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Krebs

BeitragVerfasst: So 21 Apr, 2013 08:33
von larissa
Mein Bruder hat Krebs.
Das Fremde in ihm wuchert.
Es durchdringt sein gesundes Gewebe, macht ihn krank, todkrank.
Dieses Ding in seinem Körper streut, streut das Unheil mit großzügiger Hand und besetzt ihn, wie ein Tyrann sein Reich.
Das Ungeheuer erobert ihn.
Jeden Tag nimmt er ein Stück mehr von ihm.
Unaufhaltsam.
Ungewissheit plagt: Wird er dieses Monster besiegen können?

Mein Bruder hat Krebs.
Krebs an der Seele.

Re: Krebs

BeitragVerfasst: So 21 Apr, 2013 18:30
von rivus
hallo larissa.


räusp. der text steht für sich, wie gemeißelt. er titel prägniert das unfassbare ganz lapidar. so setzt sich der text fort. der anfang klärt sofort die bezogenheit. hier schildert jemand, der das selbst erst begreifen muss und obwohl der blickwinkel geschärft ist, fokussiert er doch ohnmächtig. hier sind brachiale gewalten im spiel. der tyrannus schert sich nicht um befindlichkeiten. dem betrachter bleibt nur die beobachtung. die befindlichkeit des kranken bleibt außen vor. so berührt es mich, bevor die am schicksal des bruders anteilnehmende frage kommt! hm, ich könnte mir vorstellen, diese frage sogar wegzulassen. und doch steht diese frage für das fragile einordnen eines prozesses, der kaum noch eine umkehr zuzulassen scheint. hier scheint die eindeutige positionierung festgelegt. das beiseitestehenmüssen verortet den beteiligten hart und nüchtern, fixiert ihn regelrecht zur wiederholung seiner feststellung am anfang. und doch ermöglicht dieser pragmatismus einen blickwinkel auf körper und seele und somit die einzige chance des um gefasstheit ringenden geschwisters, die seele des an krebs erkrankten nicht nur zu erfassen, sondern auch auf seinen weg zu begleiten, zu stützen


das erst mal

lg der rivus


p.s.: und ja, beim zweiten lesen finde ich die wahl der feinen schriftzüge als kontrapunktierung des nüchternen gut gewählt. so wird auch das zerbrechliche des pragmatischen transportiert ...

Re: Krebs

BeitragVerfasst: So 21 Apr, 2013 20:15
von larissa
Vielen Dank für den ausführlichen Kommentar. Es ist sehr schön für mich, einmal Rückmeldung für mein "Geschreibsel" zu bekommen.
Intention meines Gedichtes ist es die Depression als Krankheit in den Fokus der Gesellschaft zu rücken, da dieser Krankheit meiner Meinung nach zu wenig Beachtung geschenkt wird. Deshalb stelle ich die Erkrankung zunächst als Krebs dar, um die unumstößliche Ernsthaftigkeit und Tragweite für einen Menschen, der an Depressionen leidet, darzustellen. "Krebs an der Seele" verwende ich also als Synonym für eine andere tödliche Krankheit: Depression.

Re: Krebs

BeitragVerfasst: So 21 Apr, 2013 20:31
von rivus
hi larissa,
ich weiß nicht, als geschreibsel ordne ich diesen text nicht ein, ansonsten hätte er keine empfehlung von mir bekommen. und ja komordibität besteht doch auch zwischen krebs und depression. aber ich lese den text im kontext halt mit dem organischen krebs, auch wenn ich jetzt, mit dem wissen der autorinintention, es auch anders lesen kann.



lg
rivus