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NachhallWir sitzen im Hörsaal. Die Zeit bewegt sich, der Professor referiert über Maschinengenauigkeit. Es ist sehr einfach, wenn es nur zwei Zustände gibt. Da und nicht da. Einer mit M-Namen ist neben mir da. Martin möglicherweise, er könnte auch Marcel oder Marit heißen. Ich bin gerade nicht da. Die Zeit bewegt sich. Michael krault mir den Nacken. Der Dozent berichtet über einen Programmierfehler, der Hunderten das Leben kostete. Die Umrechnung der Zehntelsekunden hat nicht geklappt. Die Abwehrrakete ging zu spät los. Während sich die Zeit weiterbewegt, nehme ich meinen Kugelschreiber auf und lasse ihn leise über die Bank kratzen. Krrrrr. Es so ähnlich wie das Kraulen. Das krrrt auch, aber erst hinterher. Es ist manchmal zu viel, zu viel und die Zeit bewegt sich trotzig. Zehntelsekunden gibt es nur unendlich periodisch in Nullen und Einsen. Marcus hört auf, mich zu kraulen. Ich höre auf zu krrrrrn. Was bleibt ist nur der Nachhall. Das Kribbeln im Nacken und im Ohr. Das ist eindringlicher als die Berührung und der Ton selbst. Pro Zehntelsekunde macht das Rechenwerk einen Fehler von neunkommafünfdreisechssiebenmalzehnhochminusacht Sekunden. Nach vier Tagen wird die angreifende Rakete um vierhundertfünfundachtzigkommafünf Meter verfehlt. Dann krrrt es und die Zeit bewegt sich trotzig. Aber der Nachhall ist das Eindringlichste.
Re: NachhallHuhu Struppi :-)
Wirklich schade, dass diese Geschichte so lange unbeachtet hier geschlummert hat; welch Schande. Da dachte ich mir tippsle ich dir mal ganz fix ein paar Zeilen dazu. Der Inhalt erstreckt sich auf mehreren Ebenen bzw. in mehreren Erzählsträngen (letzteres würde wahrscheinlich besser passen, aber ich mag das Wort nicht). Zunächst einmal die mechanisch-sachliche; hier sprichst du einen Rechenfehler an, der eine Rakete dazu „bewegt“ ihr Ziel zu verfehlen. Dann ist da für mich die lautmalerische, in gewisser Weise auch emotionale Ebene. Beide sind eingebettet in die Hörsaalszene, in der die Studenten dem Referat des Dozenten ausgeliefert sind. In dieser Erzählgegenwart scheint keine Bewegung statt zu finden; die Situation ist statisch. Die handelnden Personen „sitzen“ fest, stehen nicht auf, reden nicht einmal. Das steht in einem schönen Gegensatz zu dem „Bewegen der Zeit“. Die schreitet fort, erbarmungslos, egal, was passiert. Aber die Statik der Situation lässt sie als „zäh dahinfließend erscheinen“. Das Geschehen läuft in den beiden Erzählebenen ab. In der ersten tötet Rakete Hunderte von Leuten. Ein kleiner Rechenfehler. In der zweiten finden sich zwei Personen, die sich gegenseitig durch Kleinigkeiten nerven. Diese Stränge laufen thematisch zusammen durch den Oberbegriff „Nachhall“ oder Echo. Hier ist die Nahtstelle: „Dann krrrt es und die Zeit bewegt sich trotzig. Aber der Nachhall ist das Eindringlichste.“ Alles hinterlässt eine Spur, der Kugelschreiber, das Graulen, der Rechenfehler. Egal, wie klein, es kann große Auswirkungen haben, einen immensen „Nachhall.“ Dieses Zusammenlaufen, finde ich, hast du wunderschön eingeleitet und vollendet. Dadurch wirkt die Geschichte sehr geschlossen. An der Sprache gefällt mir besonders die Lautmalerei. Das „Krrrrn“ kann ich mir akustisch sehr gut vorstellen; außerdem ist sprachlich/ orthographisch auch schön eindringlich. Ansonsten benutzt du relativ einfache Konstruktionen, reihst z.T. Hauptsätze strikt aneinander; unterstützt schön die Statik der Situation. Die Schlichtheit passt auch. Habe dementsprechend nur ein paar kleine Anmerkungen: Das Wort „Graulen“ gefällt mir gar nicht. Es hört sich altmodisch an und will sich irgendwie nicht harmonisch in die Sprachwelt der Geschichte einfügen; wir sind in einem Hörsaal. Studenten. Junge Leute. Ich wüsste nicht, wie dort ein Wort wie „Graulen“ seinen Platz finden sollte. Ansonsten gefallen mir die Wiederholungen nicht. „Die Zeit bewegt sich“ schreibst du ganze fünf Mal und das bei einem so kurzen Text. Muss das sein? Klar, es ist erstens Geschmackssache und zweitens willst du eine gewisse Wirkung erzielen. Ich persönlich glaube, eine z.B. nur dreimalige Verwendung hätte es auch getan, aber ich kann es durchaus verstehen, wenn du meine Meinung nicht teilst. „Der Professor referiert“ wiederholt sich übrigens auch. Ach ja, und das mit dem M-Namen finde ich etwas merkwürdig. Okay, ich könnte es verstehen, wenn der Erzähler spekulieren würde, wie der M-Typ heißt und die spekulativen Namen danach benutzt. Aber seine vorgeschlagenen Namen sind „Martin, Marcel, Marit“, er benutzt aber „Michael, Marcus“. Das empfinde ich als nicht konsequent. Insgesamt gefällt mir die Geschichte gut: Sehr eindringlich ;-) Lässt sich wunderbar lesen und die Aufteilung des Themas auf verschiedene Stränge und schließlich deren Verschmelzung ist dir gelungen. Mit lieben Grüßen, die Traumi Drehrassel: "Als Lyriker sollte man eine ahnende Checkung haben, von dem, was man da macht."
