Liebe apnoe :-)
Ich muss zugeben, beim ersten Lesen hat mir der Text gar nicht gefallen. Hat mich erinnert an den Text damals aus dem Lyfo. Wie hieß er noch mal? Habe den ganzen Morgen schon überlegt, aber er fällt mir nicht ein. „Zähmung des Wassers“ oder so?
Ich weiß noch, was ich in etwa dazu geschrieben habe: Mir hat der Plot gefehlt, die Personen, es war mir alles zu vage. Außerdem … nun, du mischt in die Prosa lyrische Elemente (dieses lyr. Ich – Du Schema, auch die Kleinschreibung würde ich eher einem Gedicht als einer Geschichte zu schreiben …)
Deswegen hat mir dieser Text auch nicht zugesagt. Beim Lesen dachte ich: „Warum schreibt sie nicht ein Gedicht daraus, eine Prosa ist das sicher nicht!“
Hm, denk jetzt nicht ich wollte dir einen „Verriss“ schreiben (mal davon abgesehen, dass ich das wahrscheinlich eh nicht könnte). Denn deine Worte haben sich irgendwie bei mir eingeschlichen, ich weiß auch nicht, wie. Sie haben einen Eindruck in mir hinterlassen, ich könnte nicht einmal sagen, welchen. Aber er war da, als ich heute Morgen aufgewacht bin. Ich habe mich nicht mal erinnert, worum es in der Geschichte ging. Aber der Rhythmus der Worte, ihr Eindruck, ihr Klang, ihre Feinfühligkeit. Das war noch da.
Also dachte ich: So schlecht kann der Text ja nicht sein und habe ihn mir mal genauer angeschaut.
Es scheint mir hier um Sehnsucht zu gehen, vielleicht eine „verflogene“ Liebe?
Es gibt ein „Du“ und ein „Sie“, die eine anscheinend komplizierte Beziehung hinter sich haben. Das Du sehnt sich nach ihr („mit weißen augen starrst du seit tagen in den himmel.“), die in weiter Ferne zu ihm ist. Die weißen Augen kommen mir dabei mysteriös vor. Hat er geweint und die Tränen haben die Farbe hinaus gewaschen? Ist damit die Leere in ihnen gemeint? Spielst du auf den Augapfel an, der vielleicht hervortritt, weil Iris und Pupille verkleinert sind, vl. vor Müdigkeit (er guckt ja immerhin seit Tage)? Mir gefallen eigentlich alle Möglichkeiten, irgendwie, und ich möchte mich auch nicht entscheiden. Ich freue mich einfach, dass mir soviel zu einem Bild einfällt.
Leider weiß das Du nicht einmal genau, wo Sie jetzt wohnt, wo sie ist, kann nur vermuten, hofft, dass sie „in der Nähe“ ist. „lass gut sein“, sagt der Erzähler. Das ist interessant, zumal es sich ja wiederholt. Erinnert mich ein bisschen an „let it be“ :-)
Jetzt kommt ein neues Motiv: „sie hat deine flügel für den rückweg verschenkt.“ Ich frage mich, woher die Flügel überhaupt kommen. An sich haben sie für mich erst einmal den Stellenwert eines „Traums“ (Traum zu fliegen), eines „Strebens“ (zu fliegen, um den Himmel zu berühren), von „Freiheit“. Irgendwie muss Sie in den Besitz „deiner Flügel“ gekommen sein und sie „verschenkt“ sie, wie eine Art Zoll, den sie entrichtet, eine Fahrkarte für den „Rückweg“ – in die Sterne, ins All, nehme ich an. Womöglich hat sie den Traum (vielleicht den Traum einer gemeinsamen Beziehung) des Dus verraten, hat ihn verlassen, sein Sehnen mit genommen und verkauft, „verschenkt“. Sie scheint ihn in irgendeiner Weise „beraubt“ zu haben, vielleicht einen „Teil“ von ihm mitgenommen, um „zurück“ zu gelangen.
Das Du scheint das zu wissen, aber nicht zu akzeptieren. „wer so weit gegangen ist, kehrt nicht plötzlich auf irgendeine kleine blaue kugel zurück und landet auch nicht auf dem exorbitant großen platz in irgendeinem herzen.“ Aber die Wortwahl drückt aus: Aber er hofft es, er hofft, dass sie noch einmal landet, am besten mit seinen Flügeln, am besten in seinem Herz.
Interessant ist dieses Nähe – Ferne Verhältnis. Sie ist dem Kosmos zugehörig, er der Erde. Das drückt einerseits Distanz aus, andererseits ihre Beziehung. Sie schwebt „da oben“, fast überirdisch, er ist ein einfaches Wesen „hier unten“.
