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Gibt es eine transgenerationale Weitergabe von Traumata?

Beitragvon rivus » So 21 Jul, 2013 09:25


Sind Gefühlsbereitschaften, Erinnerungen vererbbar? Was meint ihr dazu?
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Re: Gibt es eine transgenerationale Weitergabe von Traumata?

Beitragvon findefuchs » So 21 Jul, 2013 09:40


Hallo,
da hast Du bei mir einen Nerv getroffen. Ich denke schon sehr lange gegen viele Widerstände, dass ein Trauma sogar ansteckender ist als Grippe. Traumata generieren derart diversifizierte Anomalien im Alltagsverhalten derer die in der Umgebung davon berührt werden, dass sich die damit konfrontierten Personen im dem nicht entziehen können, davon mit der Zeit geprägt werden und selbst wenn sie die Situation erkennen, bearbeiten, in jeder erdenklichen Weise handeln, so bleiben sie davon betroffen und ihr Verhalten enthält immer die Spuren des familiären Traumas. Zumindest glaube ich das, muss nicht stimmen.


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Re: Gibt es eine transgenerationale Weitergabe von Traumata?

Beitragvon wilma » So 21 Jul, 2013 10:24


Hi-ho,
ich denke nicht, dass Gefühlsbereitschaften, Erinnerungen vererbbar sind. Also, okay, wenn ... :), dann Gefühlsbereitschaften, also Neigungen zu psychischen Malässen bis hin zu Krankheiten wie z.B. Depression, manisch-depressiven Neigungen usw.
Ein oder ein paar Trigger reichen dann, denke ich, um ein Krankheitsbild zu entfalten.
Das mit den Gefühls'bereitschaften' ist in den meisten Fällen aber wohl eine erlernte Verhaltensweise, eine 'Übertragung' und nicht zuletzt eine Definitionsfrage aus der Sicht des Fragenden :)
Erinnerungen, da meinst Du wohl subjektive? Keine DNA...
Also, das mit den Erinnerungen ist ja so eine Sache: Die sind so subjektiv wie, ob einem ein Essen schmeckt oder nicht. Weil wir allesamt anders verarbeiten und werten. Es gibt sozusagen keine 'wahre' Erinnerung - (gibt auch keine 'Wahrheit', so meine Auffassung) Erinnerung ist immer verknüpft mit individueller Wahrnehmung, die Sicht darauf, die (moralische) Wertung und etlichen Komponenten mehr.

LG
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Re: Gibt es eine transgenerationale Weitergabe von Traumata?

Beitragvon rivus » Mi 24 Jul, 2013 09:42


Hi,


das gibt es! Diese "transgenerationale Weitergabe" von Vorstellungen und Verhaltensweisen, von Schuld- und Schamgefühlen, auch das Weitergeben von Traumata. Die Epigenetik hat da ihre Feldwerkstatt aufgeschlagen und nachgewiesen, dass bestimmte Gefühlsbereitschaften tatsächlich vererbbar sind. Wissenschaftlich fanden sie beispielweise bei den Kindern von Traumatisierten eine höhere Angstbereitschaft. Die EpigenetikerInnen fanden bei den Kindern und wiederum ihren Kindern eine besonders gut differenzierte Amygdala ("Mandelkern" = Angstzentrum). Sie schlossen daraus, dass traumatische Erfahrungen das Erbgut dauerhaft verändern können und somit kann man die Ängste der Eltern durchaus erben .....

@findefuchs

Ja. Ich glaubte es wie du, schon lange zuvor ich auf einen epigenetischen Text gestoßen bin und erlebe es immer wieder an Traumatisierten. Ja und erlebe es selbst, wie Traumatisiertes einer Großelterngeneration weitergegeben wurde ...



@wilma
Die Erinnerung. Hm, die seismografische Fähigkeit von Kindern ist enorm und sie spüren bewusst und auch unbewusst die Gemütsbewegungen von Eltern und hier entstehen spezielle Gedächtnisprägungen und diese bestimmen Entwicklungen zu gewissen, besonders empfindsamen Identitäten können wiederum an die nächste Generation weitergegeben werden. Mitunter ist es doch auch so, dass bestimmte Erinnerungen von Elterngenerationen so verinnerlicht werden, dass man glaubt, diese Erinnerungen sind Teile von selbst Erlebten .....




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Re: Gibt es eine transgenerationale Weitergabe von Traumata?

Beitragvon kokoschanell » Mi 24 Jul, 2013 14:41


Gefühlsbereitschaften:

sicherlich vererbt sich ein Charakter oder ein Teil davon. Oder kann sich vereben, besser gesagt.
Besondere Sensibilität.
Sicherlich auch Geisteskrankheiten.
Den Rest würde ich eher als Prägung sehen. Die Angst vorm Zahnarzt z.B.

Erzählte Erinnerungen von Eltern werden von Kindern aufgenommen, vielleicht im späteren Leben wiedererkannt in Stuatonen und dann je nach Prägung und Charakter durchaus ähnlich gehandelt.
Erstaunlich eben z.B auch der Volksmund: "werde nie wie deine Mutter" oder "ich will nie wi mein Vater werden...". Oftmals wird man aber eben genauso.

Traumata sind ja schon eine Stufe höher. Ich kann dazu wissenschaftlich nichts sagn, aber durch Prägung und Handeln können natürlich auch hier Situatonen entstehen, wo Kinder unbewusst imitieren , sei es durch negative Erfahrungen (Gewalt oder psychische Gewalt) oder auch das Gegenteil Bewunderung.

