Für alle Gedichte, die zwischenmenschliche Beziehungen behandeln - mit Ausnahme der Liebeslyrik

Missverständnis

Beitragvon moon » Do 04 Feb, 2010 14:06


Aufgekühlt und abgewärmt
im Hochofen verbrannt,
überwühlt und aufgeredet
hochoben, verdammt
nochmal: verdammt
sind unsere Blutbahnen,
können wenigstens
Anstand halten
zur Sonne hin
gerichtet.
[size=85:2xjb9d7p]Vince: Hey Howard, what will your last words be?
Howard: I'll probably just do some poetry. What will yours be?
Vince: I'll probably just swear my tits off.
(Noel Fielding, Julian Barrat)[/size]
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Re: Missverständnis

Beitragvon Neruda » Mi 10 Feb, 2010 22:11


Hey moon,

ich finde dein Text enthält einige interessante Stellen, ist aber im Großen und Ganzen noch nicht ausgereift.
Erstmal gefällt mir deine Art und Weise Zeilenumbrüche zu setzen im Allgemeinen nicht so gut. Mir ist auch schon bei anderen Texten von dir aufgefallen, dass du oft Zeilenumbrüche setzt, wo meiner Meinung nach keine nötig wären. Ich weiß ja nicht, warum du sie setzt. Machst du das aus ästhetischen Gründen? Die Texte sehen ja formmäßig alle relativ gleich aus. Ich finde aber, man sollte mehr darauf achten wo Zeilenumbrüche einen Sinn ergeben, als darauf damit eine gewisse Form entstehen zu lassen. Vor allem wenn die Form für den Text keine Rolle spielt.
Das Paradoxon in der ersten Zeile dieses Gedichtes erschließt sich mir irgendwie nicht so ganz. Was willst du damit ausdrücken? Vor allem im Zusammenhang mit der zweiten Zeile ergibt das für mich keinen Sinn. "im Hochofen verbrannt" und trotzdem "aufgekühlt und abgewärmt"? Zu der heißen Umgebung eines Hochofens passen die Adjektive kühl und warm meiner Meinung nach einfach nicht so gut. Vielleicht kannst du mir ja erklären was du mit der Stelle ausdrücken wolltest.
"überwühlt und aufgeredet" hingegen gefällt mir in Kombination mit dem Hochofen gut. Ich assoziiere damit irgendwie das Wühlen in Asche, der Versuch aus dem Verbrannten noch etwas rauszuholen. Das "hochoben" in der nächsten Zeile erschließt sich mri dann wieder nicht so ganz weil ich keinen Bezug herstellen kann, weder zur vorhergehenden noch zur nachfolgenden Zeile. Das ist meiner Meinung nach überflüssig und könnte gestrichen werden.
Danach kommt dann meine Lieblingsstelle. "verdammt/ nochmal:verdammt" liest sich ausgesprochen gut und vermittelt mir sehr viel Verzweiflung und Wut. Den Zeilenumbruch bei "zur Sonne hin/ gerichtet" finde ich auch sehr gelungen. Ich mag die dadurch entstehende Mehrfachdeutbarkeit.
Insgesamt habe ich aber das Gefühl das Gedicht ist auf der Bildebene nicht ganz stimmig. Ich mag es immer lieber wenn Motive und Bilder wieder aufgenommen werden und es sowas wie einen roten Faden gibt. Der Hochofen, die Blutbahnen, die Sonne; das wirkt alles etwas zusammengewürfelt. Ich würde dir den Tipp geben beim Schreiben eines Gedichts mehr darauf zu achten, dass es in sich stimmiger ist.
Inhaltlich gesehen denke ich, es geht um ein lyr.Ich und ein lyr.Du, die sich aneinander die Finger verbrannt haben, vielleicht nicht das Gleiche voneinander wollten und zu spät noch versucht haben das Ganze mit Worten und Taten wieder in die richtige Bahn zu lenken. Am Ende versuchen sie nur noch mit gehobenem Kopf ("wenigstens Anstand halten") besseren Tagen entgegen zu gucken ("zur Sonne hin"), obwohl sie wissen, dass sie "verdammt sind" bzw. dass es keinen Ausweg mehr gibt ("hin/ gerichtet").
Stellenweise hat mir dein Text wie gesagt wirklcih gut gefallen, aber die Gesamtkomposition holpert noch etwas.

