[Kreatives Schreiben 2] Farblos
Verfasst: So 24 Mai, 2009 00:26
1,5 Stunden zu spät aber hoffentlich noch rechtzeitig mein Beitrag zum
Einführungsseminar: Kreatives Schreiben, 2. Sitzung
Als Gunther erwachte, erinnerte er sich noch vage an einen merkwürdigen Traum. Eigentlich war es nichts besonders gewesen; seine Stadt mit ihren unzähligen Fabriken, engen Straßen und dem von Rauchschwaden verhangenem Himmel war darin vorgekommen. Alles hatte so ausgesehen wie immer, nur die Wirkung war eine andere. Wo er sonst seinen Arbeitsweg sah, den er jeden Tag stumm hinter sich brachte, hatte er einen gleißenden Pfad vorgefunden, den er entlang schritt, alles um ihn herum war lebendig und bebte vor Energie. Doch er konnte diese Änderung nicht in Worte fassen.
Nachdem er sich im Bad erfrischt hatte, war der Traum aus seinem Gedächtnis entschwunden. Er legte seine Uniform an, die akkurat gebügelte Hose in Grau (Stufe 33), also direkt vor schwarz, darüber ein weißes Hemd, über dem er wiederum eine Jacke trug, in derselben Graustufe der Hose und auf dem Kopf die Mütze ganz in schwarz. Er schlüpfte in die schweren, schwarzen Lederstiefel, dann befestigte er den schwarzen Knüppel am Gürtel und ging in die Küche.
Als Aufpasser hätte er genug Geld um sich edle, weiße Möbel leisten zu können, aber er verabscheute so viel Helligkeit, also hatte er seine Küche in geschmackvollem Grau (Stufe 7) eingerichtet.
Er schaltete das Radio an. Die Nachrichtensendung war bereits vorbei, nur noch monotones Rauschen drang aus dem Lautsprecher. Dennoch ließ er es an. Die Stille, die er sonst so liebte, war ihm heute Morgen unerträglich. Wie immer kochte er sich schwarzen Kaffee und gab anschließend so viel Milch dazu, dass er einen guten Grauton bekam. Nachdem er ihn ruhig getrunken hatte, nahm er seinen Rucksack und verließ die Wohnung. Über das Treppenhaus, etwas aufgetragen in Weiß und Grau (Stufe 2) gehalten, gelangte er auf die Straße. Dort vor der Tür wartete sein Freund Fred.
Sie raunzten sich ein 'Morgen' zu, dann ging Gunther weiter zur Arbeit. Fred war auch Aufpasser, sein Arbeitsgebiet war die Straße, in der Gunther wohnte. Sie hatten darauf zu achten, dass die Bevölkerung sich benahm und die Schlägereien nicht überhand nahmen.
Auf der anderen Straßenseite prügelte sich eine Gruppe von Männern. Selbst von hier konnte Gunther ihnen ihre Lustlosigkeit ansehen, dennoch warf er Fred einen auffordernden Blick zu und dieser schlenderte, während er seinen Knüppel zog, gemächlich auf die andere Seite.
Gunther kümmerte sich nicht mehr darum, er musste Punkt neun in der Fabrik sein. Er wollte sich beeilen, doch als er seinen gewohnten Weg einschlug, kam dieser ihm seltsam unvertraut vor. Dabei war alles wie immer. Die Gebäude waren aus grobem Stein, in verschiedenen Grautönen gehalten. Das fahle weiße Licht der Sonne durchdrang mühsam die grauen und schwarzen Schwaden, die aus den Schonsteinen der Fabriken aufstiegen.
Gunther zuckte mit den Achseln und ging weiter. Er erreichte die Straßenbahnstation gerade, als die pechschwarze Bahn eintraf. Er rief die einsteigenden Leute zur Ordnung, indem er auf sie einschlug, wenn sie sich um die Sitzplätze stritten. Einer stieß ihn mit dem Arm an und Gunther versetzte ihm einen harten Schlag mitten ins Gesicht. Der Mann stürzte, doch wegen des Gedränges in der Bahn fiel er nicht. Dunkelgraues Blut (Stufe 28) tropfte aus seinem Mund auf die Kleider der nebenstehenden Leute.
Gunther sah, dass alles geregelt war, ging auf einen der besetzten Sitzplätze zu und hob drohend den Knüppel. Sofort erhob sich die schwangere Frau und er nahm Platz.
