Alle epischen Texte, die in keine andere Kategorie passen

verrannt veratmet

Beitragvon Suyari » Di 05 Mai, 2009 16:13


verrannt...................veratmet

er will niemanden mehr küssen. wenn es ein hundertprozentiges, reines weil gäbe, stände hier jetzt: weil jeder kuss ein schritt ist. er zählt schon lange keinen schritt mehr, er rennt oft, schlenkert, kommt vom weg ab, zertrampelt lila marienkäfer ohne es zu merken, um dann wieder mal rot zu sehen. und schritt ohne e ist falsch, wer kann nur einen machen? schritt sic gibt es ausschließlich in der mehrzahl. mehrzahl statt zweizahl. vielleicht ist es das, was er satt hat. schwammiges, pampiges, keuchendes, süchtelndes mehr. mehr mehr mehr. schritte. küsse. wieviel mehr? wo bleibt die ansage? er spricht das l-wort nicht aus. einmal dachte er es und das nicht nur einmal, er ließ er sich auf die mehrmaligkeit des l-wortes ein, doch das mehr packte ihn wie ein tornado einen zweig mit zwei ästen. ein ast brach ab, der andere riss tausend weitere mit sich. ein tornado, der sich dreht und dreht und dreht und nicht merkt, wie weit er abgekommen ist und wieviel er bereits entwurzelt hat.

„zwölf zu null für ihn.“. verloren und es gibt keine revanche. gäbe es ein hundertprozentiges, reines weil, stände hier jetzt: weil anfänge da beginnen wo man nie wieder hinkann.
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Re: verrannt veratmet

Beitragvon Antibegone » Sa 09 Mai, 2009 14:26


Huhu Suyari :-)


Also erst einmal: Ich fand die Geschichte nicht schlecht. Sie ließ sich gut lesen und sie hat mir gleich beim ersten Lesen gefallen. Als sie sich mir nach mehrmaligen Lesen ein wenig erschlossen hatte, fand ich sie sogar noch ein wenig besser. Trotzdem hatte ich das Gefühl, ihr würde etwas fehlen. Ich versuche mal, das irgendwie zu erklären.

Erst einmal zum Inhalt:
Du setzt Küsse mit Schritten gleich („weil jeder kuss ein schritt ist.“). Schritte in einer Beziehung, ja, das passt. Das finde ich gelungen, ergibt ein plastisches Bild in mir. Ich betrachte das erst einmal als These/ Behauptung, eine, die du dann weiter ausführst. „, er rennt oft, schlenkert, kommt vom weg ab, zertrampelt lila marienkäfer ohne es zu merken, um dann wieder mal rot zu sehen“ wenn ich dann deiner These folge, würde das in diesem Kontext heißen: er „verläuft“ sich, also „verküsst“ er sich. Vielleicht investiert er Gefühle in Beziehungen, die sich „verlaufen.“ „Lila Marienkäfer“ – hört sich kitschig an, vl. Ist das hier auch gemeint. „Schöne, glückliche Träume/ Illusionen“ werden zertreten auf dem „Irrweg“. Dann kommt der Themenstrang des „Mehr“. Es bedarf „mehr Schritte“/ „mehr Küsse“. Es kommt einem wie eine Sucht vor, vl. Eine Art übersteigertes Liebesverlangen. Er ist nicht bereit, dieses „mehr“ zu geben, ein „mehr“ bedeutet für ihn etwas „schwammiges, pampiges, keuchendes“.
Die Konsequenz daraus ist, dass er auch von „Liebe“ nicht mehr sprechen kann. Das, was dann geschieht, finde ich langweilig, abgenutzt, öde; die Beschreibung des „mehr“ als Tornado. Erstens: Der Text braucht das nicht. Er kommt wunderbar ohne diese Beschreibung aus. Wenn ich ihn ohne lese, gefällt er mir sogar besser. Er tut nichts zur „Handlung“, „erweitert“ nicht, gibt keine entscheidenden Informationen, sorgt nicht für Spannung, ist nicht mal anschaulich … Zweitens: Wenn du das schon so detailliert beschreiben musst, tu es wenigstens originell. Ein Tornado, der einen Baum entwurzelt ist für meine Begriffe nicht originell.
Tut mir leid, tat mir einfach weh, das zu lesen. Nicht, weil es so schrecklich wäre. Aber weil es mich von dir enttäuscht. Nach dieser schönen Gleichsetzung von Küssen/ Schritten, nach dem lila Marienkäfer, der zertrampelt wird, hätte ich mehr erwartet. Vielleicht bin ich einfach „überprägt“ von Sturmbildern, vielleicht habe nur ich persönlich schon zu viele Wind/ Bäume/ Entwurzlungs Metaphern gelesen.
Egal, wie oft ich darüber gehe, ich kann mich mit der Beschreibung einfach nicht anfreunden. Fällt dir nicht ein anderes Bild dieses „reißenden, zehrenden, entwurzelnden mehrs“ ein?
Den Schluss finde ich wieder interessanter:
„zwölf zu null für ihn.“ Ja, da ist schon gemacht, denn du kündigst es ja oben schon an: „wo bleibt die ansage?“ Dadurch zieht sich ein innerer Kreis durch die Handlung. Die Geschichte wirkt dadurch geschlossen, der Punktestand ist verlesen, es ist zu Ende. Gleichzeitig von dem Formalen der inhaltliche Schluss: er will nicht das „süchtelnde mehr“ nicht, will den Anfang haben, er wartet gerade zu auf die „ansage“, dass es vorbei ist, der Punktestand verlesen wird. Gleichzeitig natürlich hat er „verloren“ und es gibt kein Zurück („keine Revanche“), „weil anfänge da anfangen wo man nie wieder hinkann.“

