Nina verfügte über die Geisteskapazität jener Menschen, die es würdig sind, mit dem Attribut der Genialität beschrieben zu werden. "Das ist eine gefährliche Straße" sagte Nina, als wir durch das Viertel gingen, in dem sie als Crackhure ihre Brötchen verdiente. Ohne Furcht oder Verachtung, sondern mit Anstand und regen Sinnen, sprach sie von den diebischen Gewalttaten, welche an jenem Ort drohten, an dem wir uns befanden. Sie war keine 1,5 Meter groß, schlanke, kräftige Beine, sehr fein gebaut. Alles an ihrer Erscheinung erschien mir fein, obwohl getrocknetes Blut ihr Oberteil zierte.
Narben, die Seitens von Einstichen entstanden waren und Blutergüsse belegten ihren Körper, dem eine Tiefeneleganz zueigen war, die ich in dieser Form nicht für möglich gehalten hätte. Ihre Augen erschienen mir wie eine sprudelnde Ölquelle. Es war Feinheit und große Kraft die das schwarze Edelmetall sprudeln ließ.
Sie sprühte ihr Getränk in die Luft und gluckste vergnügt, als der Multivitaminsaft ihre Arme benetzte. Dann sumte sie den Riff eines White Stripes Hits und fragte mich nach Gregori Perelmann, ob ich wisse was er geleistet habe. Ich erzählte ihr, ohne mich eines Anflugs der Begeisterung erwehren zu können, von der abc-Vermutung von Hilberts Liste und den Milleniumproblemen. "Weißt du wie er jetzt lebt?" fragte Nina mich. Nachdenklich teilte sie mir mit, dass Perelmann so viel Energie in sein mathematisches Problem gesteckt habe, dass er völlig ausgebrannt sei. Ihre Augen erschienen mir wie winzige, hochaktive Erdölquellen. Sie war so so schön, dass mir schwindelig wurde und die Schwerkraft mir als Element jener Bahnen erschien, die lieblos sind.
Die Frauen, die ich bisher kannte, waren Witzfiguren, wenn ich Nina anschaue. Manchmal sehe ich Nina, wie sie sich mit erschöpften Kräften Schminke in ihr Gesicht bringt und dann ihren Körper hin zum Straßenstrich schleppt. Ihre Haut war bereits verblichen, die Wangen eingefallen, Ihre Nase bestand aus blutenden Stumpen. Sie war zweifelsohne die schönste Frau, die ich je in meinem Leben gesehen habe.
"Mein Problem ist vielmehr" sagte Nina und die Kraft ihres Geistes ließ mich demütig werden "es gibt nichts was mich nicht interessiert" sagte Nina leicht bekümmert und eine subtile Verunsicherung schien ihr zu begegnen."Außer BWL" schmunzelte sie "das interessiert mich nicht". Ich wusste wie so oft nicht, was ich dazu sagen sollte. Doch ihre Worte lösten Glück und Bewunderung bei mir aus. Manchmal fragte ich mich, ob sie mich manipuliert habe. Doch diese Frage scheint mir irrelevant. Seit ich sie traf, bin ich glücklich und trete wieder erholt aus meinen Schlaferfahrungen heraus. Auch wenn es mir nicht gefällt, fürchte ich mich vor einer kritischen Beäugung der ganzen Angelegenheit.