Alle epischen Texte, die in keine andere Kategorie passen

Der Blick

Beitragvon struktur-los » Mo 01 Aug, 2011 22:45


Er bat alle, in den Aufenthaltsraum zu kommen. Sie trödelten langsam ein, tuschelten. Einige lachten laut. Das Gemurmel wollte, auch nach dem die Tür geschlossen war, nicht verstummen. Und so sprach er einfach drauf los: „Ich möchte euch um etwas bitten.“ Nun schauten einige in seine Richtung. Er öffnete das Fenster, das sich gegenüber dem Mob befand. Allmählich verblassten auch die letzten Stimmen. Nur einer von ihnen rief in die Stille: „Was wollen Sie? Machen Sie’ s kurz. Wir haben alle zu tun. Sind schließlich zum Arbeiten hier.!“
Nun malte sich ein Grinsen in sein Gesicht und er sagte: „Ich möchte euch nicht lange aufhalten, nur um einen Blick aus dem Fenster bitten.“
Wieder Gemurmel, einer stöhnte: „Was soll der Scheiß? Sitzt wohl zu oft mit Mama auf’ m Balkon, wah ?“ Allgemeines Lachen brach aus, das jedoch schnell versiegte. Er antwortete nicht. Ließ sie machen, was ihnen beliebte. Dann fragte er: „Was könnt ihr sehen, wenn ihr hinaus schaut?“ Nur die wenigsten gaben eine kurze Antwort. Einer meinte: „Schau doch selbst. Was willste von uns?“
Wieder musste er grinsen. Dann bat er alle, sich einmal umzudrehen.
Ein kleiner Teil verließ protestierend den Raum, die anderen taten es etwas widerwillig, lachend, zum Teil vor sich hinmurmelnd.
Sie warteten eine Weile auf weitere Anweisungen. Da diese nicht laut wurden, drehten sie sich nach und nach wieder in Richtung Fenster. Doch er - schien sich aufgelöst zu haben.
Nun wurde es beklemmend still. Keiner rührte sich. Dann tauschten Augenpaare die verschiedensten Blicke untereinander aus, und schließlich gab es einen Mutigen - einen etwas blassen, älteren Herrn – der ans Fenster trat und hinaus schaute.
Er blickte in unterschiedliche Richtungen und entdeckte schließlich etwas, das seine ganze Aufmerksamkeit auf sich richtete. Man sah es ihm wohl an, denn sogleich taten es ihm die anderen nach. Sie reagierten alle sehr ähnlich. Dann entfachte sich wie von selbst eine große Diskussion. Diese zog auch die zuvor geflüchteten Mitarbeiter zurück an Bord und plötzlich hatte jeder im Raum eine Meinung. Als der Chef der Abteilung den Ort des Geschehens betrat, herrschte erneut Stille, bis einer, einsam in der hintersten Ecke sitzend, meinte: „Ich finde, hier wurde lange genug gelüftet. Kann mal bitte jemand das Fenster schließen?!“




( ... Ja, ich suche einen Titel für diesen Text und würde mich über eure Vorschläge freuen. Deshalb steht er (noch) hier in der Schreibwerkstatt. :emo: Gegen eine Kritik habe ich natürlich auch nichts einzuwenden. Liebe Grüße und vielen Dank schon mal im Voraus ... falls... :) )
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Re: ... (Titel gesucht)

Beitragvon rivus » Do 04 Aug, 2011 00:45


hi struktur-los,
stoßlüftung ... metamorphose ...

nachtgrüße
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Re: ... (Titel gesucht)

Beitragvon Antibegone » Do 04 Aug, 2011 16:10


Dein Text liest sich wie ein Gleichnis.
In einer Allegorie hätte ich eine klare Zuteilung von Sach- und Bildhälfte. Die scheint mir hier nicht sinnvoll. Die Szene ist relativ offen: Menschen (Arbeiter an irgendwas) in einem Aufenthaltsraum. Entwicklung der Szene durch die Aufforderung etwas zu tun (aus dem Fenster zu schauen). Dieser wird lange nicht nachgekommen, bis einer den ersten Schritt tut. Das, was es dort zu sehen gibt, wird nicht erwähnt. Dadurch entsteht eine Spannung. Und aber auch etwas Symbolhaftes. Jedes Element scheint eine gewisse Bedeutung zu haben – dabei gerade Fenster als etwas, was auf etwas zeigt, die geheimnisvolle Aufforderung- , aber es gibt keinen Schlüssel, nach dem es aufzulösen wäre, denn das Etwas bleibt unbekannt. Das Ganze hat eine ironische Klimax, in der das Fenster, in einer Weise benutzt wird, die der Aufforderung nicht entspricht und beinahe einer Zweckentfremdung nahe kommt. (Nicht hinausschauen, sondern nur den Luftzug bemerken).

