Neulich zu Hause habe ich, als ich eine Hose vom Boden aufhob, versehentlich eine Wanze zwischen den Fingern zerquetscht. Chitin bröckelte zu Boden, es stank im ganzen Zimmer — und da dachte ich daran, dass mir auf der Reise wohl noch ganz andere Monster begegnen werden, womöglich auch in mein Bett kriechen. Ob ich auch welche essen muss? Vor der Abreise übte ich mich in Gleichmut, indem ich die Schwarzwurst in Papas Wurstsalat mitaß, doch ich wusste auch: Tiere lassen sich zu viel Üblerem verarbeiten. Im Dschungel von Laos sind Blutegel noch das geringste Übel, Myanmar ist das Land mit den meisten Schlangenbissen der Welt. Trotzdem gibt es gewiss Aufregenderes als Kakerlaken und Taranteln. Die eigentlichen Abenteuer sind ja die, die man nicht erwartet hat. Darum will ich vom Unerwarteten erzählen, wenn es sich in seinen schönen, seltsamen und schlimmen Formen zeigt.
Bisher habe ich nur meine Erwartungen an die Länder, ihre Bewohner und an die Reise selbst — etwa die Vorstellung, diese sei ein Allheilmittel: Gegen einen Mangel an Konzentration, an Klarsicht, an Zeit und Ausgeglichenheit; gegen den Überschuss an Zeug und an Mails. Klamotten, Papier und Dateien — zwei Drittel meines Besitzes wegzuschmeißen tat schon mal gut. Mal sehen, welche Mängel und Exzesse die Reise mir erst vor Augen führt, was sie heilt, was unheilbar ist und was vielleicht gar nicht geheilt werden muss. Ich bin gespannt, was sie mich lehrt über mein Leben und die Welt, auch wenn das manchmal schwer zu ertragen ist. Das Unerwartete lauert an jeder Ecke, und ich kann es kaum erwarten.
Vor mir liegt ein Leben ohne Filme, ohne Make-up, Parfum und regulierbare Duschen, ohne Kaffee (doch auch ohne Schlafmangel), mit nur einem meiner vierzig Paar Schuhe (hier brauche ich sowieso nur Flip-Flops). Vor mir liegen über hundert Nächte in Hostelschlafsälen auf Matratzen und mit Menschen aller Art, auf die ich mich einstellen muss: eine Probe für die Bequemlichkeit. Ein bisschen Einsamkeit vielleicht, das hatte ich mir erhofft, doch gleich in Phuket im ersten Hostel traf ich an der Rezeption auf eine lustige Chilenin aus Québec mit dem unpassenden Namen Cindy. Sie wurde mit mir in ein Zimmer einquartiert, und das war’s erstmal mit der einsamen Reise. Nach dem langen Fliegen wollten wir etwas essen, gingen einfach raus und ließen uns von den Gerüchen der Straße leiten. An den meisten Stellen stank es ziemlich für meine mitteleuropäische Nase — sehr authentisch.
Phuket ist als Ballermann Südostasiens bekannt, eine charmefreie Saufhochburg, weshalb ich auch nie diesen Namen nannte, sondern sagte, ich fliege “nach Thailand”. Aber vom 2W Hostel sind Strände und Hotelburgen sehr weit weg und wir haben in diesen Straßen keine anderen “farangs” (Fremde) gesehen — wem wohl die ganzen Reisebürostände ihre Touren verkaufen? Nach einigem Auf- und Abwandern landeten wir an dem scheinbar einzigen Ort in der Gegend, wo Essen serviert wurde. Eine Karte gab es nicht, wir konnten kein Thai und die Kellner kein Englisch, aber das Essen auf den Tellern sah ansprechend aus und wir zeigten auf eine Suppe. Wie sich herausstellte, waren da Rindfleisch und Nudeln und Pilze drin, dazu gab’s eine fischig-frittierte Vorspeise und Tee, und alles war gut. Die Leute so freundlich! Dieses Thai-Klischee konnte ich noch nirgends widerlegt sehen. Aber die könnten uns jetzt natürlich abzocken…? Nein. Keine 100 Baht kostete das ganze Mahl, 1,20€ für jeden. Im südostasiatischen Vergleich ist Thailand vergleichsweise teuer, aber nicht hier. Vor Freude gingen wir gleich zu einem Reisebürostand und buchten für morgen das Boot zur Insel Koh Lanta und ein Baumhaus-Hostel. 500 Baht für drei Nächte.
Da gönnte ich mir gleich noch eine Thai-Massage an diesem günstigen Zwischenort! Ein Ladyboy wurde mir zugeteilt mit weichen, starken Händen, sie drückte und verbog mich von Fuß bis Kopf und entließ mich neu ausgerichtet — so leicht, als hätte ich gar keinen Körper. Am Abend machte ich noch einen ausgedehnten Irrspaziergang mit der Kamera und geriet an die Grenzen des wirklich hässlichen Phuket, wo Pubs Beans on Toast servieren — vom Alkoholangebot nicht zu sprechen, hier im weitgehend muslimischen Süden.
Nur ein Tag in Phuket, doch ich fühlte mich, als sei ich schon seit Monaten aus Europa weg, schon lange, schon immer, und am nächsten Morgen beim Aufbruch mit der Fähre nach Lanta war es, als verließe ich einen vertrauten, liebgewonnenen, wenn auch nicht schönen Ort. Wahrscheinlich der Ankunftszauber — tatsächlich Monate hier zu verbringen würde ich kaum aushalten. Der Süden ist die wichtigste Urlaubsregion und auf alle möglichen Spezies von Touristen eingestellt, nicht nur auf die Eimersäufer. Das Baumhaus-Hostel sieht nach Low Budget-Abenteuer aus. Bald berichte ich euch, was für Getier zwischen den billigen Bettritzen sitzt.
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Bilder und weitere Reiseberichte aus Südostasien findet ihr auf meinem Blog "Tales of the Unexpected" (D/E): http://www.medium.com/@unexpected