Re: NachhallHallo Traumi,
danke für Deine ausführliche Rückmeldung. Es wäre momentan aber gar nicht so schlimm, wenn hier niemand geantwortet hätte, da ich recht wenig Zeit habe. Das wird Ende Februar besser und dann kann ich mich auch wirklich an die Überarbeitung machen. Verzeih also, dass ich jetzt nichts sofort ausbessere. Deine Kritik werde ich mir später genauer vornehmen. Sie verschwindet ja (hoffentlich) nicht einfach. Du sagst, dass Dir "graulen" nicht gefällt. Sind Dir irgendwelche Alternativen in den Sinn gekommen? So richtig mag ich das Wort auch nicht, dabei nutze ich es im mündlichen Sprachgebrauch sehr oft. Ich hab keine Idee, was ich stattdessen nehmen könnte. Über die Wiederholungen muss ich mir später nochmal Gedanken machen. Den referierenden Professor hab ich schonmal geändert. Die M-Namen werden so bleiben. Sie sollen verdeutlichen, dass es eigentlich egal ist, wer da neben dem Erzähler sitzt. Dem Erzähler ist es egal und für die Situation an sich auch. Interessant ist, dass Du glaubst, die beiden würden sich gegenseitig nerven. Ich empfinde Nackengraulen als etwas sehr Angenehmes, aber auch Einschläferndes.
Ich möchte betonen, dass es sich um einen unscheinbaren Programmierfehler handelt - der Rechenfehler also von achtlosen Menschen verursacht wurde. Gut, dass Du das erwähnt hast. Ich sehe nämlich gerade, dass das so im Text nicht deutlich wird. Edit: Ach, ich bin blind. Dass es ein Programmierfehler ist, wird doch schon erwähnt.
Danke, das bestätigt mich in dem, was ich ausdrücken wollte. Liebe Grüße Struppi
Re: NachhallHuhu Struppi :-)
Kein Problem, wenn du es dir erst später genauer anschaust; nimm dir ruhig so viel Zeit wie möglich, da brauchst du dich bei mir nicht zu entschuldigen.
Interessant … ich kenne „graulen“ nur mit „sich vor etwas graulen“, der Duden auch: http://www.duden.de/duden-suche/werke/f ... 64448.html Kann es sein, dass das Graulen deines Verständnisses umgangssprachlich ist, oder so? Ich spreche diese lästige Hochdeutsch, deswegen weiß ich das immer nicht …
Kann ich inhaltlich durchaus nachvollziehen, ist für mich formal dennoch unschön.
Das verstehe ich jetzt gerade nicht; es ist ein „kleiner Rechenfehler“, das habe ich doch auch geschrieben, oder? Hmm, habe ich mich wahrscheinlich unklar ausgedrückt, wie auch immer: Es ist durchaus deutlich, dass der Fehler verschwindend gering und ohne böse Absicht begangen wurde. Viel Erfolg beim Überarbeiten Und liebe Grüße, von der Traumi Drehrassel: "Als Lyriker sollte man eine ahnende Checkung haben, von dem, was man da macht."
Re: NachhallWeißt Du was? Das ist ein bescheuerter Rechtschreibfehler (Wah! Wie bekloppt!). Es heißt "kraulen".
Wie sagst Du eigentlich dazu? Ich spreche auch (dreckiges) Hochdeutsch, ich bin nur zugezogener Leipziger. Mit dem Dialekt hat es also wahrscheinlich nichts zu tun.
Ach, das ist auch egal, ich hatte mich verguckt. Es geht nicht darum, dass der Fehler gering ist, sondern, dass es ein Programmierfehler ist (nicht die Maschine, sondern der Mensch hat versagt). Ich dachte erst, das stünde nicht im Text. Mit Deinen Aussagen hat es nur insofern zu tun, dass sie mich darauf aufmerksam machten (indirekt und letztendlich sogar fälschlicherweise, weil ich momentan ziemlich verpeilt zu sein scheine). Also, vergiss es (mir zuliebe) ;) Liebe Grüße Struppi
Re: NachhallAls Siegertext des Monats Dezember aus dem Treibgut hierher verschoben.
you cannot unscramble scrambled eggs.[links:3fqyydm7][/links:3fqyydm7]
Re: NachhallJaja der Mar.... +grins+ Hallo Struppigel. Ich habe mich jetzt doch mal durchgerungen mich in deinem Forum zu registrieren, dass du mir vor Monaten per Mail genannt hast. Schöne vorlesungsfreie Zeit noch wünsch ich dir!
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