An einigen Stellen fehlt die (sprachliche) Konsequenz.
Warum die „Verlorenen“ zurück an Bord holen? Wobei an Bord holen eh den Sprachstil etwas bricht, der sonst sehr einfach und schlicht ist und hier umgangssprachlich wird. Zumal es für die Geschichte eh egal ist und an der Stelle als Einschub nur die Spannung retardiert. Das Gleiche bei „Mob“. Völlig unnötig. Die Stimmen, die verblassen – wozu die Metapher? Davon ab, dass sie nicht einmal gut ist. Zumal zum Schluss blasser, älterer Herr auftaucht und die Wortwiederholung in einem so kurzen Text arg auffällt. Davon ab, dass „älterer Herr“ auch so als Beschreibung reicht. Denn sonst beschreibst du ja auch keine anderen Personen näher.
„ Sie reagierten alle sehr ähnlich“ - Der Satz ist zu vage. Entweder du lässt ihn weg – wenn du nicht sagen willst, worin die Reaktion besteht -, denn er sagt nichts aus oder du wirst etwas genauer.

Ja, nettes Textchen. Mach was draus.
Wegen des Titels. Würde ich mir erst einmal überlegen, was du damit willst? Titel können oft neue Aspekte hineinbringen, unter denen der Text lesbar wird. Zum Beispiel so ein wie von mir erwähnter Schlüssel. Wenn zum Beispiel der Text: „Der letzte Baum“ heißt, wird ja klar, was dort gesehen wird. Oder.... du könntest, wenn du eben das nicht möchtest, Wörter aus dem Text nehmen. Zum Beispiel: „Der Blick aus dem Fenster“
Oder du machst ihn frei assoziativ wie rivus, sodass der Titel das Geschehen im Aufenthaltsraum noch einmal anders beleuchtet. Du könntest auch ganz schlicht sagen, dass du auf die Gattung rekurrierst und sagen es soll „Gleichnis vom Fenster“ heißen (wenn du die Gattung im Sinn hattest). Also, was möchtest du mit dem Titel, was soll er bewirken?

Liebe grüße,
Antibegone.
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Re: ... (Titel gesucht)

Beitragvon struktur-los » Fr 05 Aug, 2011 23:43


Hallo rivus,

ich danke dir für deine Vorschläge, die mir doch in gewisser Weise vermitteln, dass der Gedanke und die Intention, die dem Text innewohnen, erfassbar sind. Das freut mich.

"Stosslüftung" hm - für einige wird es wohl eine bleiben.

Eine "Metamorphose" wäre wünschenswert. :)


Liebe Grüße

Hallo Anti,

danke auch dir für deinen Kommentar und die Auseinandersetzung mit dem Geschriebenen.

Komme dann auch gleich mal zu einigen Äußerungen deinerseits:

An einigen Stellen fehlt die (sprachliche) Konsequenz.
Warum die „Verlorenen“ zurück an Bord holen? Wobei an Bord holen eh den Sprachstil etwas bricht, der sonst sehr einfach und schlicht ist und hier umgangssprachlich wird.

Du hast Recht – ich bleibe nicht konsequent. Gebe zu, dass mir das etwas schwer fiel. Dieser einfache Sprachstil war ja nun mal genauso gewollt.Ich überlege noch, ob ich in den genannten Fällen eine Anpassung vornehme.

Zum Warum Zurück an Bord – weil ich es mal wieder perfekt machen wollte – ein Gedanke, der wohl sehr unrealistisch scheint, aber wer weiß. Die Menschen sind doch ziemlich schnell zur Stelle, wenn’s was zu Schauen gibt. Vielleicht. war’s/ist' s die Angst, doch etwas zu verpassen. Und: Worüber sollten sie sonst reden, hm? ;-)

Die Stimmen, die verblassen – wozu die Metapher? Davon ab, dass sie nicht einmal gut ist. Zumal zum Schluss blasser, älterer Herr auftaucht und die Wortwiederholung in einem so kurzen Text arg auffällt.

Upps, das ist mir gar nicht aufgefallen. Die Metapher mag ich jedoch.

Davon ab, dass „älterer Herr“ auch so als Beschreibung reicht. Denn sonst beschreibst du ja auch keine anderen Personen näher.

