Der Anfang ist am schlimmsten

Beitragvon Neu Tron » Do 16 Sep, 2010 04:03


Person 1 (Person 2 betritt die Bühne; Person 1 ist irritiert):
Beim Schreiben ist ja das größte Problem das Anfangen. Vor allem, wenn es sich um einen Neuanfang handelt. Also einen kompletten. So wie seine Haare abschneiden oder färben oder Umziehen oder Bügeln oder Texteauswendiglernen. Der Anfang ist am schwersten.

Person 2:
Aber beim Lesen ist das Ende viel wichtiger.

Person 1:
Uns liest ja keiner.

Person 2:
Das fängt ja gut an!

Person 1:
Nun mach Du weiter. Uns ist bereits langweilig! Der Neuanfang ging in die Hose. In dem Moment, wo du die Bühne betreten hast. Vorher haben sie noch gelacht und Essen bestellt. Nun schau Dir an, was du angerichtet hast. Die sehen wir nie wieder! Es tut mir so leid! Sagen Sie einfach an der Kasse nachher Bescheid! Den Teil meiner Gagen dürfen Sie abziehen!

Person 2:
Gehört es eigentlich zu deinem Masterplan, dass die Leute da unten von Anfang an wissen, dass wir uns hassen?

Person 1:
Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht.

Person 2:
Das fällt Dir aber früh ein!

Person 1:
Für so etwas habe ich ja Dich!

Person 2:
Mir ist gerade aufgefallen, dass du noch gar keinen Texthänger hattest.

Person 1:
Stimmt nicht.

Person 2:
Naja, zumindest das Grobe hat gestimmt. Das Zwischendenzeilen liest eh kein Mensch! Das habe ich dir schon so oft gesagt. Du lieber Himmel...

Person 1:
Dein Menschenbild ist ganz bezaubernd.

Person 2:
Ich hab ja nur das eine, danke!

Person 1:
Das tut mir leid.

Person 2:
Nö, wieso? Ich habe dir immer gesagt: Es ist mir egal, wie lang und wie doof die Sätze sind, die du mir zu Sprechen aufträgst. Aber konsistent müssen Sie sein, sonst komme ich durcheinander.

Person 1:
Gehört es eigentlich zu deinem Masterplan, dass die da unten von Anfang an wissen, dass dein Gemüt, nunja, etwas bäuerlich ist?

Person 2 (freut sich):
Danke!

Person 1 (wartet auf eine Antwort):
--

Person 2 (lächelt):
--

Person 1 (zeigt heimlich, aber ungeduldig mit Kopfnicken und Augendrehen auf die Decke)

Person 2:
Was ist denn?

Person 1 (flüstert):
Masterplan!

Person 2:
Laster fahrn? Höö?

Person 1 (angespannt, zischelt lauter):
MASTERPLAN!

Person 2 (verdutzt):
Masterplan?

Person 1 (laut und deutlich):
Ich sagte: Gehört es eigentlich zu deinem Masterplan, dass die da unten von Anfang an wissen, dass dein Gemüt, nunja, etwas bäuerlich ist? Darauf du?

Person 2:
Nein. Aber warum mit seinen Talenten lange hinterm Berg halten?

Person 1:
Du hast DANKE gesagt.

Person 2:
Ich hab DANKE gesagt? Ich hab?
(schaut ins Publikum...)
Ich hab DANKE GESAGT?
(schaut zu Person 1)
Ich hab Danke gesagt!

Person 1:
Macht auch nichts mehr, jetzt bin ich auch raus. Ich könnte noch maximal einen Ersatz-Abstell-Platz für die Schlusspointe organisieren...

Person 2:
Es gibt eine Schlusspointe?

Person 1:
Ich sag es jetzt einfach frei heraus, du dusselige Schnabeltasse!
(räuspert sich)
Am Ende ist auch schon unwichtig, wie es angefangen hat. Deswegen ist das Anfangen leicht, man muss es einfach tun! Es kommt nur auf das Ende an, nicht auf den Anfang.

Person 2:
Muss es gleich am Anfang schon so pseudophilosophisch sein? Hmmm? Man hält mich sonst noch für eine Pseudo-Intellektuelle. Und außerdem klingt es so, als wäre die Sache von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
(macht Gänsefüßchenbewegung mit den Fingern)
"Es komm nur auf das Ende an"... We all gonna fucking die! Maria und Josef! Ich dachte, wir wollten vielleicht mal das BKA Luftschloss vollkriegen! Aber mit solch strotzendem Optimismus kriegen wir nicht mal die Panomabar voll. Und da passen nur 10 Leute rein! Können wir nicht, wie jedes andere Paar schlichte, einfache Sätze sagen?

Person 1 (kichert):
Genau das ist ja das Problem!

Person 2:
Und das können wir jetzt alles nicht mehr sagen?

Person 1:
Nein!

Person 2:
Deine Zwangsneurose sorgt schon bei unserem ersten gemeinsamen Auftritt für einen Eklat! Wir hätten das noch prima durchschaukeln können. Aber nein...

Person 1:
Es hat sich ausgeschaukelt, Madame!

Person 2:
Wann singen wir eigentlich das erste Lied?

Person 1:
Jetzt!

Person 2:
Und das mit der Frühlingsrolle und dem Pornokanal lassen wir alles weg?

Person 1:
Alles!

Person 2:
Die Lenie Riefenstahl...

Person 1:
AL-LES!

Person 2:
Du bist sowas von verspannt!

Person 1:
Du bist zu doof, deine Einsätze zu verpassen.

Person 2:
Du bist so fies!

Person 1:
Du merkst nicht mal, wenn man dir ein Kompliment macht.

Person 2 fordert den Schlagzeuger auf:
Spiel!



Es folgt ein Lied, das überhaupt nicht zum Thema passt.
Die Ordnung des Profanen
hat sich aufzurichten
an der Idee des Glücks.
Walter Benjamin
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Re: Der Anfang ist am schlimmsten

Beitragvon Le_Freddy » Do 16 Sep, 2010 20:45


moin neu tron,

also ich bin mir ja noch garnicht so sicher. gar nicht so sicher, ob ich dieses drama, feiern würde wenn ich es sähe. ohne aufführung ist das ganze eher fad; es treibt die dekonstruktion des genres dramas einfach in trauriger art auf die spitze. ich denk mir halt:

Yasmina Reza - 'Kunst' ein theaterstück, das sich selbst sehr ironisch thematisiert, in dem u.a. das handy eines schauspielers klingelt; eben der selbe auch seinen auftritt schlecht findet und mit "ich komm noch mal." kommentiert, um dann exakt das gleiche zu tun - undsoweiter. der unterschied ist, dass 'kunst' wesentlich subtiler vorgeht / nicht so vollgeladen ist mit genrebrüchen. dabei wird anhand des umgangs mit "drama" die handlung des eigentlichen textes kommentiert/unterstützt"
- aber hier?

es ist sicherlich wild kurzweilig zu sehen. und mit guten schauspielern wohl wirklich lustig. aber sonst?
diese ewige "schauspieler spielen schauspieler, die sich dadurch als solche offenbaren, dass sie fehler machen"-nummer ist alt und abgewetzt. es gibt noch viele andere schöne möglichkeiten die genregrenzen zu zersetzen, davon braucht der text definitiv mehr. weniger pseudofehler.

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