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der seher

BeitragVerfasst: Di 08 Dez, 2009 21:34
von Perry
wenn kein feuer
vom himmel fällt
flüsse nicht
überfluten

keine rote macht
brandschatzt
seuchen das vieh
nicht verderben

die welt nicht
mit geächze untergeht
die dinge nicht wie
vorausgesagt eintreten

liegt die schuld
nicht bei ihm
eine andere prophezeiung
hat seine revidiert

Re: der seher

BeitragVerfasst: Mi 09 Dez, 2009 18:54
von Friederich
Hallo Perry,

durchaus will mir dieses Gedicht gefallen, weil es einige sehr lesenswerte Elemente enthält.

Der mögliche Kritikpunkt des sich Wiederholens im Gedicht wird für mich dadurch entkräftet, dass eben die Aufzählung nicht erfolgter Katastrophen und apokalyptischer Szenarien deren Vielzahl ad absurdum führt. Genau dieses Absurde findet seinen Höhepunkt, indem die offensichtliche Falschheit vieler Prophezeiungen schlicht daher zu rühren scheint, dass sie revidiert wurden.

Qualität gibst du dem Text, indem du einen etwas anachronistischen Wortschatz verwendest und damit nicht nur Bezug zur Historie der Prophezeihungen wie Nostradamus nimmst, sondern auch deren vermeintliches "nicht mehr in die Zeit passen" thematisiert (was natürlich durch die Hauptaussage treffend wieder negiert wird).

die welt nicht
mit geächze untergeht
die dinge nicht wie
vorausgesagt eintreten



Hier stören mich die letzten zwei Verse, da sie weder ein richtig effektvoller Registerwechsel noch im vorangegangenen anachronistischen Stil gehalten sind. "Eintreten" ist hier so technisch, so deskriptiv - wäre es nicht eine Idee, so etwas wie "nichts so richtig abgehen will" als Jugendsprache zu verwenden (nur ein, konkret nicht passender, Vorschlag) oder aber "die dinge ihren gewohnten Lauf nehmen" oder so, um dann in der letzten Strophe einen noch stärleren Bruch zu haben?
Richtig stark aber ist für mich, dass der "Prophet" nur als Personalpronomen auftritt, was ihn einerseits als nichts besonderes erscheinen lässt, auf der anderen Seite aber den Titel des Gedichts mit einbezieht.

LG, Friederich

Re: der seher

BeitragVerfasst: Mi 09 Dez, 2009 19:13
von Perry
Hallo Friederich,
du hast meine Intention gut herausgelesen. Anlass für den Text war der Film 2012 und ein kürzlicher Besuch der Zeugen Jehovas an meiner Tür.
Wielange wird dieses Spiel mit den Weltuntergangsprophezeiungen wohl noch weitergehen? Seit der Antike gab es mittlerweile schon eine Vielzahl solcher Vorhersagen und 2012 ist nicht der letzte Termin, an dem die Erde untergehen soll.
Was die Sprache anbelangt, hast du den bewusst anachronistischen Stil angesprochen, mit dem Spruch "die dinge nicht wie / vorausgesagt eintreten" wollte ich einen Bogen in die Jetztzeit schlagen. Ich überlege mal, ob ich etwas Griffigers dazu finde.
Danke für deinen Vorschlag dazu und LG
Perry