Dass ich nur eine Person näher beschreibe, hat eine Bedeutung und somit seine Berechtigung. Ja, er sticht ein wenig hervor. Blass und älter empfinde ich durchaus erwähnenswert. Ein Mensch, gezeichnet vom Leben – etwas ruhiger, gesetzter, erfahrener, vll. mutiger, aber wachsam oder gar etwas abgebrühter (?), weil schon viel erlebt – und trotzdem geschockt, sicher auch etwas ängstlich vor dem, was ihn erwartet – zudem spielen Einsicht und/oder gar Schuldgefühle eine Rolle (?), Ärgernis über seinen bereits erstarrten Blick(?), Ohnmacht – wer weiß.

„ Sie reagierten alle sehr ähnlich“ - Der Satz ist zu vage. Entweder du lässt ihn weg – wenn du nicht sagen willst, worin die Reaktion besteht -, denn er sagt nichts aus oder du wirst etwas genauer.


Ich finde es vage gut. Die Frage, worin die Reaktion besteht, löst ja ev. etwas beim Leser aus – Bilder, Assoziationen, denke ich, vll. irre ich mich aber auch.

Das, was es dort zu sehen gibt, wird nicht erwähnt. Dadurch entsteht eine Spannung. Und aber auch etwas Symbolhaftes. Jedes Element scheint eine gewisse Bedeutung zu haben – dabei gerade Fenster als etwas, was auf etwas zeigt, die geheimnisvolle Aufforderung- , aber es gibt keinen Schlüssel, nach dem es aufzulösen wäre, denn das Etwas bleibt unbekannt


Genauso soll es sein. Das Verhalten der Menschen steht hier im Vordergrund - ihre typischen Reaktionen auf jemanden, der sie ein kleinen wenig aus ihrem Alltagstrott reißt – sie auffordert, sich zu bewegen und ihren Blick zu öffnen – tatsächlich zu öffnen – hinaus zu schauen – aus sich selbst hinaus, und auch mal den Blickwinkel, die Blickrichtung zu wechseln, um wirklich zu sehen.
Und was geschieht dann? Was wird durch einen Blick (aus dem Fenster) möglich? Dieser Jemand wollte etwas erreichen bei seinen Mitmenschen. Was danach geschieht, kann man sich sicher denken – nicht viel – ein Zurückfallen in alte Muster – vielleicht – veilleicht aber auch nicht. Eventuell prägt dieses Erlebnis diese Menschen auch ein wenig… vll. war’s ja ein Weckruf, ein Blick nach vorn – auf jeden Fall für die meisten ein Wagnis.
:D

Anti, ich weiß nicht so recht, was ich machen soll. Auf der einen Seite kann ich deine Bedenken zum Text nachvollziehen, und andererseits fällt es mir schwer, hier etwas Passendes zu finden, was ich anstelle der von dir erwähnten Textbausteine einsetzen könnte.

Hier zum Bsp. :
Er öffnete das Fenster, das sich gegenüber dem Mob befand. Allmählich verblassten auch die letzten Stimmen.
Also, falls du eine Idee hast, teile sie mir bitte mit.

Liebe Grüße

PS: Eine große Resonanz auf meine Frage/Bitte habe ich nicht erwartet - und so kam es auch. Denke, das spricht für den Text.
Oo
Mir fiel nun doch noch was ein - muss mich nur noch entscheiden zwischen:

* Nur zwei Schritte
* Der Blick
* Wagnis
* Die Bitte
* Auch dieser Morgen zieht vorüber :-()
* Aufsehen

* Stosslüftung ( von rivus )
:-) ... ich denke drüber nach.

Falls jemand ne Idee hat...


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Re: ... (Titel gesucht)

Beitragvon Antibegone » Mi 10 Aug, 2011 22:47


hey strukti,

Es ist immer schwierig, an einem Text zu arbeiten. Selbst wenn man die Schwachstellen kennt. Manchmal kommt es gerade auch dann zu den berüchtigten "Verschlimmbesserungen". Manchmal ist es sogar so, dass genau die Schwachstellen den Text ausmachen und, wenn sie weg wären, der Text langweilig wird.
Solange mir nichts bedeutend besseres einfallen würde, würde ich es daher so lassen.

An der einen Stelle. Warum schreibst du statt Mob nicht "Menge"?

Statt blass könntest du unauffälig sein, ich gehe davon aus, dass du das damit auch meinst. Weil "älter" trägt ja schon die Bedeutung von gezeichnet etc. - oder ist dir das zu schlicht?

