Für alle Gedichte, die zwischenmenschliche Beziehungen behandeln - mit Ausnahme der Liebeslyrik

zurück

Beitragvon i.z. » Fr 26 Sep, 2008 11:47


verbinde uns
starr und fest
fast wie wolken
die an dem strich
der sonst mich
träumen lässt
doch nicht heute
sich der böe
beugen bis ich
über stein und flur
und wind von west
verwehe
"Bunt ist das Leben und granatenstark. Volle Kanne, Hoschis!"
Abraham Lincoln
i.z.
Etabliert
Etabliert
 
Beiträge: 112
Registriert: Mo 15 Sep, 2008 21:22
Eigene Werke
 

Re: zurück

Beitragvon Friederich » Fr 26 Sep, 2008 20:33


Hallo i.z.,

dein Gedicht leitet den Leser durch seine sich der festen Substanz entziehende, kohärente Bildlichkeit, lässt einen die Flüchtigkeit und den Wunsch nach Halt erleben und hinterlässt doch ein Grundrätsel, das den Text irgendwo zwischen angenehm deutungsoffen, fast hermetisch und einen feinen Hauch zu wenig greifbar positioniert.

Das lyrische Ich beginnt mit seinem initialen Imperativ an ein im Verborgenen bleibendes Gegenüber seinen Appell, der im Folgenden das gesamte Gedicht konstituiert. Das Gegenüber deute ich hier als die eigentlich Motivation des Appells - als Hoffnung, eine Starre der Flüchtigkeit und einem drohenden Auseinanderfallen entgegensetzen zu können.

Ein lyrisches Ich wünscht sich eine stärkere Verbindung zu einem Gegenüber, die anhand der losen, ja fast nebelhaften Verbindung zwischen Wolken an einer Art Wetterscheide metaphorisiert werden. Die Wolken beugen sich einer Kraft, schlagen eine gemeinsame Richtung ein. Ein dies beobachtendes lyrisches Ich verfließt dabei, flieht. Dieses sonst übliche Fluchtverhalten, eine durchaus automatisierte Handlung, wird ("doch nicht heute", Z.7) gebrochen. Inmitten flüchtiger Verse wird dieser Bruch, oder vielmehr die Hoffnung auf einen solchen, widerum flüchtig, ja vage. So passt sich die Flüchtigkeit der Hoffnung auf Festigkeit an und macht den Widerspruch glaubwürdig.

Was mich am Text stört ist das Wort "Strich". Der Reim wirkt etwas erzwungen und das erwähnte Wort fällt - für mich nicht inhaltlich motiviert - aus der Ebene bedeutungsschwererer Worte heraus. Die einzige Begründung für den Reim wäre, dass das Gegenüber, das durch die Inversion in Zeile 5 (für mich durch den metrischen Bruch als solche erkennbar) implizit als träumend erwähnt wird, jetzt im Gegensatz zum lyrischen Ich ins Träumen geraten ist - was vielleicht als Ansatzpunkt des ganzen Appells dient. In diesem Fall würde ich trotzdem das Wort und den Reim überdenken.

Was mir dagegen sehr gefällt ist, wie deine Sprache die vielfach angesprochene Flüchtigkeit unterstreicht. Dieser verhilfst du vor allem am Ende durch die Alliteration aus Frikativen, zur Geltung zu kommen. Die Alliteration "Böe" und "Beugen" ist auch gut gesetzt, während du darüber hinaus zu viel des Guten verwendest. "Fest wie Wolken" ist nicht nur insgesamt als Alliteration zu viel, sondern passt inhaltlich auch nicht besonders, da du mit "fest wie Wolken" ja aus inhaltlicher Sicht einen Zusammenhang aufbaust, dessen Widersprüchlichkeit nicht durch einen alliterativen Zusammenhang geschwächt werden sollte, da du so die Verbindung von Widersprüchlichem auf der Ebene des Gehalts und der Betonung der Widersprüchlichkeit auf der Ebene des Signifikanten weniger wahrnehmbar machst.

Trotzdem vor allem durch die leichte Sprache und den subtil besprochenen Wunsch ein lesenswerter Text.