Ja, das gefällt. Wer kennt das nicht, je mehr man von etwas hat, desto lästiger wird es einem? Zuerst ist da die Sucht. Aber kaum wird diese befriedigt, kommt es zu einer Übersättigung, das „mehr“ wird klebrig, pampig. Man wünscht sich nur noch an den Anfang zurück. Das gilt für die Liebe, in dessen Kontext das steht. Aber auch für anderes … leider sogar für Schokolade, lach. Okay, keine weltbewegende Aussage, aber der Gedanke ist an sich ist erst einmal interessant, lässt sich drüber nachdenken, mindestens ein wenig.

Deine Sprache finde ich zumeist gelungen. Die unverbundenen, abgehackt hintereinander gereihten Sätze. Drückt ein wenig die Hektik aus des sich „Verrennens“. Das Wort hat auch was: Man „verrennt“ sich, wohin aber auch in etwas. Das geschieht hier. Darum passt auch der Titel. Ich frage mich, ob das „Veratmet“ da hinein gehört, ja, die Hast ist da, „Verrannt ……. Veratmet“. Aber „Veratmen“ hat für mein Verständnis wenig mit dem Text zu tun, ja es signalisiert das Ende, aber der Wortsinn will sich bei mir nicht fügen und ich stelle mir die Frage: Gäbe es nicht ein Wort, was den Inhalt der Geschichte besser abbilden könnte und die gleiche Funktion hätte? … Nun ja, das ist aber reine Geschmackssache, glaube ich.
„gäbe es ein hundertprozentiges, reines weil, stände hier jetzt:“ Ob du das wirklich brauchst? Ja, nein, das weiß ich nicht. Ich finde es schön, wie du es sich wiederholen lässt, das rundet es ab. Gibt die Gründe für die Gleichsetzung Küsse / Schritte an, betont sie gleichzeitig, zeigt ihre Endgültigkeit. Trotzdem bleibt da bei mir ein fahler Nachgeschmack: Es wirkt „dick aufgetragen“, etwas übertrieben (zumindest auf mich), zumal du sprachlich über das Wort reflektierst und damit aus der eigentlichen Handlung ausbrichst, also sozusagen dein eigenes Wort kommentierst und „verabsolutierst“. Mir mag das nicht gefallen, aber ich sehe seine Berechtigung.
Das „unpersonelle“ er stört mich hier übrigens wenig. Im Gegenteil: Ich bin dir dankbar, dass du kein „Man“ daraus gemacht hast! Das Schöne beim Lesen für mich war: Ich habe mir „ihn“ erst als Person vorgestellt, der dann immer „gesichtsloser“ und „abstrakter“ wurde. Das war für mich eine interessante Entwicklung. Denn: Gleichzeitig hat sich für mich die Handlung aus einer reinen „Beziehungsgeschichte“ in einen „allgemeineren Kontext“ gehoben. Außerdem: Du gibst der Geschichte ja ohnehin einen "lyrischen Touch", es ist nicht unpassend, wenn die Figur/ die Handlung etwas vage bleibt.
„und schritt ohne e ist falsch, wer kann nur einen machen? schritt sic gibt es ausschließlich in der mehrzahl. mehrzahl statt zweizahl“ Das müsstest du mir allerdings erst einmal beweisen. Rein sprachlich scheint mir das nämlich unlogisch, es gibt Schritt. Warum sollte ihn nicht geben? Vielleicht möchtest du das noch weiter ausführen?
Eins vielleicht noch: „…um dann wieder mal rot zu sehen.“ Das ist so eine „alltägliche“ Formulierung. Es fügt sich einigermaßen als farblicher Gegensatz „lila Marienkäfer/ rot sehen“. Aber das ist für mich irgendwie zu einfach. Ist natürlich etwas sehr Subjektives hier und ich finde es nicht gravierend.

