Charaktertragödie "Othello oder der Mohr von Venedig"
--- Wohl kein aufmerksamer Betrachter wird sich der eindringlichen Wirkung des Stückes entziehen können, das alle Nuancen menschlicher Emotionen vom aufrichtigen Mitgefühl bis zum tiefsten Abscheu zu wecken imstande ist. Ohne Umschweife führt Skakespeare in die Handlung ein.
Der Erzschurke Jago, Fähnrich des in venezianischen Diensten stehenden maurischen Feldherrn Othello, und ein junger Venezianer namens Rodrigo eilen nachts zum Hause des Senators Brabantino, um ihm Mitteilung zu machen, daß Othello mit seiner liebreizenden Tochter Desdemona heimlich die Ehe geschlossen hat. Jago handelt mit Bedacht. Von dem Mohren bei einer Beförderung übergangen, fühlt er sich gedemütigt und versucht, einen teuflischen Racheplan in die Tat umzusetzen. Er ist sich bewusst, daß Othello ob seiner vielen erfolgreichen Kriegszüge für die Republik Venedig großes Ansehen genießt. Seine Zugehörigkeit zu einer anderen Rasse bedeutet aber eine schwere, für ihn nicht abzuschüttelnde Bürde. Als Schwarzer ist Othello nur ein Mann zweiter Klasse, dem die vornehmen Bürger mit Verachtung begegnen. Das läßt auch an der Reaktion Brabantinos erkennen. Zwar achtet auch er den kriegserfahrenen Helden - als Gemahl seiner Tochter will er ihn aber auf keinen Fall akzeptieren. So klagt er ihn vor dem Dogen der Entführung an. Doch die herbeigeholte Desdemona bekennt sich zu ihrem Gemahl, nachdem Othello mit ergreifenden Worten die Geschichte ihrer Liebe geschildert hat. Der Vater willigt schließlich ein, nicht ohne jedoch seiner tiefen Abneigung gegen die Verbindung, die er als widernatürlich empfindet, mit nachfolgenden Worten Ausdruck:
Ein Mädchen, niemals keck
so still und schlicht von Geist, daß jede Regung
sie schamrot machte; und sie - der Natur
den Jahren, Land, dem Ruf zum Trotz und allem -
verliebt in das, wovor ihr Auge graust!
Nur ein verkrüppelt ungesundes Urteil
glaubt, daß Gesundheit so abirren kann
von allen Regeln der Natur.
Bevor der Doge ein endgültiges Urteil fällen kann, kommt die Nachricht, daß Zypern von den Türken bedroht wird. Man beschließt sogleich, Othello mit einer Flotte dem Feind entgegenzuschicken; Desdemona, Jago und sein Leutnant Cassio begleiten ihn. Auf Zypern setzt Jago seinen teuflischen Plan ins Werk. Desdemonas Liebe bedeutet für Othello die Erlösung aus dem Chaos des sozial Diskriminierten, das er trotz aller Feldherrenerfolge niemals überwinden konnte. Bislang war er immer der Ausgestoßene, der Einsame, mit Unruhe erfüllte Heimatlose, dessen karger Kriegsalltag durch die Liebe der zarten und sanftmütigen Frau mit Wärme und Licht erfüllt wird. Seine Worte:"Liebt' Ihr mich nicht, so kehrt das Chaos wieder", lassen uns die Bedeutung dieser Verbindung für sein Seelenheil ahnen. Dies erkennt aber auch Jago, dessen Schurkeninstinkt seiner Rachlust den richtigen Weg weist. Er sieht Othellos Verwundbarkeit und beschließt, den Seelenbrand an der Stelle zu legen, an dem es keine Löschung geben kann. Durch einige flinke Bemerkungen legt er in Othellos Gemüt den Keim des Zweifelns an der treuen, hingebungsvollen Liebe Desdemonas. Er fällt auf fruchtbaren Boden. Eifersucht, Verzweiflung und Wahn bestimmen von nun an das Geschehen, das mit der Unerbittlichkeit eines Uhrwerks vor den Augen der Zuschauer seinem tragischen Ende entgegenläuft.
... das Ende ... Wie einbrutaler Krieger würgt und ersticht er sie, während Desdemona, Othello noch im Tode nahestehend, ihn vor Verfolgung und Strafwe zu schützen versucht. Als Emilia, die Frau Jagos, das infame Ränkespiel, Cassio sei der Liebhaber von Desmona, entlarvt, erkennt Othello seine schauerliche Verfehlung. Schmerz und Verzweiflung übermannen ihn, und er nimmt sich das Leben.
---- und so endet die Tragödie der Schurkerei und der Eifersucht mit dem Tode aller, die in sie verstrickt waren. Für den Zuschauer wird während des Ablaufes der gewaltigen und gewaltsamen Ereignisse klar, wie sehr der Mensch in seinen Gedanken und Mutmaßungen von der Realität abirren kann, wie kostbar das menschliche Leben ist und wie kompliziert alle menschlichen Beziehungen sind, an deren Bestand unser Glück und Unglück hängt. Besonders tiefgründiger Einblick jedoch wird gewonnen in die Seele jener Selbstverächter, die infolge eines Mangels an Selbstliebe an die Liebe anderer nicht glauben können: Othello ist die Tragödie der Eifersucht eines Menschen, der durch einen zufälligen Makel (Hautfarbe) außerhalb der "Normalwelt" gestellt ist.
aus Josef Rattner "Menschenkenntnis durch Charakterkunde", Auszüge, leicht verändert, aus einem Beitrag von Wolfgang Köppe zur Eifersucht