Lg, Kim
"...and the poets are just kids who didn't make it." -Fall Out Boy-
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Re: Missverständnis

Beitragvon Franz » Do 11 Feb, 2010 11:20


Tagchen moon,

genau wie oben schon zur Sprache gebracht, habe auch ich so meine Probleme mit deinem Text,
was natürlich nicht davon ablenken soll, dass er echt gute Passagen hat. IM Großen und Gnazen überwiegt bei mir die Neugier, was man denn aus deinen Zeilen herausholen kann.
Ins Auge stechen tut hier der Titel, der in Zusammenhang mit dem doch recht 'verdrehten' Inhalt legitimen Boden für sich einnehmen kann. Als Missverständnis nehme ich mir hier mal die Definition frei nach Wikipedia, die es aber ganz gut trifft: "den Unterschied zwischen dem, was auf der einen Seite der Sender
gemeint und auf der anderen Seite der Empfänger verstanden hat." NImmt man sich nun diesen Sachverhalt, so könnte man z.B. schon behaupten, dass es sich in deinen Zeilen um etwas Zwischenmenschliches handelt (ganz davon abgesehen, dass dies die Kategorie hier im Forum schon preisgibt).
Aus dem Paradoxon im ersten Vers werde ich auch nicht recht schlau, muss aber zugeben, dass die Verschachtelung hier mehr als nur zum nachdenken anregt. Wenn ich etwas aufwärme, bzw. abkühle, dann möchte ich hier Warmen, bzw. im Kalten meinen Soll-Zustand erreichen und das unter der Annahme, dass der vorherige Zustand als negativbehaftet im Raume steht. Nimmt man sich nun das eben Beschriebene anhand deines Textes, so lässt sich hier irgendwo interpretieren, dass aufgekühlt z.B. aus dem warmen ins Kalte möchte, wobei das vermeintlich positive Warme hier als negativ ausgelegt werden könnte, denn der Soll-Zustand ist hier nun
das Kalte. Etwas verrquert an den Mann gebracht, aber ich hoffe du verstehst was ich da palavere. Im zweiten Fall verhält es sich wohl genauso: das Abgewärmte findet seinen Soll-Zustand im Warmen und war vorher kalt. Das vorher Kalte würde demzufolge als negativbehaftet fungieren, denn man meint ja 'normalerweise', dass ein Soll-Zustand immer erreicht werden möchte und wenn ich etwas erreichen möchte, dann scheint es für mich von Vorteil zu sein und also positivbehaftet. Das Abgewärmte finde ich hier nicht so gut gelungen, auch wenn man sicherlich erst schauen sollte, wie es sich im Rest des Textes zum Besten gibt. Das Aufgekühlte kommt m.E.n. als lupenreines Paradoxon des Weges, da hier 1:1 verdreht wird. Im Falles des abgewärmt aber möchtest du trotz des vermeintlichen Paradoxon aus dem Kalten ins Warme, was nun nicht ganz die Waage zum Aufgekühlten hält. Wenn ich hier nen Knick in der Synapse habe verbessere mich bitte, denn langsam
blicke ich auch nicht mehr durch.- grinsend am Rande...
den Hochofen im zweiten Vers könnte man hier z.B. als Höhepunkt eurer Liebe titulieren. Klingt mega schwülstig - nun gut - hat aber durchaus auch einen hocherotischen Touch inne. Das überwühlt und aufgeredet im dritten Vers passt mir persönlich recht gut zum vorherigen Vers.- Neruda fand dies ja auch schon. Überwühlt kann hier z.B. meinen, dass mal einfach zu oft im Ofen, quasi in der Asche, quasi in euren 'Resten' rumgewühlt wurde. Aufgeredet geht ebenfalls in diese Richtung und zusammanfassend wolltet ihr oder du etwas lieber ruhen lassen!? Der vierte Vers >>hochoben, verdammt<< schließt diesen Kreis m.M.n. einmal mehr, denn wie schon vorher zu lesen ist, wolltet ihr eure Beziehung, Liebelei, oder was auch immer lieber ruhen lassen, kamt bisher aber nicht dazu.
Durch das hochoben verdammt zielst du wohl auf zukünftiges ab und gibst mir als Leser die Info, dass sich an diesem Dilemma sobald nicht viel ändert. Die verdammten Blutbahnen gehen für mich als 'füreinander-geschaffen' ins Rennen, was zumindest einer von euch beiden nicht so dufte findet: >>verdammt / nochmal: verdammt<<. Naja, und um hier zum Schluss zu kommen

>>können wenigstens
Anstand halten
zur Sonne hin
gerichtet

kann man wenigstens Stil bewahren und das Beste draus machen. Zur Sonne hin gerichtet kann auch als positiv in die Zukunft schauen bedeuten, was hier aber auch nur gehüpft wie gesprungen ist.
Rein der Form halber habe ich nicht viel zu bekritteln. Ja, du hast zum Schluss hin schon eine Menge Umbrüche. ich persönlich sehe aber auch nicht viel Sinn darin die Zahl der Umbrüche zu minimieren. Fein gesetzt finde ich aber

Aufgekühlt und abgewärmt
im Hochofen verbrannt,
überwühlt und aufgeredet
hochoben, verdammt
nochmal: verdammt

sind unsere Blutbahnen,
können wenigstens
Anstand halten
zur Sonne hin
gerichtet.


