Ich wollte hier nun einen Abschnitt einer Geschichte die noch in Arbeit ist hereinstellen. Es ist der vierte Abschnitt/ das vierte Kapitel.
Ich bin mir wieder mal nicht sicher, wo ich es genau reinstellen sollte, deswegen habe ich das Thema einfach hier eröffnet. Wenn es falsch ist, bitte verschieben.
Ich bitte um konstruktive Kritik.
Lieben Gruß, Jeff101
IV
Die vom Regen nassen Haare hingen mir im Gesicht. Langsam liefen mir Regentropfen die Wange herunter. Sie tropften von meiner Nase und blieben schließlich an meinen Lippen hängen. Schließlich tropften sie mir vom Kinn.
Oder waren es Tränen? Nein, nur Regen.
Völlige Stille überkam mich. Der Verkehr, die Stimmen, nichts. Ich hörte nichts. Meine Gedanken verloren sich.
War es wirklich? Konnte es wirklich passieren? Jetzt? Heute? Dabei war es doch so schön gewesen. Die letzten Stunden, die schönsten die ich je hatte. Konnte jemand wirklich in einem so schönem Moment aus dem Leben gerissen werden? Ich wollte es nicht glauben. Ich konnte es nicht glauben. Nicht verstehen, nicht begreifen. Konnte nicht begreifen, dass es wirklich war. Konnte nicht begreifen wie wirklich es war.
Aber, was war wirklich? War ich wirklich? War das Leben wirklich? War dies das Leben? Mein Atem war flach und schnell. War er schon die ganze Zeit so schnell? Oder erst seit grade eben? Ich hatte es nicht bemerkt.
Ich versuchte ihn zu beruhigen, versuchte mich zu beruhigen. Nase ein, Mund aus. So, wie man es beim Sport gesagt kriegt, nach dem langen Sprint, nach dem man sich am liebsten voller Erschöpfung auf den Boden sinken lassen würde, sich hinlegen würde und einfach nichts tun wollte. So fühlte ich mich. Genau so fühlte ich mich in diesem Moment. Erschöpfung. Es gelang mir nicht den Atem ruhig zu stellen.
Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Die Außenwelt war so nah, und doch so fern. Warum?, fragte eine innere Stimme. Eine gute Frage. Aber eine Frage die ich nicht fragen wollte. Eine Frage die nicht fragte, warum sie sterben musste. Eine Frage die fragte, warum ich jetzt wieder alleine sein musste. Mir wurde schwindelig. Wie konnte ich bloß so egoistisch sein? Ich bekam einen Würgereiz. Das war es, was ich meiner Schwester ein paar Stunden zuvor nicht erklären konnte. Die Gesellschaft war zu eingebildet, oberflächlich, und arrogant, um zu verstehen. Ich war zu eingebildet, zu oberflächlich, zu arrogant. Um zu verstehen, zu begreifen.
Begreifen. Wie sollte ich?
In meinen Adern kochte das alkoholdurchmischte Blut. Mir wurde langsam schwarz vor Augen. Ich setzte mich auf den feuchten Asphalt. Links neben Tascha. Rechts von ihr bahnte sich eine Blutlache den Weg. Ich schaute das Blut an, dass von dem leichtem Nieselregen verdünnt immer weiter floss. Bald dürften die sieben Liter weg sein, dachte ich. Erschrak, als mir dieser Zynismus bewusst wurde.
Sieben Liter Blut.
Blut.
Menschenblut.
Taschas Blut. Was?, die innere Stimme meldete sich zurück. „Ja“, rief ich, ohne es zu wollen. „Taschas Blut“, murmelte ich, um es dieser Stimme bewusst zu machen. Es war schon wieder jemand von uns gegangen. Nein, kein Tier – eine Spinne zum Beispiel. Da schert sich keiner drum, aber dass sie vielleicht auch eine Familie hat, die sie ernähren will, ernähren muss – daran denkt niemand. Tiere sind nichts wert in dieser Gesellschaft – Menschen dafür das hundertfache.
Verlogene Gesellschaft.
Ignorante Gesellschaft.
Scheiß Gesellschaft, flüsterte die Stimme. Verlogene, ignorante, scheiß Gesellschaft. Sie redete eindringlich auf mich ein. Wiederholte es immer wieder. Wollte, dass ich auch so denke. Ein Teil in mir fühlte sich der Stimme verbunden, gab ihr Recht. Ein anderer Teil sträubte sich ihr auch nur zu zuhören. Die Gesellschaft funktioniert doch wunderbar, so wie sie ist, wollte mir dieser Teil sagen. Ein dritter Teil saß zwischen den Stühlen. Er dachte, dass ja irgendwie beide recht hatten.
Diese Gesellschaft ist einfach nicht rechtens, sagte der Bauch. Doch, das ist sie, rief das Herz. Der Kopf hingegen wusste nicht, wem er folgen sollte. „Ihr habt doch beide recht“, schrie er, schrie ich. Stille. Ich wurde steif. Rot.
Hier liegt ein totes Mädchen und ihr müsst euch streiten, habt Respekt!, der Kopf konnte noch klar denken. Stille. In mir. Um mich herum.
Totes Mädchen. Warum?, kam die Frage – von allen drei.
„Wenn ich das wüsste“, antwortete ich. Murmelte ich. Ein Seufzer. Ich schloss die Augen. Versuchte mich an die letzten Stunden zu erinnern. Zusammen mit Tascha. Ich konnte nicht. Ich wusste nicht, was passiert war. Das einzige was ich sah waren zwei hell leuchtende Punkte, die immer näher kamen. Ein Mädchen wurde umher geschleudert. Blut. So viel Blut. Ich weinte. Schmeckte das Salz. Der Tränen, die vermischt mit den Tropfen des Regens mein Gesicht herunter liefen. Von meiner Nase tropften. Die ich auf meinen Lippen schmecken konnte. Die mein Kinn herunter liefen. Langsam begann ich in mir auf zunehmen, was passiert war. Tascha wat tot. Endgültig von uns gegangen. Und es war meine Schuld. Doch begreifen, nein. Begreifen konnte ich nicht. Der Mensch lernt nicht zu begreifen. Er lernt nur es in sich aufzunehmen. Nachvollziehen, drüber nachdenken, verstehen, begreifen, nein, das lernt er nicht. Lernte ich nicht.
„Wieso?“, rief jemand in die Nacht. Ich war dieser Jemand.
Ich beugte mich zu ihrem Ohr nach vorne. „Hoffentlich ist es schön, da wo du jetzt bist“, flüsterte ich.
Die Außenwelt drang zu mir durch. So plötzlich, wie sie sich gerade noch von mir abwandte. Alexis kam angerannt. Ich stand auf. Sie nahm mich in den Arm. Nicht um mich zu trösten, ich der nicht begriff. Ich, der schon wieder aufgehörte hatte zu weinen, da Tränen den Schmerz nicht ausdrücken konnten. Ich, der sich die Schuld an ihrem Tod gab. Ich.
Mein Blick war leer. Mein Gesicht ausdruckslos. Ich strich Alexis tröstend über den Rücken. Sie weinte. Immer stärker. „Wir schaffen das“, flüsterte ich ihr zu.
Martinshorn, Blaulicht. Der Notarzt und der Rettungswagen trafen ein. Der Notarzt und der Rettungswagen trafen zu spät ein.
Zu spät, sagte der Bauch.
Zu spät, sagte das Herz.
Zu spät, sagte der Kopf.