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Lieblingszahl fünf

Beitragvon lynch » Do 18 Dez, 2008 17:59


Von der Seite wurde ich mit Blicken beworfen. Ich mag Männer nicht, die mich beobachten. Die mich anstarren, mich mit ihren Augen löchern, sich Hoffnungen machen. An dem Tag war das nicht anders, aber unwichtig für mich. Denn es war einer dieser Tage, an die man sich nur auf positive Weise erinnern kann. Deren wichtige Momente mit der Zeit weggespült und den innigen Nebensächlichkeiten Platz zur Entfaltung liessen. Damals waren es Bilder, die sich ins Gedächtnis einbrannten. Belanglos scheinende Momentaufnahmen, unwirklich, aber greifbar. Die olivgrünen Reiterstiefel einer Freundin aus der dritten Klasse. Der bärtige Mann mit den wuchernden Augenbrauen vom Gemälde im Wohnzimmer der Grosseltern. Wenn ich an diese Szenen denke, wird mir warm.

Der weisse Himmel, unbemalte Wälder und tote Äcker. Durch das leicht angelaufene Fenster sah ich nicht genau, wo ich war. Das war gut, denn ich hatte kein Ziel, ich wollte keines. Im Bus war es kalt, aber rückblickend war das kein Problem. Mein Buch blieb in der Tasche und meine Augen offen. Nichts wollte ich verpassen von der Welt, von diesem Tag. Der Nebel verzog sich langsam und die letzten Anzeichen von Besiedlung lagen allmählich hinter mir. In der Ferne sah ich einen Farbtupfer im grauen Novembermeer. Hellblau. Vielleicht so, wie man sich den Himmel vorstellt, wenn man kurz vor dem Einschlafen den bevorstehenden Traum in eine idyllische Richtung lenken möchte.

Warum ich plötzlich hochfuhr und ausstieg, kann ich nicht sagen. Aber die lähmende Kälte sprang mir sogleich ins Gesicht und bahnte ihren Weg durch jeden einzelnen Muskel meines Körpers. Ich vergrub mein Kinn im Schal und rieb mir die Hände. Mir wurde plötzlich bewusst, dass es das erste Mal war, dass ich nicht am selben Ort, wo ich den Bus betrat, wieder ausgestiegen bin. Ich ging in schnellen Schritten los. Dieser blaue Schimmer übte einen seltsamen Druck auf mich aus, dem ich nicht widerstehen vermochte. Ich musste da hin, koste es, was es wolle. Als ich näher kam, sah ich, dass es ein Mensch war. Eine hellblaue Jacke, so war das also. Trotzdem ging ich näher ran und erkannte schlussendlich einen Mann mit weissen Haaren und hellblauer Jacke da stehen. Er schien mich nicht zu bemerken, sondern blickte nur bewegungslos in die Ferne. Ich stellte mich zu ihm.

„Was ist deine Lieblingszahl?“, fragte er, ohne mich anzusehen. Ich erschrak und murmelte „Fünf“. „Warum fünf?“. Das Gespräch, wenn man es denn so nennen konnte, verlief weder bedacht noch verklemmt. Ich erklärte ihm, warum ich die fünf mochte. Es gab die drei Musketiere, die vier Jahreszeiten und die sieben Zwerge. Aber die fünf sei schon immer meine Zahl gewesen, sagte ich. Als er das hörte, lächelte er kurz, sagte aber nichts mehr. Er war grösser, älter und schien kälteresistent. Kein Schal, keine Mütze, nur die makellose Winterjacke, die ihn wärmte und mich auch. Ich lehnte mich an ihn. Er legte seinen Arm um mich und schenkte mir Trost, von dessen Notwendigkeit ich mir zuvor gar nicht bewusst war. Dann sagte er „Hörst du die Musik?“. Ich vernahm keinen Ton. Nur der Wind, der über uns hinweg fegte und uns zu einer einsamen Insel machte. „Ja, ich höre sie.“
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Re: Lieblingszahl fünf

Beitragvon Struppigel » Fr 24 Jul, 2009 08:52


Hallo lynch,

auch mir hat die Geschichte jetzt, nach dem ersten Lesen, einen positiven Eindruck hinterlassen. Trotzdem sind mir einige Dinge sofort aufgefallen. Zum Beispiel, dass Du gar kein ß benutzt? Bist Du Schweizer? Falls ich das schon einmal gefragt haben sollte, entschuldige ich mich für mein schwaches Gedächtnis.
Die Stelle mit den vier "war" hat mich ebenfalls gestört.
Eine hellblaue Jacke, so war das also. Trotzdem ging ich näher ran und erkannte schlussendlich einen Mann mit weissen Haaren und hellblauer Jacke da stehen.

Erstens: Warum die Wiederholung der hellblauen Jacke?
Zweitens: Du schreibst "erkannte schlussendlich einen Mann [...] da stehen"
Erkennst Du den Fehler?

Ich vernahm keinen Ton. Nur der Wind, der über uns hinweg fegte und uns zu einer einsamen Insel machte.

Ich vernahm keinen Ton. Nur den Wind ...
Wobei dies auch inhaltlich falsch ist. Der Wind macht einen Ton. Du dagegen willst verdeutlichen, dass sie keine Musik im eigentlichen Sinne hörte.

Ja, auch gern gelesen. Vorallem die Sprache kommt meinem Geschmack sehr entgegen (von den kleinen Schnitzern abgesehen).

Liebe Grüße
Struppigel
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