Lustlos sah er aus dem Fenster. Irgendetwas stimmte mit ihm heute nicht, er ertappte sich beim Grübeln. Viel zu lasch hatte er eben gearbeitet, er musste sich zusammenreißen!
Plötzlich flog draußen etwas vorbei, ein Tier, vielleicht ein Vogel. Eine Helligkeit, ganz anders als die von Weiß, schien von ihm auszugehen. Gunther war fassungslos.
Er sprang auf, rannte zur Tür und zog die Notbremse. Quietschend kam die Bahn zum Stehen, sämtliche Fahrgäste fielen übereinander, ein entsetzliches Chaos, doch Gunther bemerkte es kaum. Er hechtete aus der Bahn und lief auf die Straße zu, wohin er den Vogel hatte fliegen sehen.
Kaum war er um die Ecke gebogen, da entdeckte er ihn schon, sitzend auf einem alten Strauch.
Gunther hätte ihn nicht beschreiben können. Er sah aus wie ein Vogel, aber so ein Federkleid hatte er noch nie zuvor gesehen. Es war nicht weiß, nicht schwarz und auch keine der 33 Graustufen. Es schien einfach zu strahlen. Nicht so grell wie weiß, aber lebendiger, pulsierend. Und er wusste, dass es das war, wovon er geträumt hatte und er empfand ein Gefühl tiefer Wärme, die aus seinem Inneren zu strömen schien.
Langsam näherte er sich dem Tier. Er ging etwas gebückt, damit sein Körper niedriger war als der Zweig, auf dem der Vogel saß. Seinen linken Arm hielt er nach vorne ausgestreckt und als er bis auf einen Schritt ran war, machte der Vogel einen Satz und sprang auf seine Hand.
Mit weiten Augen betrachtete er dieses wunderschöne Tier.
Plötzlich griff Gunther zu und hielt den Vogel jetzt fest in seiner Hand.
Mühsam zog er den Rucksack von den Schultern und versuchte ihn mit der linken Hand zu öffnen. Endlich packte er den Vogel hinein und zog augenblicklich den Reißverschluss zu.
Dann rannte er los, einfach die Straße entlang. Er suchte Menschen, wer war egal. Er rannte mit weiten Schritten, der Rucksack in seiner Hand schaukelte hin und her. Er erschöpfte nicht, sein ganzer Körper war voller Energie. Er hatte sich nie besser gefühlt als jetzt, auch wenn er nicht begriff, was in ihm vorging.
„Warte“, schrie er als endlich jemand vor ihm zu sehen war, „so warte doch!“
Der andere blieb stehen, seufzte und drehte sich um. Sein Blick kam Gunther kalt und stumpf vor.
„Sieh, was ich hier habe. Du musst es dir unbedingt angucken.“
Er hielt dem Fremden den Rucksack entgegen, doch dieser machte keine Anstalten der Aufforderung Folge zu leisten.
„Los, mach schon. Aber vorsichtig, er darf nicht entkommen!“
Der Mann seufzte und zog behutsam den Reißverschluss auf.
„Ein Vogel“, bemerkte er trocken.
„Sieh genau hin! Hast du so etwas schon gesehen?“
Der Fremde warf einen zweiten Blick in das Innere der Tasche.
„Ein toter Vogel, sonst nichts.“
Panisch riss Gunther die Tasche vollends auf und starrte hinein.
Der Vogel lag regungslos auf seiner grauen Brotdose (Stufe 13), seine Flügel weit von sich gespreizt. Sein Gefieder bestand aus verschiedenen Grautönen der Stufen 18 bis 23.
Was hatte er eben noch daran gefunden?
Er blickte wieder auf, doch der Fremde war längst weiter gegangen und bog gerade in eine Seitenstraße ein. Gunther griff in den Rucksack, zog das tote Tier hervor und warf es auf den Gehweg.
Er bemerkte, wie ein kleiner Tropfen einer Flüssigkeit aus seinem Auge lief und seine die Wange hinab glitt. Das kannte er nicht. War das ein Ausdruck dieses merkwürdigen Gefühls, das ihn beschlich?
Er fühlte, dass etwas sehr Wertvolles nun für immer verloren war, doch dann schmeckte er den salzigen Tropfen, der seine Lippen erreicht hatte. Und dann sah er sie wieder, die Stadt aus seinem Traum und er wusste, dass er sie nie mehr vergessen würde können.
