Nachdem ich einige Tage im Rahmen meines Daseins als Tiefengelehrter spazieren gegangen war, verlangte der Vorstand einer Dorfgemeinde mir eine schriftliche Hilfestellung ab. „Bitte Geshe“ sagte der Bürgermeister eines Dorfes nahe bei Thiruvanantapuram „Sie sagen du seist ein Meister im einfachen Erkennen der wichtigen Feinheiten in der Natur.“ Der Mann schien verzweifelt zu sein. „Es gibt ständig Streit“ sagte der Bürgermeister „Bewege meine Bürger hin zu mehr Bedachtheit und Friedfertigkeit“ Dieses Jahr sind sie alle so unkonzentriert und nervös und es fehlt nicht viel, dass eine Hungersnot zu befürchten ist“ Es entging mir bei seiner engagierten Ansprache natürlich nicht, dass der Bürgermeister einen beschämten Blick auf seinen eigenen, gut gefüllten Bauch warf, als er die zu befürchtende Hungersnot ansprach. Der Bürgermeister war offensichtlich ein besonders guter Mensch und so wollte ich ihm eine Schrift schenken, die ich noch am gleichen Abend anzufertigen gedachte. Ich bezog ein charmantes Hotelzimmer im Zentrum des Dorfes und verfasste dann nach einem üppigen Garnelenschmaus am Strand den Text für den Bürgermeister.
Meditation
Seit die Menschen sich von den Tieren zu unterscheiden lernen, stellen sie sich nicht nur in das Verhältnis zu anderen Menschen und der Welt, sondern auch zu sich selbst. Dabei kann es geschehen, dass dem ein oder anderen Menschen auffällt , dass Angst, Erstarrung und kämpferische Wut ihm selbst zuweilen zueigen sind. So wie es der Wille der Natur ist sich nützlich zu machen, so können Wut, Angst und Erstarrung nützlich sein. Sie nutzen genau dann, wenn das leibliche Wohlergehen unmittelbar gefährdet ist. Allzu oft ist das leibliche Wohlergehen aber gar nicht gefährdet und dennoch nutzt der Mensch Angst, Wut und Erstarrung, freilich ohne das sie sich als nützlich erweisen. Wieso tut er das? Da es dem ängstlichen dem wütenden und dem erstarrenden Menschen an Selbsterkenntnis mangelt oder genauer gesagt, angst Wut und Erstarrung sind bereits die letzte und damit wenig fruchtbare Konklusion der Selbsterkenntnis. Das Wesen der Angst ist die Paradoxie des Unwillens: der Wille dessen was ungewollt ist. Jede Selbsterkenntnis führt letztlich zu einem Widerspruch, da das Wesen des Seins im Miteinander und nicht im Spiegel des Einzelnen zu finden ist. So auch Die kämpferische Wut, sie ist hässlich und angeschlagen, da sie dem Willen der Natur sich nützlich zu machen widerspricht. Die Erstarrung zeichnet sich durch ihren Mangel an Bewegung aus und ist damit dem Wesen des Lebendigen diametral gegenübergestellt. Somit ist die Erstarrung ein Abbild des Todes. Mancher möge sagen, kämpferische Wut wäre manchmal gut. Darüber lache ich und erkenne: jedwede Mysogynie rührt aus kämpferischer Wut und kennzeichnet dieselbe allein deshalb schon als indiskutabel!
Wie den Überbleibseln unseres Stammhirns zu entrinnen ist, kann jeder gebildete Mensch selbst beantworten. Ich gebe drei Antworten für die Menschen, die nicht gebildet sind.
1. Antwort
Durch begründendes und letztlich mathematisches Denken lässt sich dem Stammhirn entrinnen, welches nur für sehr oberflächliche Begründungen empfänglich ist. Die Mathematik ist die Sprache der Natur und schützt den Menschen vor Angst Wut und Erstarrung und zeigt dem Menschen ihren Willen hin zur Nützlichkeit.
2. Antwort
Das Stammhirn ist ein uralter Teil unseres Gehirns. Wie bereits behauptet, findet tiefgründiges Denken andernorts statt. Doch nicht nur der Raum auch die Zeit des Denkens lässt sich anschauen. Über die Jahrtausende hat der Mensch gelernt sich anderer Räumlichkeiten seines Denkens zu bedienen. Sich mit Angst Wut und Erstarrung zu begnügen heißt gerade die Errungenschaften der eigenen Ahnen zu missachten. Die Ahnen zu ehren heißt den Bahnen zu folgen die weiter fahren als Angst Wut und Erstarrung.
3. Antwort
Es ist seit jeher unter den Tiefengelehrten bekannt, dass im uneigennützigen Verhalten die größte Macht liegt. Dieses Wissen geht über den Kenntnisstand der Naturwissenschaften hinaus, ist aber unter Mathematikern ein ungeschriebenes Gesetz. Wer hingegen mit fehlerhaften Hintergedanken „uneigennützig“ ist, wird es früher oder später mit der Angst zu tun bekommen.
Der obige Hinweis, dass meine Antworten nur für Menschen ohne Bildungen seien, war natürlich nur ein Scherz. Er sollte den Rezipienten den Spiegel vorhalten und ihn erkennen lassen, ob eine Regung aus dem Metier der Angst, der Wut oder der Erstarrung ihn wegen nichts und wieder nichts heimzusuchen vermochte.
Ich legte die Meditation am frühen Morgen vor dem Hauseingang des Bürgermeisters auf einem kleinen Kissen ab und machte mich von dannen. Die Garnelenportion am Vortag war nicht sonderlich üppig gewesen. Doch ich bin guter Hoffnung, dass sie doppelt so groß ausfallen wird, wenn ich in einem halben Jahr zurückkehre. Schmunzelnd spazierte ich an einem besonders saftigen Reisfeld entlang und dachte über das Wesen der menschlichen Freuden nach.