Gruß, Friederich
L'avenir, on ne l'attend pas comme on attend le train. L'avenir, on le fait. (Georges Bernano)

Friederich
Friederich
Stammuser
Stammuser
 
Beiträge: 508
Registriert: Sa 13 Sep, 2008 20:33
Eigene Werke
 

Re: zurück

Beitragvon i.z. » Sa 27 Sep, 2008 16:49


Hallo Friederich,

ich danke für die detailierte und arbeitsaufwändige Auseinandersetzung mit meinem Gedicht.
Zunächst möchte ich anmerken, dass du den "strich" meines Erachtens zu weit in die Metaphorik einbettest. Sicherlich ist die Interpretation dem Interpreten überlassen, doch meine ich, dass du bei ihm von deiner Interpretationshypothese abweichst, insofern du keinen Bezug suchst zu Vorhergehendem und Nachfolgendem. Ihm kommt intentionell nämlich größere Bedeutung zu, als die Bildung des Reims allein. Dieser wiederum existierte in der übersprünglichen Fassung noch gar nicht, da statt "strich" "linie" stand. Das war klanglich aber derart schrecklich, dass ich was unternehmen musste. Der Reim soll den Lesefluss erhöhen, da dieser hier eine entscheidende Rolle spielt, umarmt vom Reim "fest - west", um eben die von dir angesprochene Flüchtigkeit und Vergänglichkeit zu suggerieren. Ich denke über deine Anregungen nach, bin mir aber nicht sicher, ob ich es so ändern kann, dass es noch immer den gleichen Effekt erzielt.

Weißt du, dieses Gedicht ist eine Art Markenzeichen von mir geworden. Ich schreibe es auf Postkarten und in Poesiealben. Es ist, in jedem Wort, ganz und gar mein Gedicht. Ich habe kein weiteres, das mir soviel bedeutet. Auch deswegen bin ich sehr froh, dass du es keinesfalls leichtfertig behandelt hast. Das wäre bei dir ohnehin nicht zu befürchten gewesen, schließlich habe ich dich noch nie leichtfertig kommentieren sehen.

Grüße,
i.z.
"Bunt ist das Leben und granatenstark. Volle Kanne, Hoschis!"
Abraham Lincoln
i.z.
Etabliert
Etabliert
 
Beiträge: 112
Registriert: Mo 15 Sep, 2008 21:22
Eigene Werke
 

Re: zurück

Beitragvon Pjotr » So 28 Sep, 2008 19:40


Das Gedicht liest sich wie barfuss über Glasscherben laufen.
Was hier beschrieben wird (Weite Flur, Horizont, Wind) sollte aber doch entspannt, vielleicht ein bischen melodramatisch beschrieben werden.
Auf mich wirken Form und Inhalt völlig voneinander losgelöst.


Mit freundlichen Grüßen,

Pjotr
Pjotr
Neu
Neu
 
Beiträge: 8
Registriert: So 28 Sep, 2008 19:30
Eigene Werke
 

Re: zurück

Beitragvon i.z. » Mo 29 Sep, 2008 10:42


Versuch, schneller zu lesen. Der Fluss ergibt sich mit dem Ignorieren der Zeilenumbrüche.
Außerdem geht es inhaltlich weit über eine einfache Landschaftsbeschreibung hinaus, was die Kohärenz der Form in einen anderen Winkel rücken dürfte.

Grüße,
i.z.
"Bunt ist das Leben und granatenstark. Volle Kanne, Hoschis!"
Abraham Lincoln
i.z.
Etabliert
Etabliert
 
Beiträge: 112
Registriert: Mo 15 Sep, 2008 21:22
Eigene Werke
 

Re: zurück

Beitragvon cube » Sa 04 Okt, 2008 17:22


hallo nochmal.
nach mehrmaligem lesen und dem ausprobieren verschiedener lesarten gefällt mir das ganze ziemlich gut.
der text fliesst mit zunehmender geschwindigkeit dahin, bis er zum ende verweht. dieses offengelassene mag ich thematisch, aber auch die bilder gefallen mir, es ist, als streife ich sie beim lesen, quasi im vorbeiflug.
das passt gut zu der lockeren stimmung. dein tipp des schnelleren lesens hat mir da geholfen mich hineinzufinden. ein gedicht mit bedienungsanleitung? :D
die ersten zwei zeilen sind dem völlig entgegengesetzt, sie könnten für mich aus einem anderen gedicht kommen. machst du sowas öfter? vielleicht ist es ja intendiert, dass du den leser erst mal aufschrecken willst.
naja, wie auch immer, ich baue das mal mit ein: es ist als würde man über einen berg klettern (die ersten beiden verse) um danach mit schwung ins tal hinunterzurodeln.
bis dann
cube
cube
Etabliert
Etabliert
 
Beiträge: 364
{ IMAGES }: 0
Registriert: So 14 Sep, 2008 08:31
Wohnort: Hamburg
Eigene Werke
 

Zurück zu Zwischenmenschliches

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 2 Gäste

cron