Ich finde, "Der Blick aus dem Fenster" nicht schlecht, aber na ja... war ja auch mein Vorschlag :)
Anscheinend willst du etwsa schlichtes, was den text nicht "ändert", sondern nur etwas daraus aufnimmt, wenn ich mir deine Vorschläge so ansehe.
Hm, oder "Aufsehen und Wegschauen" (obwohl das wertend ist, was den ausgang betrifft". oder: "nur ein blick". oder: "zwei schritte zum fenster". oder: "Nicht zu viel verlangt".
stosslüften gefiele mir nicht, weil es gerade an der pointe vorbeigeht, denn es läuft ja auf "nur ein luftzug" hinaus und nicht darauf, dass dieser "luftzug" ein stoss ist, der etwas bewegen würde oder durchlüften, sondern nur ein hohler ersatz für den blick aus dem fenster ist.

wir könnten lose ziehen, welchen titel du nimmst? lach.... nein, dir fällt sicher noch was ein ;)

ahh, eine frage noch.
mir erscheint die geschichte, wie gesagt sehr gleichnishaft. war das gewollt? ... auch, dass es so religiös daher kommt?

lg Anti
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Re: Tiefe Blicke sind nicht still...

Beitragvon struktur-los » So 14 Aug, 2011 02:52


Guten Morgen Anti,

danke dir für deine Worte.

mir erscheint die geschichte, wie gesagt sehr gleichnishaft. war das gewollt? ... auch, dass es so religiös daher kommt?


Du sprachst schon in deiner letzten Antwort darauf an. Sorry, habe ich versäumt drauf einzugehen. Ja, sicher ist sie in gewisser Weise ein Gleichnis.

Denke, dass die Ebene des Gesagten und die des Gemeinten schon zu erarbeiten und fassbar sind. Hier wird zudem ein gewisser Sachverhalt bzw. Gedanke bildlich umgesetzt, was es u. a. ermöglicht, auch andere Lebensbereiche darin einzuschließen.
Die Deutung bzw. Lehre/Moral wird hier, wenn, vom Leser erschlossen bzw. bleibt ihm schlicht überlassen... gesellt sich der Text u. d. gegeb. Kriterien daher nicht eher zu den Parabeln?.

Und: Versuchte hier der Protagonist nicht selbst, ein Gleichnis aufzustellen.?. (... wäre dann ein Gleichnis in einem Gleichnis... ähm, bzw. in einer Parabel :tongue: ) und nein, ich habe mich nicht zuvor hingesetzt und mir gesagt: So, du schreibst jetzt mal ein Gleichnis oder derGleichen ... vll. rührt das daher, weil ich nicht gerne vergleiche. :p Dennoch: ob in ex- oder implizierter Form, das Geschriebene möchte etwas bewirken.

Zu deiner Frage, ob es gewollt so religiös daherkommt... Zählt allein der Wille, für sich selbst oder für andere den Blick zu öffnen, als eine moralische Handlung? Und zeugt das Bewusstmachen von Werten(die im Übrigen ja immer die eigenen sind) von Religiösität? Wenn ja, woraus erschließt du diese in diesem Text?
Und/oder tritt "Er" in die Fußstapfen eines nicht empirischen Wesens, einem Engel gar, der aufrütteln will? Könnte er, wenn, nicht auch der Teufel selbst sein - für den einen oder anderen?

Manchmal ist es sogar so, dass genau die Schwachstellen den Text ausmachen und, wenn sie weg wären, der Text langweilig wird.
Solange mir nichts bedeutend besseres einfallen würde, würde ich es daher so lassen.


Da hast du wohl Recht. Ich belasse ihn daher so, denn irgendwie gefällt er mir, Trotz der sprachlichen Inkonsequenz.

Zum Titel... habe mich nun (um)entschieden, wie du siehst. (... ein zweites Mal, der jetzige Titel passt irgendwie am besten zur TextForm [was immer das ist] - denke ich :o ... hach ja)


Ich danke dir für deine Denkanstöße.

Liebe Grüße

(Ich würde den Text gern in der Rubrik "Lichtblicke" unterbringen. Aber soeben wurde mir bewusst gemacht, dass es diese im Bereich Epik gar nicht gibt - warum eigentlich nicht??? ... Wahrscheinlich gibt es nicht so viele. Oo Also überlege ich vorerst noch ... )
Zuletzt geändert von struktur-los am So 14 Aug, 2011 22:17, insgesamt 3-mal geändert.
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