Einführungsseminar: Kreatives Schreiben, 2. Sitzung
Als Gunther erwachte, erinnerte er sich noch vage an einen merkwürdigen Traum. Eigentlich war es nichts besonders gewesen; seine Stadt mit ihren unzähligen Fabriken, engen Straßen und dem von Rauchschwaden verhangenem Himmel war darin vorgekommen. Alles hatte so ausgesehen wie immer, nur die Wirkung war eine andere. Wo er sonst seinen Arbeitsweg sah, den er jeden Tag stumm hinter sich brachte, hatte er einen gleißenden Pfad vorgefunden, den er entlang schritt, alles um ihn herum war lebendig und bebte vor Energie. Doch er konnte diese Änderung nicht in Worte fassen.
Nachdem er sich im Bad erfrischt hatte, war der Traum aus seinem Gedächtnis entschwunden. Er legte seine Uniform an, die akkurat gebügelte Hose in Grau (Stufe 33), also direkt vor schwarz, darüber ein weißes Hemd, über dem er wiederum eine Jacke trug, in derselben Graustufe der Hose und auf dem Kopf die Mütze ganz in schwarz. Er schlüpfte in die schweren, schwarzen Lederstiefel, dann befestigte er den schwarzen Knüppel am Gürtel und ging in die Küche.
Als Aufpasser hätte er genug Geld um sich edle, weiße Möbel leisten zu können, aber er verabscheute so viel Helligkeit, also hatte er seine Küche in geschmackvollem Grau (Stufe 7) eingerichtet.
Er schaltete das Radio an. Die Nachrichtensendung war bereits vorbei, nur noch monotones Rauschen drang aus dem Lautsprecher. Dennoch ließ er es an. Die Stille, die er sonst so liebte, war ihm heute Morgen unerträglich. Wie immer kochte er sich schwarzen Kaffee und gab anschließend so viel Milch dazu, dass er einen guten Grauton bekam. Nachdem er ihn ruhig getrunken hatte, nahm er seinen Rucksack und verließ die Wohnung. Über das Treppenhaus, etwas aufgetragen in Weiß und Grau (Stufe 2) gehalten, gelangte er auf die Straße. Dort vor der Tür wartete sein Freund Fred.
Sie raunzten sich ein 'Morgen' zu, dann ging Gunther weiter zur Arbeit. Fred war auch Aufpasser, sein Arbeitsgebiet war die Straße, in der Gunther wohnte. Sie hatten darauf zu achten, dass die Bevölkerung sich benahm und die Schlägereien nicht überhand nahmen.
Auf der anderen Straßenseite prügelte sich eine Gruppe von Männern. Selbst von hier konnte Gunther ihnen ihre Lustlosigkeit ansehen, dennoch warf er Fred einen auffordernden Blick zu und dieser schlenderte, während er seinen Knüppel zog, gemächlich auf die andere Seite.
Gunther kümmerte sich nicht mehr darum, er musste Punkt neun in der Fabrik sein. Er wollte sich beeilen, doch als er seinen gewohnten Weg einschlug, kam dieser ihm seltsam unvertraut vor. Dabei war alles wie immer. Die Gebäude waren aus grobem Stein, in verschiedenen Grautönen gehalten. Das fahle weiße Licht der Sonne durchdrang mühsam die grauen und schwarzen Schwaden, die aus den Schonsteinen der Fabriken aufstiegen.
Gunther zuckte mit den Achseln und ging weiter. Er erreichte die Straßenbahnstation gerade, als die pechschwarze Bahn eintraf. Er rief die einsteigenden Leute zur Ordnung, indem er auf sie einschlug, wenn sie sich um die Sitzplätze stritten. Einer stieß ihn mit dem Arm an und Gunther versetzte ihm einen harten Schlag mitten ins Gesicht. Der Mann stürzte, doch wegen des Gedränges in der Bahn fiel er nicht. Dunkelgraues Blut (Stufe 28) tropfte aus seinem Mund auf die Kleider der nebenstehenden Leute.
Gunther sah, dass alles geregelt war, ging auf einen der besetzten Sitzplätze zu und hob drohend den Knüppel. Sofort erhob sich die schwangere Frau und er nahm Platz.