Ich kenne eine Familie, wo eine Frau genau das falsche Tun ihrer eigenen Mutter, was sie
lebenslang belastete, genauso ! an ihrer Tochter praktziiert und das ohne es zu bemerken.
Darauf angesprochen verneinte sie es vehement und unbelehrbar.
Schon bemerkenswert.
Da alle der Familie davon krnak geworden sind, alle schlucken Psychopharmaka kann man dieses sicherlich schon als Trauma bezeichnen.
Erklären aber kann ich mir sowas nicht.
LG von KOKO
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Re: Gibt es eine transgenerationale Weitergabe von Traumata?

Beitragvon wilma » Mi 24 Jul, 2013 15:06


Hi :)
Ich finde die Assoziation zu Epigenetik, ehrlich gesagt, ziemlich gewagt und gebe mal einen Link hier, damit Epigenetik definiert wird: http://epigenetics.uni-saarland.de/de/home/

Grüße
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Re: Gibt es eine transgenerationale Weitergabe von Traumata?

Beitragvon findefuchs » Mi 24 Jul, 2013 16:24


Nur kurz dazu rivus:

Spannend ist das Thema auf jeden Fall, aber ich habe Mühe damit, in eine Detaildiskussion darüber einzusteigen, weil wir uns hier ja eher weniger mit Fachliteratur beschäftigen wollen, oder? Zu spezielle Themenkomplexe, wie der Angeschnittene, könnten Leute langweilen, die von einer völlig anderen Fachrichtung, oder überhaupt aus einer anderen beruflichen Ecke kommen. Wenn man solch sensible Themen breit diskutiert, ohne Hintergrundwissen, dann ist das nicht sehr ergiebig, unter-, oder überfordert User und bringt m.E. nicht viel, weil damit die Grüppchenbildung innerhalb einer Community gefördert wird, die den fruchtbaren Gesamtaustausch vielleicht einengt - aber das ist nur meine Meinung, muss ja nicht so sein. Ich wollte es nur mal zu bedenken geben und grüß Dich



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Re: Gibt es eine transgenerationale Weitergabe von Traumata?

Beitragvon rivus » Do 25 Jul, 2013 07:45


hi alleamt!

sorry, ich wollte dieses thema nicht ins verwissenschaftlichte gleiten lassen und somit die diskussionsrunde ersticken. ja, ich muss zugeben, dass mir das forschungsfeld der epigenetik im zusammenhang mit der weitergabe von gefühlsbereitschaften und ängsten nicht in den sinn gekommen wäre, wenn ich nicht einen artikel in der zeitschrift "fifty" darüber gelesen hätte. auszug aus dem artikel
"Sag mir, wo die blumen sind! Warum weinte Mutter immer, wenn sie dieses lied hörte? Warum war Vater am Heiligen Abend noch schweigsamer als sonst? Erst in jüngster Zeit wird klar, wie viel die Nackkriegsgeneration aufzuarbeiten hat " ... auf Seite 15 im Abschnitt Weitergabe über Generationen heisst es: Die ehemaligen Kriegskinder haben ihre unverarbeiteten Traumata an die eigenen Kinder weitergegeben. Vollkommen unbewusst natürlich. Unter dem Begriff "transgenerationale Weitergabe" versteht man das Phänomen, dass eine Genration der anderen ihre Vorstellungen und Verhaltensweisen, Schuld- und Schamgefühle, aber auch unverarbeitete Traumata weitergibt. Ein neuer neurogenetischer Forschungszweig, die Epigenetik, hat nachgewiesen, dass bestimmte "Gefühlsbereitschaften" tatsächlich vererbbar sind. Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend durch Gewalt und Missbrauch traumatisiert wurden, können, so die Epigenetikforscher, ihre Angstbereitschaft tatsächlich auf genetischem Wege an ihre eigenen Kinder weitergeben. In deren Gehirn findet sich dann eine besonders gut differenzierte Amygdala. Traumatsiche Erfahrungen könne also das Erbgut dauerhaft verändern, die Ängste der Eltern kann man "erben" ....


hm, man kann das eine oder andre in verschiedensten zusammenhängen durchaus ergoogeln und überall findet man auch einen epigenetischen ansatz, beispielsweise hier: http://www.hochbegabtenhilfe.de/Hochbegabung_und_psychische_St%C3%B6rungen.html


das erst mal zum gewagten gebrauch vom epigenetikbegriff. später werde ich mehr auf eure beiträge eingehen. ich fand diesen artikel jedenfalls so inspirierend, dass in mir manche aha-gefühle auftauchten und ich erfahren wollte, ob nicht auch andre erfahrungen diesbezüglich haben ...


lg rivus
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Re: Gibt es eine transgenerationale Weitergabe von Traumata?

Beitragvon rivus » Sa 27 Jul, 2013 00:46


... ich hatte mal vor langer zeit einen text über w. geschrieben, kann ihn leider aber nirgends mehr aufstöbern. da ging es auch um unverarbeitete verluste in der kriegs- und nachkriegszeit ... ich denke schon, dass wir bestimmte unverarbeitete traumata unsrer eltern und der vorelterlichen generationen u.s.f. mit uns herumschleppen .... man träumt mitunter die träume, auch beängstigende, der eltern, weiter und gibt sie sogar, wiederum weiter, was mich persönlich noch mehr erstaunte .... ich glaube aber, dass man dafür eine bestimmte prädisposition, also eine bestimmte empfindsame empfänglichkeit haben muss, um das aufzunehmen und wahrzunehmen ...
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