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Versteinerte Worte: Versuch über einige Teile moderner Lyrik

Beitragvon wüstenvogel » Di 27 Dez, 2011 21:51


Viel zu oft
mühsames Orientieren
in Wort-Stein-Brüchen
häufig in Gefahr
sich zu verlierern
in nichtssagenden Begriffen
die nichts mehr be-greifen
berühren
beschreiben
nur noch als steinerne Worte
durch die Zeilen treiben.

Steinblumengewächshäuser
eingemauerte
abgeschottete
unerreichbare Geschichten
viel zu schnell verwelkt
ohne je geblüht zu haben.

Bedeutet "dichten" heute
so lange zu ver-dicht-en
bis alle Worte
nach außen
und nach innen
abge-dicht-et
er-starr-t
ver-fest-igt sind
zu Blumen aus Stein
ohne jede Bezieung
zum lebendigen Sein?

Oder soll Dichtung
auch
noch immer
anregen
bewegen
anrühren
ergreifen
Brücken schlagen
Gedanken
Gefühle
Eindrücke
Stimmungen ausdrücken
den Menschen
die Natur
das Leben
in den Mittelpunkt rücken?
Zuletzt geändert von wüstenvogel am Sa 31 Dez, 2011 17:26, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Versteinerte Worte: Versuch über moderne Lyrik

Beitragvon rivus » Mi 28 Dez, 2011 03:59


hallo wüstenvogel,
nur fragmentales:

ja und nein, soviel der ambitendenz in mir. vieles hat seinen platz, sein dasein, eine berechtigung. mir ist es eigentlich egal, ob ein gedicht verdichtet ist oder nicht. spricht es mich persönlich an, kann es auch aus wortbrüchen & wortsperren kommen, kopf- oder gefühlslastig oder eben ganz einfach oder stark verdichtet sein.

mhmm, das mühsame, mühselige, auch das gebiert manchmal einzigartiges. vorweg, moderne lyrik ist doch nicht nur versteinert, sondern im gegenteil sehr lebendig und experimentierfreudig, auch ein wegbereiter für grenzüberschreitungen oder grenzspiegelungen. sie macht mitunter jedoch mühe, wenn sie sehr intellektuell oder sehr komplex daherkommt, jedoch hat sie, meiner meinung nach, einen sehr lebendigen anspruch an sich selbst, manchmal nimmt sie sich sogar auf die schippe oder anleihen an klassische vorfahren oder klassische avantgarden xD! es gibt immer auch ein kampf der formen, des impressionistischen und expressionistischen, des surrealen und realen, des magischen und des reduzierten u.s.w. u.s.f.

was ich meine, dein versuch über moderne lyrik ist aller ehren wert, aber für mich zu sehr im fokuss der versteinerten worte. auch das ist legitim. möglicherweise legitimieren deine ganz konkreten erfahrungen, deinen versuch sich der sogenannten modernen lyrik anzunähern, aber sie grenzen, für meinen geschmack, auch sehr ein bzw. aus. (es gibt sagenhaft viele facetten, da könnten die literaturexperten sicherlich eine menge mehr dazu sagen)

aber ja, dein text beschreibt etwas, was tatsächlich auch mit manchen texten passiert, die einem am ende nichts mehr sagen, jegliches sinnen und fühlen ausgemerzt haben und auf eine weise verdichten, dass die sinne kapitulieren und der verstand einspringen muss, um zu verstehen und selbst dieser ist mitunter überfordert. dennoch gibt es aber auch immer texte, die wir leser erst später in seiner ganzheit erfassen ... und gekonnt verdichten ist eine kunst, die nunmal nur wenige so beherrschen, dass sie sowohl otto normalverbraucher als auch excellente literaten ansprechen ...

aber ja, der ortungsversuch deines textes, stellt sehr existentielle fragen für die lyrik. ich meine, dass was du mit deinem text in der letzten strophe ausdrückst, ist auch ein anliegen der modernen lyrik, die sich jedoch in jeder zeitgenossenschaft, auch immer wieder neu erfinden muss, um spannend zu bleiben.

soweit ganz kurz

lg rivus
Zuletzt geändert von rivus am Mi 28 Dez, 2011 04:10, insgesamt 3-mal geändert.
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Re: Versteinerte Worte: Versuch über moderne Lyrik

Beitragvon wüstenvogel » Mi 28 Dez, 2011 17:15


Hallo rivus,

ich habe einen Fehler gemacht, der zu unnötigen Missverständnissen führt:
Der Titel muss heißen: Versteinerte Worte - Versuch über Teile der modernen Lyrik.
(Vielleicht kann man das ändern.)
Natürlich meine ich nicht die gesamte Bandbreite der modernen Lyrik
(der ich mich auch zuordnen würde), sondern "nur" einen bestimmten Teil.

Was du in deinem zweiten Abschnitt sagst, kann ich alles unterschreiben. Du hast einige Aspekte
des Entwickulngsprozesses moderner Lyrik trefflich beschrieben.

Im Frühjahr habe ich mir das "Jahrbuch der Lyrik 2011" (DVA) gekauft.
Schon nach den ersten Seiten habe ich gemerkt, dass ich mit dieser Art von Lyrik
nichts anfangen kann (Vielleicht bin ich ja einfach zu blöd).
Da wimmelt es von Wortungeheuern, von Wort"schöpfungen", von Wortbrocken,
die (immer nur für mich) unverdaulich sind.
Als Reaktion auf dieses Buch ist dieses Gedicht entstanden.
Die Worte in diesen Gedichten habe ich wie Steine empfunden -
mag sein, dass sie einmal gelebt haben, doch mir schienen sie hart wie Stein.

Was du am Anfang gesagt hast, ist für mich der zentrale Punkt: Ein Gedicht muss mich ansprechen!
Es gibt viele "ansprechende" Werke moderner Dichtkunst - Jedes Gedicht muss (vom Leser) einzeln betrachtet werden,
ob es gereimt ist oder nicht, konkret oder abstrakt, ist (mir) völlig egal.

Was mich an manchen modernen Gedichten stört, sind die Mauern, die durch eine versteinerte Sprache gebaut werden.

Liebe Gr0ße

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Re: Versteinerte Worte: Versuch über moderne Lyrik

Beitragvon rivus » Do 29 Dez, 2011 08:05


hallo wüstenvogel,
okay. danke für dein aufzeichnen, aufzeigen deines reflexiven textes. du könntest den titel über die ändernfunktion korrigieren.

mhmm, über geschmäcker streiten sich sogar die litgötter. was einem gefällt oder auch nicht, ist wohl immer eine ganz persönliche entscheidung. jeder hat sicherlich auch andere anspruchs- und beurteilungskriterien, die bestimmte arten von texten eine chance geben oder eben auch selektieren. sprachliche wahrnehmungen und sprachliche empfindsamkeiten sind gott sei dank verschieden ausgeprägt, sodass für jede textgeburt auch dankbare empfänger gibt, die textgenesen in die eine oder andere richtung zulassen, die einem bestimmten lesekreis gefallen. ich oute mich hier auch als fan für wortneuschöpfungen.


man liest sich.

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