Sie wird anscheinend vom „seinem riss im herzen“ zusätzlich abgehalten, wieder zu landen. Es ist eine kosmische Perspektive auf seine Gefühle. Sie sind „gerissen“; ist er verletzt, vorbelastet, so dass Sie keine neue Beziehung mit ihm führen kann? Oder: Sie ist ihm zu wichtig und sie hält das nicht aus, als sie sieht, dass ihr Verschwinden ihm so weh tut, weiß sie, was er für sie empfindet – was sie nicht will. Wie ein Vogel, den man nicht in den Händen halten kann, der weg fliegt, wenn man nach ihm packen will …
„alles dreht sich“ Das ist wieder interessant, ja. Was dreht sich denn, frage ich mich. Ich denke, zunächst einmal das „Du“. Aber da wir ja auch das „All“ im Blickfeld haben: Womöglich die Erde, die Sonne, „alles“ im Universum. Vielleicht: Ihm ist schwindelig, es dreht sich bei ihm, aber er weiß auch, die Erde dreht sich weiter und der Schmerz wird vorüber gehen.
„sicher schneit es noch länger federn von den bäumen.“ Das scheint mir zurück zu gehen zu den „flügeln“, die Sie „verschenkt“ hat. Jetzt fallen sie, zurück geblieben, auseinander gerissen. „aber der wind meint es gut. er verbläst sie.“ Ja, schönes Ende! „er verbläst sie“. Die Federn, den Traum,
Sie.
Eine Weile wird es noch „schneien“, dann ist es vorbei, verweht.
Für mich passt in dem Kontext das „eisblumenmuster“. Die Flügel schneien ja, das drückt Kälte aus, genauso wie der „Sturm“. Vielleicht formen die Federn „muster“, die im Sturm, in der Kälte vereisen und an „eisblumen“ erinnern. Eben solche drücken eine gewisse „Schönheit“ aus – vl im Sinne von „bittersüßem“ Schmerz, oder so? In jedem Fall werden sie bald tauen.
Das sind echte tolle Motive, die du hier benutzt. Es macht Spaß, sich in sie hinein zu denken. Sie sind unglaublich vielschichtig. Geben soviel her, so viel Interpretationsspielraum (wie du siehst). Und doch machst du genug Andeutungen, bist noch klar genug, dass man die Sehnsucht, die verflogenen Gefühle, das kosmisch irdische Schauspiel herauslesen kann.
Ich habe mich gefragt, ob man hier überhaupt eine „Liebe“ sehen muss zwischen den beiden. Ja, sicherlich, hier kann man eine zwischenmenschliche Beziehung ablesen. Aber es geht irgendwie um mehr …
Du schaffst es hier, eine unglaubliche Sehnsucht auszudrücken. Und, wenn das Du „in die Ferne schaut“, sucht er, glaube ich, mehr als „Sie“ (wobei ja überhaupt die Frage ist, wer Sie ist, aber das lasse ich mal offen, weil sie irgendwie Alles sein könnte). Er möchte, dass etwas aus dem All in ihm landet, vielleicht möchte er Teil dieser überirdischen Welt sein, sucht womöglich einen verloren gegangenen Teil seiner selbst, einen alten Traum …
Ja, eine wirklich schöne Geschichte, lädt zum „Einfühlen“ und „Sehnen“ ein. Und das Schöne: Dieses Feinfühlige, mit dem du viele Texte schreibst, was gleichzeitig „realistisch nah“ und „träumerisch fern“ ist, kommt hier wunderbar zum Ausdruck. Und es bleibt. Zumindest war es noch in mir, als ich heute Morgen aufgestanden bin :-)
Nur noch ein paar kleine Anmerkungen:
… und landet auch nicht auf dem exorbitant großen platz in irgendeinem herzen.
Muss hier unbedingt Herz stehen? Herz ist für mich ein Wort, was irgendwie „vorbelastet“ ist. Es heißt alles und nichts.
Wie wäre es mit einem Wort von dir, was, das sagt, was du mit „Herz“ meinst? Ich finde irgendwie du hast so ein Wort nicht nötig, dir fällt bestimmt was Schöneres, Originelleres ein.
er verbläst sie.
Muss hier „verblasen“ stehen? Es hört sich „schräg“ an. Hm, also ich zumindest habe dabei komische Assoziationen …
Die Kleinschreibung finde ich im Nachhinein nicht schlimm. Es stört erst einmal, wenn man Prosa liest. Aber ist vielleicht Gewöhnungssache. Und dass es an Lyrik erinnert – ja, ich glaube, das tut dem Ganzen gut.
Ich hoffe du kannst irgendetwas mit meinen ver(w)irrten Zeilen anfangen.
Liebe Grüße
Und Danke für diesen schönen Text,
Myr