Insgesamt:
Ich sagte ja schon mir „fehlt“ hier etwas und ich kann dir jetzt sagen, was das ist: Die passende Beschreibung des „mehrs“. Da reicht ein abgenutzter Tornado, der irgendetwas entwurzelt bei mir nicht aus. Dieses „mehr“ könnte so viel „mehr“ sein. Ich finde hier bleibt der Text hinter seinen Möglichkeiten zurück. Das ist vl etwas pingelig von mir – das gebe ich zu -, aber ich finde diese Stelle entscheidend für den Text. Es begründet ja erst, warum er nicht „mehr“ will. Und so eine Passage müsste für meinen Geschmack plastischer seien, zeigen, wie „eklig, pampig, keuchend“ das „mehr“ ist – ein Tornado ist für mich weder etwas „schwammiges, pampiges, keuchendes noch etwas süchtelndes“. Hier entsteht eine Spannung zwischen den beiden Beschreibungen des „mehrs“. Die eine führt die andere nicht fort, sie stehen einander widersprüchlich gegenüber. Ich möchte deine Geschichte damit nicht schlecht machen, ganz bestimmt nicht … ich empfinde sie einfach als nicht „konsequent“.
Dabei hat sie sich doch so schön entwickelt, ist so geschlossen, vermag auch inhaltlich etwas herzugeben. Ja, sie hat was. Aber es fehlt auch was.

Liebe Grüße,
Myr
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Re: verrannt veratmet

Beitragvon Suyari » Mi 13 Mai, 2009 17:15


hey esb:

im übrigen wäre hier vielleicht konsequenz gut: hier auch einmal das wort, wenn es sich denn um liebe geht, 'liebe' zu erwähnen. wieso muss uns der text dies so grundsätzlich verschweigen.

hm. wenn ich liebe direkt erwähne macht das den text für mich kitschiger und langweiliger, weil der leser nicht mehr wirklich darüber nachdenken muss. wieso sollte der text es nicht grundsätzlich verschweigen? das wort liebe liest man eh schon viel zu oft in geschichten/gedichten, da finde ich es inspirierender, neue formen zu finden, um es in einen text einzubringen, wenn es denn schon vorkommen muss.
konsequent wäre es wegen der textstelle "einmal dachte er es"?
man könnte es auch so lesen, dass es eben weil es nicht erwähnt wird, eine besonders gewichtete bedeutung haben soll: er dachte es einmal, in der vergangenheit und verbindet damit bestimmte erfahrungen, die ihn dazu gebracht haben, es jetzt in der gegenwart nicht mehr zu erwähnen (wobei man bei dieser lesart in gewisser weise den erzähler mit der figur gleichsetzt, was problematisch ist).

'einmal dachte er es und das nicht nur einmal. einmal ließ er' - das kommt nicht so gut. wiederholte wiederholung muss geschickter sein

ja, hast recht, das wirkt ungelenk. habe es jetzt geändert und das dritte einmal weggelassen:

einmal dachte er es und das nicht nur einmal, er ließ er sich auf die mehrmaligkeit des l-wortes ein, doch das mehr packte ihn wie ein tornado einen zweig mit zwei ästen.


gefällt mir so besser, weil durch den wegfall des satzendes auch die pause reduziert und das lesetempo erhöht wird, was wiederum den inhalt unterstreicht.

der wechsel zur spielstand-ansage ist mir zu drastisch, ich meine: zu sehr aus dem nichts und gibt dann gegen ende dem text nichts.

doch, diese stelle hat schon ihre bedeutung, wie Myr'jam auch sagt, hier kommt die ansage nach der in der mitte des textes gefragt wird. und je nach lesart und interpretation kann man dieser ansage auch inhaltlich einiges abgewinnen.

was zusätzlich ist: dieser ganze zweite absatz versucht ein schlusswort, welchen der text wirklich nicht braucht. mit dem durch einen tornado enwurzelten baum sich zu verabschieden ist wesentlich wirklungsvoller. dagegen kann der zweite kurze teil nicht anstinken.

hm...was mir am zweiten absatz gefällt ist, dass er durch den rückbezug auf die frage nach der ansage u. durch die wiederaufnahme des "wenn es ein hundertpro..." eine geschlossenheit bewirkt und den text zu einer einheit macht...

'weil anfänge da anfangen', neeee, das geht anders besser. beginnen etc. vieles ist möglich, diese wort'doppelung' wirkt nicht.

geändert.

eine richtige person ist 'er' nicht.

'er' kann auch als eine richtige person gesehen/gelesen werden. muss aber nicht.

danke für's lesen & kommentieren!

grüße,
Sy.

@ Myr'jam: WOW, danke auch dir für die ausführliche kritik! muss jetzt zum training, ich antworte dir sobald ich genügend zeit dafür finde.
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