Lustlos sah er aus dem Fenster. Irgendetwas stimmte mit ihm heute nicht, er ertappte sich beim Grübeln. Viel zu lasch hatte er eben gearbeitet, er musste sich zusammenreißen!
Plötzlich flog draußen etwas vorbei, ein Tier, vielleicht ein Vogel. Eine Helligkeit, ganz anders als die von Weiß, schien von ihm auszugehen. Gunther war fassungslos.
Er sprang auf, rannte zur Tür und zog die Notbremse. Quietschend kam die Bahn zum Stehen, sämtliche Fahrgäste fielen übereinander, ein entsetzliches Chaos, doch Gunther bemerkte es kaum. Er hechtete aus der Bahn und lief auf die Straße zu, wohin er den Vogel hatte fliegen sehen.
Kaum war er um die Ecke gebogen, da entdeckte er ihn schon, sitzend auf einem alten Strauch.
Gunther hätte ihn nicht beschreiben können. Er sah aus wie ein Vogel, aber so ein Federkleid hatte er noch nie zuvor gesehen. Es war nicht weiß, nicht schwarz und auch keine der 33 Graustufen. Es schien einfach zu strahlen. Nicht so grell wie weiß, aber lebendiger, pulsierend. Und er wusste, dass es das war, wovon er geträumt hatte und er empfand ein Gefühl tiefer Wärme, die aus seinem Inneren zu strömen schien.
Langsam näherte er sich dem Tier. Er ging etwas gebückt, damit sein Körper niedriger war als der Zweig, auf dem der Vogel saß. Seinen linken Arm hielt er nach vorne ausgestreckt und als er bis auf einen Schritt ran war, machte der Vogel einen Satz und sprang auf seine Hand.
Mit weiten Augen betrachtete er dieses wunderschöne Tier.
Plötzlich griff Gunther zu und hielt den Vogel jetzt fest in seiner Hand.
Mühsam zog er den Rucksack von den Schultern und versuchte ihn mit der linken Hand zu öffnen. Endlich packte er den Vogel hinein und zog augenblicklich den Reißverschluss zu.
Dann rannte er los, einfach die Straße entlang. Er suchte Menschen, wer war egal. Er rannte mit weiten Schritten, der Rucksack in seiner Hand schaukelte hin und her. Er erschöpfte nicht, sein ganzer Körper war voller Energie. Er hatte sich nie besser gefühlt als jetzt, auch wenn er nicht begriff, was in ihm vorging.
„Warte“, schrie er als endlich jemand vor ihm zu sehen war, „so warte doch!“
Der andere blieb stehen, seufzte und drehte sich um. Sein Blick kam Gunther kalt und stumpf vor.
„Sieh, was ich hier habe. Du musst es dir unbedingt angucken.“
Er hielt dem Fremden den Rucksack entgegen, doch dieser machte keine Anstalten der Aufforderung Folge zu leisten.
„Los, mach schon. Aber vorsichtig, er darf nicht entkommen!“
Der Mann seufzte und zog behutsam den Reißverschluss auf.
„Ein Vogel“, bemerkte er trocken.
„Sieh genau hin! Hast du so etwas schon gesehen?“
Der Fremde warf einen zweiten Blick in das Innere der Tasche.
„Ein toter Vogel, sonst nichts.“
Panisch riss Gunther die Tasche vollends auf und starrte hinein.
Der Vogel lag regungslos auf seiner grauen Brotdose (Stufe 13), seine Flügel weit von sich gespreizt. Sein Gefieder bestand aus verschiedenen Grautönen der Stufen 18 bis 23.
Was hatte er eben noch daran gefunden?
Er blickte wieder auf, doch der Fremde war längst weiter gegangen und bog gerade in eine Seitenstraße ein. Gunther griff in den Rucksack, zog das tote Tier hervor und warf es auf den Gehweg.
Er bemerkte, wie ein kleiner Tropfen einer Flüssigkeit aus seinem Auge lief und seine die Wange hinab glitt. Das kannte er nicht. War das ein Ausdruck dieses merkwürdigen Gefühls, das ihn beschlich?
Er fühlte, dass etwas sehr Wertvolles nun für immer verloren war, doch dann schmeckte er den salzigen Tropfen, der seine Lippen erreicht hatte. Und dann sah er sie wieder, die Stadt aus seinem Traum und er wusste, dass er sie nie mehr vergessen würde können.