete hinausweisend eben auch eine andere perspektive, die sich da symbolisch eröffnet.
-
cube
- Etabliert
-
- Beiträge: 364
- { IMAGES }: 0
- Registriert: So 14 Sep, 2008 09:31
- Wohnort: Hamburg
- Eigene Werke
von rivus » Mo 05 Aug, 2013 07:32
hi cube & hi koko!
räusp, als interpretationsfan bin ich auch immer wieder überrascht, wohin mich meine assoziationen tragen, welche substanz in einem so schnell entstandenen text scheinbar steckt. aber ja, ihr habt es beide wunderbar ausgelegt und somit bleibt mir als autor zu staunen, wieviel erleben wahrgenommen wird, die der text transportiert, wo ich doch einfach, ich nenne es prozesshaft schreiben, etwas losgeworden bin, was mir meine intention während des textens mitgegeben hat.
hm, ich überlege nun wirklich, ob ich die zeitform ändere? ja, ich werde koko folgen und für blühen blühten schreiben ...
vielen dank für eure plastischen annäherungen, die meinem textnachempfinden sehr, sehr nahe kommen.
lg rivus
p.s.: also bei mir ist es so und vielleicht ist es ja bei euch so ähnlich, dass ich lange etwas mit mir herumtrage und zu einem bestimmten zeitpunkt treibt es mich dann, es auch ausdrücken zu wollen und dann schreibt es sich fast von selbst ....
Zuletzt geändert von rivus am Mo 05 Aug, 2013 07:52, insgesamt 1-mal geändert.
-
rivus
- Moderator
-
- Beiträge: 3058
- { IMAGES }: 0
- Registriert: Sa 27 Sep, 2008 10:19
- Wohnort: Am Rand der Welt
- Eigene Werke
von kokoschanell » Mo 05 Aug, 2013 18:08
genauso ist es, lieber rivus. Wenn man basteln muss, wird es nix. ich habe sogar bestimmte Zeiten, wo ich zB nur Sonette schreibe oder etwas, das ich nur in Prosa schreiben kann. man kann sich nicht hinsetzen und sagen: so, jetzt schriebe ich mal was und schon gar nicht. so, jetz schriebe ich ein Sonett oder einen Limerick. Hute zB könnte ich niemals eine Satire schreiben. Et kütt wie et kütt, wie mer he saache... Und manchmal kommt was richtig Gutes dabei raus und manchmal "nur" ein Alltagsgedicht". LG von Monika
Vielleicht stünde es besser um die Welt, wenn die Menschen Maulkörbe und die Hunde Gesetze bekämen. G.B. Shaw
-
kokoschanell
- Etabliert
-
- Beiträge: 463
- Registriert: Sa 13 Okt, 2012 15:10
- Wohnort: köln
- Eigene Werke
-
von Perry » Do 08 Aug, 2013 16:47
Hallo rivus, auch ich will Dir gerne meine Gedanken zu dem Text dalassen. Szenario ist für mich die Gedankenwelt des LI als Bühne, auf der es sein Leben noch einmal Revue passieren lässt (Zeitlupe). Es erkennt dabei neben dem Gelungenen, für das es ungelenk/pflichtgemäß Beifall klatscht auch einen Schatten, etwas Bedrohliches. Im zweiten Teil geht es für mich um den Abschied vom Erlebten (alte Bühnen), das zunehmend verblasst (Schwarz-Weiß), doch es gibt auch eine glaubende Hoffnung, die durch das Bild der blühenden Mondviolen versinnbildlicht wird. Hier sehe ich auch den einzigen Verbesserungsansatz, denn das Besondere an den Mondviolen sind nicht die Blüten, sondern die Silberblätter, die für mich auch thematisch besser ins Lichtbild des Gehens passen würden. LG Perry
Zuletzt geändert von Perry am Do 08 Aug, 2013 16:48, insgesamt 1-mal geändert.
-
Perry
- Urgestein
-
- Beiträge: 1198
- Registriert: Do 20 Nov, 2008 15:29
- Eigene Werke
-
von findefuchs » Fr 09 Aug, 2013 22:07
Hallo,
mir geht der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass der Titel für diesen Text besonders wichtig ist. Ich lese ihn so, dass er bedeutet: "Ich lüge", würde ich sagen, dass...darin liegt die Crux an dem Teil. Die Imperative sind Konjunktive, es ist alles genau umgekehrt und diese herben Konjunktive enthalten ironischerweise die Wahrheit. Besonders die letzte Zeile ist der Gipfel der dramatischen Steigerung ins Bitter-Zynische: "als ich ging, blühten die Mondviolen"... Der Protagonist: "Ich lüge", weil ich nicht ging und wo ich blieb, blühen keine Mondviolen, höchstens Tagträume.
Muss nicht stimmen, aber es ist für mich die einzig mögliche Deutung.
Gruß
finde
Als ich des Suchens müde wurde, erlernte ich das Finden. Friedrich Nietzsche
-
findefuchs
- Mensch
-
- Beiträge: 97
- Registriert: Do 18 Jul, 2013 20:53
- Eigene Werke
von rivus » Sa 10 Aug, 2013 00:18
hallo finde, ja und ja, genau so. so, in deinem kontext, entstand der text. vielen dank für deine äußerst nahe leseweise. dein pfad identifiziert ziemlich haargenau das gemeinte, das identisch ist mit der intention des autors und auch der intention des textes. du berührst sie beide.
@perry ja, mit deiner annäherung, würden die silberblätter möglicherweise besser in den text passen, aber wie findefuchs es erspürte, sollen die mondviolen keine silbrige hoffnung tragen.
vielen dank für euer annähern und das dalassen euer gedanken und bilder zu diesem "ich lüge".
lg rivus
Zuletzt geändert von rivus am Sa 10 Aug, 2013 00:25, insgesamt 1-mal geändert.
-
rivus
- Moderator
-
- Beiträge: 3058
- { IMAGES }: 0
- Registriert: Sa 27 Sep, 2008 10:19
- Wohnort: Am Rand der Welt
- Eigene Werke
Zurück zu Wundertüte
Wer ist online?
Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 5 Gäste
|
|