was von Neruda ja auch schon beklatscht wurde.
Im Großen und Ganzen finde ich diesen Text nicht gar nicht mal so schlecht. Ich finde eigtl. nichts großartig negatives, bzw. Passagen die hier strange aus der Reihe tanzen. Sicher sind die Umbrüche auch anders machbar, aber ich finde, von der Optik und Lesbarkeit abgesehen, ergibt sich daraus nicht viel neues für das BiId an sich!
Kein Knüller, denn dazu sind mir die Umbrüche / die Bilder dahinter dann doch zu geradlinig, aber schlecht finde ich ihn keineswegs!
Gespannt bin ich auch auf eine Erklärung zum ersten Vers, denn dieser wirft immernoch ein Fragezeichen auf!

*franz
[size=85:1uy1zthl]>> [/size]Jetzt kann man schreiben was man will

[size=85:1uy1zthl]Oskar Pastior *1927 †2006[/size]
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Re: Missverständnis

Beitragvon moon » So 14 Feb, 2010 13:51


Hi Neruda + Franz,

erstmal möchte ich mich bei euch beiden für die interessanten Ausführungen sowie für die kritischen Worte bedanken. Jede Menge feedback, das ist für den Autor natürlich immer gut, egal wie es ausfällt. Eure ausführlichen Gedanken zum Text habe ich mit großer Spannung gelesen.

Ja, die Stimmigkeit. Es ist ein sehr intuitiver Text, der situationsabhängig, flüchtig entstanden ist. Das führt zwangsläufig zu Unebenheiten in der Kohärenz. In diesem Fall kam mir das wegen des Themas jedoch entgegen bzw. es sprang mich buchstäblich an. Unmissverständlichkeiten ausgeschlossen. Schon die erste Zeile, womit ihr beide ja offensichtlich Probleme hattet, sollte diese müßig erscheinenden, gegenseitigen Bemühungen vermitteln. Franz hat das mit dem „Erreichen des Soll-Zustands“ schon sehr gut getroffen. Hat mich gefreut, das zu lesen, Franz. Das Aufwärmen und Abkühlen innerhalb einer Beziehung, das Silbenspiel steht für die entgegengesetzte Bemühung des jeweils anderen. Dabei kommt es zwangsläufig zu Missverständnissen. Der „Hochofen“ steht hier im übertragenen Sinne. Natürlich übernimmt es semantisch einige Merkmale des „echten“ Ofens, doch steht er hier vor allem für die Lethargie in Zeiten der Harmonie. Ein mit „Höhen“ beheizter Ofen, an dem sich – das hat Kim richtigerweise angesprochen – die Protagonisten schließlich verbrennen. Franz hat es mit einem „Höhepunkt“ umschrieben, eine andere Möglichkeit wäre „Wendepunkt“. Die Passage mit „überwühlt und aufgeredet“ habt ihr übereinstimmend interpretiert. War sowohl interessant als auch inspirierend zu lesen.

Die „verdammten“ Blutbahnen umschreiben in erster Linie ein in Mitleidenschaft gezogenes Herz-Kreislauf-System. Die zweite Bedeutung von „verdammt“ soll aber auch dafür stehen, dass sich im Laufe der Beziehung „Dämme“ gebildet haben, welche die Blutbahnen nicht zum Überlaufen bringen und den letzten Anstand noch halten können. Der nach dem „Beziehungsbrand“ übrig gebliebene Respekt.

In punkto bewusst gesetzten Zeilenumbrüchen bin ich ganz bei dir, Neruda. Deine Vermutung, ich würde das aus ästhetischen Gründen machen, hat mich etwas stutzig gemacht, da ich mich auch sonst als intuitiven, spontanen Schreiber bezeichnen würde, der die Form stets dem Inhalt unterordnet und nur dann mit formalen Stilmitteln (wie z.B. dem Enjambement) arbeitet, wenn sie sich ergänzend zum Inhalt verhalten. Hier sind die von Franz hervorgehobenen Umbrüche bewusst gesetzt, die restlichen auf Grund von intendierten Lese- und Gedankenpausen. Den Text als „nicht ausgereift“ zu beschreiben ist legitim. Rein formal ist er sicherlich verbesserungsfähig. Das Streichen des Wortes „hochoben“ hingegen halte ich nicht für eine gute Idee, da es sich einerseits phonetisch an den „Hochofen“ anschließt und gleichermaßen das Bild von „Höhen“ in der zwischenmenschlichen Beziehung weiterführt.

Freut mich, dass der Text zum Nachdenken angeregt hat. Das ist – für mich – eine elementare Motivation zum Texten.

moon
[size=85:2xjb9d7p]Vince: Hey Howard, what will your last words be?
Howard: I'll probably just do some poetry. What will yours be?
Vince: I'll probably just swear my tits off.
(Noel Fielding, Julian Barrat)[/size]
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