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Für alle Gedichte, die zwischenmenschliche Beziehungen behandeln - mit Ausnahme der Liebeslyrik
von tja_sager » Sa 21 Dez, 2013 22:58
Du wolltest gleissend heiss die Sterne für mich pflücken. Sie sollten auf Befehl aus deinem Zuckermund in meinem trauten Schoss, zu anthraziter Stund, sich vor mir niederknien und meinen Nacken schmücken. Dein Atem dicht bei mir, berauschend, voller Tücken Die Lippen scharlachrot, die Zungen im Verbund Die Berge kahl und nackt, die Hügel weich und rund der Wahn im meinen Bauch, der Tau auf meinem Rücken. Ein Jahr, ein Vogelflug. Ich seh schon wie es dämmert. Ein Regentag erwacht. Der Specht in mir, der hämmert. Nur Rauch in meinem Bauch. Ein Brett in meinem Bett. Ich sehe keinen Stern. Ich seh nur blaue Flecken. In deinem faulen Mund, dein Atem soll verrecken. Verlass mich bitte jetzt. Komm, bitte, sei so nett.
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von Perry » Sa 28 Dez, 2013 20:15
Hallo tja-sager, so ist, wenn die Ernüchterung eintritt. Gut gefällt mir die Umdeutung des erotischen G-Punkts zum trennenden Geh-Punkt. Konstruktiv scheinen mir einige Formulierungen etwas schief geraten zu sein: "Du wolltest gleissend heiss die Sterne für mich pflücken. Sie sollten ... sich vor mir niederknien und meinen Nacken schmücken." -> das würde ich gerne mal sehen. "Nur Rauch in meinem Bauch." -> damit könntest Du medizinisch eine Sensation werden. "dein Atem soll verrecken." -> dazu müsste er erst einmal leben. Ich weiß, dass da einiges metaphorisch gemeint ist, aber der reale Sinn sollte dennoch nicht ganz auf der strecke bleiben. LG Perry
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von Charlotte Fondraz » Sa 28 Dez, 2013 22:03
Hallo Perry und tja-sager, nur ganz kurz: Der Wahn im Bauch, der sich in Rauch umwandelt: finde ich ein eindrucksvolles Bild, auch der Atem, der verrecken soll (das gibt's doch, "der lebendige Atem" oder? Sonst aber auf jeden Fall als Sinnbild des Lebens; Odem einhauchen usw.) gefällt mir. Die Sterne von hinten durch die Brust ins Auge: Kommt bei mir auch so an, wie bei Perry. Grusz Charlotte
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von kokoschanell » So 29 Dez, 2013 15:19
schließe mich meinen Vorrednern in einigem an. Was ich sehr gut finde ist die Wandlung von Top-Erotik / wobei die Metaphorik wie schon angesprochen noch einmal überdacht werden sollte)zum Bruchgedicht. Auch der Geh-Punkt im doppelsiinigen Sinne klasse. Was mich persönlich im Gegensatz zu den anderen noch stört, ist der Hass, mit dem der Geh-Punkt kommt. Verrecken soll sie , die Alte, dass heißt es. Warum soll ein Mensch gleich verrecken, wenn er als Partner nicht mehr passt? Das ist nicht schön. Hingegen die Aufklärung des GEH-Punktes ist super.
Wird aber für mich durch dieses Verrecken, was ja einem Verfluchen im Werk gleichkommt, ausgehebelt. Stört das Niveau. Subjektiv empfunden mit lG von koko
Vielleicht stünde es besser um die Welt, wenn die Menschen Maulkörbe und die Hunde Gesetze bekämen. G.B. Shaw
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von rivus » Mo 30 Dez, 2013 13:56
Hallo Tja_Sager!
Skizze:
Dein Geh-punkt zelebriert ein Versprechen, ein „Eins-sein“, auf besondere Weise zu erleben. Der versprochene Zauber fließt, doch bleibt er nur versprochen, ein Wollen und Sollen, das in meiner Leseweise nicht real vollzogen wird, sondern nur verträumt und surreal beschrieben wird. Der Knackpunkt ist tatsächlich die Sollbebilderung. Die ist vielleicht aber gerade vom Autoren so außergewöhnlich gesteigert worden, weil es eine Wunschvorstellung bleibt? Mit diesem Ansatz können die eingebildeten Sterne, wie Märinnen oder Sternbildnerinnen, kniend, den Nacken des Lyr-Ich schmücken. Hingegen lese ich aus dem Ausdruck „voller Tücken“ im ersten Vers der zweiten Strophe ein Misstrauen heraus, das dafür spricht, dass es zu einer Vereinigung kam, die an das Herbeigesehnte und Herbeigehoffte nicht heranreichte, ja, die von Vornherein durch zu hohe Erwartungen und vielleicht schon zuvor erlebte Enttäuschung belastet war. Immerhin finde ich in der zweiten Strophe eine Verdichtung des erotischen Erlebens, die durch die Kontrastierung verschiedener Bilder noch verstärkt wird. „Die Berge kahl und nackt“ versus „die Hügel weich und rund“ zeugen von einem Begehren Ambivalenz zu überwinden, die sich jedoch sogar ins Wahnhafte „Wahn in meinem Bauch“ und in poetisierte Angst „Tau auf meinen Rücken“ erhöht. Dieser Zustand erhebt dennoch die Beziehung in einen rauschähnlichen „Verliebt-sein-Modus“. Das „Ein Jahr, ein Vogeflug“- Gefühl hält jedoch nicht länger an. Der Abschwung und die Bodenlandung des Gefühls wird vom Lyr-Ich aber sehr extrem antizipiert. So gerät das Lyr-Ich zu einem extremen Lustverlustempfinden „Nur Rauch in meinen Bauch. Ein Brett in meinen Bett.“ Das in Strophe vier Geschilderte schließt eine nunmehr einander seelischen Schmerz und körperliche Wunden zufügende Beziehungswirklichkeit nicht aus. Und obwohl das Lyr-Du bösartig abgewertet wird, kann sich das Lyr-Ich nicht wirklich trennen. In diesem Kontext wandelt sich der umschriebene G-Punkt zum wirklichen Geh-Punkt, zur Aufforderung diese unselig gewordene Beziehung zu lösen. Die bisher einseitig vorgenommene Schuldzuschreibung ist jedoch aus Sicht des Lesers der eigentliche Geh-Punkt, der den G-Punkt zu einem Ort verratener Erwartungen verwandelte.
Der Text ist in meiner Leseweise ein Beispiel dafür, was Ambivalenz in einer Beziehung anrichten kann. Sie kann in ihrer egomanischen Ausprägung letztendlich zum Gegenteil von Lebensfreude und Lebenslust führen.
LG der Rivus
Zuletzt geändert von rivus am Mo 30 Dez, 2013 13:58, insgesamt 1-mal geändert.
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