Alle Gedichte, die in keine andere Kategorie passen

Bewandtnis

Beitragvon isaban » Mo 15 Sep, 2008 18:12


Bewandtnis



Mir ist fast nie nach Beten.
Ich hasse diese steten
Zweifel. Wiederkäuen, Alltagsnagen,
totgelebte Inhaltsfragen.

Es geht nicht mal ums Lieben.
Was soll ist nicht geblieben,
was bleibt ist eine Wand,
dahinter: braches Land.

Was ich dir bin, was du mir warst,
was ich nie tat, was du vergaßt,
treibt Teufel ein und aus und sticht.

Im bunten Glas, in Blei gefasst,
bricht sich zum Abend hin das Licht
im Fenster meiner Kirche.
isaban
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Re: Bewandtnis

Beitragvon Friederich » Mo 15 Sep, 2008 18:44


Hallo isaban,

ein Text, dessen Lektüre sich durchaus mehrmals lohnt, um ihn auf sich wirken zu lassen, wenn gleich ich nicht auf ein paar Anmerkungen verzichten kann.

Gut gelungen ist dir die Rhythmik des Textes und die in die strenge (nur auf die Strophenzahl bezogenen) Sonettform gepressten Zeilenumbrüche. Etwas bricht buchstäblich, fällt aus einer gewesenen Struktur. Auch der Wechsel vom jambischen zu den längeren, daktylischen Versen passt zum repetitiven, zum nicht mehr als lebendig empfundenen, das das lyrische Ich zum Ende der ersten Strophe hin bewegt.

Die zweite Strophe finde ich formal überzeugend, denn auch hier sehe ich eine Spiel mit der Sprache, ein tristes zwar, aber eines, das den Leser mitnimmt. Die Wand wird zur rhythmischen Zäsur, auf die der Blick in die Ödnis folgt.
Die dritte Strophe ist mir zu aufzählend, was aber vom aufrüttelnden Moment der unerwarteten Verortung des lyrischen Ichs ausgeglichen wird. Am Abend - buchstäblich oder metaphorisch - bricht sich das Licht, entsteht ein Moment des Innehaltens. Die Kirche in ihrer wörtlichen Nennung stört mich hier aber, ist zu direkt, zu explizit, denn die Erwähnung des bunten Fensters lässt einen ja bereits durch die Verbindung zum Anfang diesen sakralen Ort assoziieren. Dennoch wirkt das Innehalten hier und die Kirche steht für etwas existenzielles, was die Schwere des Textes unterstreicht.

Mir gefällt der Text mit Abstrichen gut,

Friederich
L'avenir, on ne l'attend pas comme on attend le train. L'avenir, on le fait. (Georges Bernano)

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Re: Bewandtnis

Beitragvon isaban » Mo 15 Sep, 2008 22:28


Hallo Friederich,
vielen Dank für deine Rückmeldung. Deine Analyse von Form und Inhalt berührt in sehr vielen Punkten meine Intentionen und zeigt mir erfreulicherweise, dass vieles von dem, was ich angelegt habe zu funktionieren scheint. Die Aufzählung im ersten Terzett, ja, ich empfand sie als notwendig, zum Erden und um Stimmung, Nachhallen, Hadern und Zerrissenheit herüber zu bringen, die meiner Meinung nach ohne ein Stück Vergangenheit nicht ganz so ersichtlich gewesen wäre. Und die Kirche, die hoffentlich nicht zu buchstäblich rüberkommt - ich wüsste keine Alternative. Du?

LG, Isaban
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Re: Bewandtnis

Beitragvon Friederich » Di 16 Sep, 2008 16:33


hi isaban,

das mit der kirche habe ich nur angemerkt, um dir rückmeldung zu geben. es kann im gedicht ruhig so stehen bleiben. habe leider auch keine alternative parat, die metrisch passen und qualitativ besser wäre.

gruß,

f.
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Re: Bewandtnis

Beitragvon wa-bash » Sa 27 Sep, 2008 21:40


hallo isaban,

also hier will ich mich meinem Vorredner anschließen, wobei mir die Steigerung des Tempos nach den ersten zwei Zeilen (wahrscheinlich durch die Aufzählung) positiv ins Auge fiel...manchmal hätte ich mir gewünscht das dieser Faden bis in die zweite Strophe weitergeführt worden wäre, ein wenig neugierig halt ;) , komm aber nicht umhin zu sagen das es auch durch den Satzneuanfang sehr gelungen ist. bei den terzetten ist zB auffallend: man liest den Punkt als starke Zäsur hinter "ein und aus und sticht" einfach durch, geht mir jedenfalls so (als wäre er nicht da)...
ich finde die letzte Zeile gelungen, als nachhall..man war zunächst überrascht da man einen reinen Reim erwartet hätte, so bekommt der Vers denke ich die nötige Tiefe..alles in allem hat es mir gefallen

lg fontes
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